Meldung 29. Juli 2025

Im Bundeshaushalt fehlt noch mehr Geld als bislang angenommen. Deswegen ist Wirtschaftswachstum wichtiger denn je. Doch wo soll es herkommen? Arbeitgeber ächzen unter den steigenden Lohnzusatzkosten. Sie fordern nachhaltige Reformen der Sozialsysteme.

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Laut der Finanzplanung der Regierung klafft im Bundeshaushalt eine Lücke von 172 Milliarden Euro bis 2029 – fast 30 Milliarden Euro mehr als bisher erwartet. Das zeigt der Etatentwurf für 2026, den das Kabinett Ende Juli beschlossen hat. Dieses Geld müsse noch in dieser Wahlperiode eingespart oder durch Mehreinnahmen, etwa durch Wirtschaftswachstum, eingebracht werden, schreibt Politico.

Ist dieses Szenario realistisch? Deutschland hat bereits zwei Jahre ohne Wirtschaftswachstum hinter sich. Unternehmen beklagen die im internationalen Vergleich mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Denn die Lohnzusatzkosten steigen rasant – Arbeit wird hierzulande immer teurer. Die politisch definierte 40-Prozent-Grenze für Sozialabgaben ist bereits gerissen, ein Weg zurück nicht absehbar - und Bundesmittel stehen laut Finanzminister Lars Klingbeil nicht zur Verfügung: „Langfristig wird es so nicht funktionieren, dass wir immer wieder die Probleme mit Steuergeldern lösen“, so der SPD-Politiker bei der Vorstellung der Haushaltsplanung

„Wir brauchen dringend ausgabensenkende Strukturreformen.“

„Wir müssen weg von den hohen Lohnzusatzkosten. Wir brauchen deshalb dringend ausgabensenkende Strukturreformen“, mahnte Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, jüngst: „Wir können uns nicht mehr alles leisten, was wir uns wünschen.“ Er fürchtet, dass der Sozialstaat kollabiere, wenn die Politik nicht gegensteuert. Das nütze keinem, so der BDA-Präsident. Der BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter machte im Gespräch mit dem PKV-Verband deutlich: „Wir sind für Problemlösungsstrategien, die Ausgaben senken, stabilisieren oder Beiträge senken.“ Mehr Einnahmen zu generieren statt Reformen zu machen, löse kein einziges Problem. 

Mit dieser Ansicht stehen Dulger und Kampeter nicht allein. Andere Wirtschaftsvertreter zeichnen ein ähnlich düsteres Bild. Handwerkspräsident Jörg Dittrich verglich den deutschen Sozialstaat zuletzt mit einem Schiff, das am Rumpf ein Leck hat. „Und wenn wir dieses nicht bald abdichten, wird der Kahn komplett untergehen.“ Dittrich kritisiert die „butterweichen Aussagen“ zu den dringend nötigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme. Er fordert ein tragfähiges Gesamtkonzept, eine ehrliche Betrachtung – und letztlich womöglich „unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen“.

Im Interview mit dem PKV-Verband warnte auch die Präsidentin des Verbands Die Familienunternehmer Marie-Christine Ostermann, dass der Sozialstaat bald nicht mehr finanzierbar sein werde: „Wenn die sozialen Sicherungssysteme jetzt nicht reformiert werden und weiter nichts passiert, dann laufen wir auf einen Kipppunkt Anfang der 2030er-Jahre zu.“ Schon jetzt würde Arbeit in Deutschland immer unattraktiver, für angestellte Fachkräfte wie für Unternehmerinnen und Unternehmer. Ihnen stehen durch die steigenden Lohnzusatzkosten weniger Mittel zur Verfügung, um Innovationen voranzutreiben, Kapazitäten auszubauen und Mitarbeitende einzustellen – alles Voraussetzungen für das dringend benötigte Wirtschaftswachstum.

„Unser Wirtschaftsstandort steht auf der Probe“, sagt auch Roland Angst, der Präsident des Führungskräfteverbands ULA: Nötig sei eine Wirtschaftspolitik, die Investitionen fördere und eine Sozialpolitik, die Leistungen anerkenne und belohne. Die umlagefinanzierten Sozialsysteme kommen an ihre Grenzen – daher fordert die ULA nachhaltige Reformen und mehr Effizienz.

Mahnende Stimmen aus der Wissenschaft

Und auch aus der Wissenschaft kommen mahnende Stimmen. Wenn die Politik nicht gegensteuere, steigen die Sozialversicherungsbeiträge binnen weniger Jahre auf 45 Prozent, warnt der Wirtschaftsweise Martin Werding: „Und danach geht es immer weiter, also 50 bis 55 Prozent. Die Frage ist nicht ob, sondern wann.“ Auch Werding sieht die Hauptgefahr dieser Entwicklung darin, dass wir die wirtschaftliche Dynamik Deutschlands, die von vielen Seiten unter Druck ist, zusätzlich gefährden.

„Wir sind nach Belgien das Land, das den Faktor Arbeit mit den höchsten Abgaben, Steuern und Sozialabgaben belastet“, erläutert der Ökonom Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft: „Und solange die Arbeitnehmer nicht akzeptieren, dass steigende Abgabenbelastungen zu einem sinkenden Nettolohnniveau führen, belasten höhere Abgaben auf den Faktor Arbeit auch die Arbeitskosten und damit die Beschäftigungsperspektiven am Standort.“ Heißt: Der Faktor Arbeit wird perspektivisch noch teurer – und Deutschland weniger wettbewerbsfähig.

Ein Teil der Lösung: Eigenverantwortung stärken

BDA-Präsident Dulger setzt seine Hoffnung auf die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Reform des Sozialstaats: “Ich erwarte, dass die Kommission so schnell wie möglich konkrete Punkte vorlegt, wie man die Sozialversicherungen reformieren und verbessern kann." Vor allem müsse der Sozialstaat wieder treffsicherer werden.

Der Professor für Wirtschaftspolitik Lars Feld fordert im CEO-Talk von Table.Briefings: „Man müsste Reformen umsetzen, die Beitragssätze dauerhaft bei 40 Prozent halten. Ansonsten drohen Haushaltszuschüsse oder Steuererhöhungen. Das ist linke Tasche, rechte Tasche.“ Feld fordert Leistungskürzungen in den Sozialversicherungen.

Definitiv ausschließen sollte man angesichts des strukturellen Defizits der Sozialsysteme auf jeden Fall jede Art von Leistungsausweitungen im Umlageverfahren. Stattdessen sollte die Politik die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger stärken. Das fordern auch die Arbeitgebervertreter. Wie dies gelingen kann, zeigt der PKV-Verband mit seinem 10-Punkte-Plan am Beispiel der Pflegeversicherung. Neben der Finanzierung enthält das Konzept der PKV Vorschläge im Leistungsbereich und zur Stärkung der Prävention.