Meldung 30. Januar 2025

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) fordert grundlegende strukturelle Weichenstellungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter spricht sich für Wettbewerb, Kapitaldeckung und mehr Eigenverantwortung in der Kranken- und Pflegeversicherung aus.

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Die dynamisch steigenden Lohnzusatzkosten belasten die Unternehmen in Deutschland. In einem gemeinsamen Appell an die nächste Bundesregierung haben die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft dazu aufgerufen, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit oben auf die Agenda der nächsten Bundesregierung zu setzen. Die 40-Prozent-Grenze bei den Lohnzusatzkosten muss wieder eingehalten werden, stellt BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter klar. Welchen Reformbedarf die Arbeitgeber für die Finanzierung der Krankenversicherung und Pflegeversicherung sehen, erläutert er in unserem Interview.

Herr Kampeter, die Arbeitgeber in Deutschland finanzieren mit ihren Sozialbeiträgen den größten Teil der laufenden Gesundheitsausgaben. Wie beurteilen Sie die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems?

Wir wollen, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesund in unseren Betrieben arbeiten. Das setzt voraus, dass wir ein vernünftiges und leistungsfähiges Gesundheitssystem haben. Wir spüren aber in den Diskussionen in den Betrieben, dass beklagt wird, dass immer mehr bezahlt wird, aber gleichzeitig die Unzufriedenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigt. Das heißt, immer teurer bei immer schlechter empfundener Leistung. Ich glaube, wir brauchen dringend Reformen im Gesundheitswesen, damit wir nicht für mehr Geld mehr Unzufriedenheit bekommen.

Laut einer aktuellen Umfrage sehen die Betroffenen in den Bereichen Gesundheit und Pflege den größten Handlungsbedarf für die neue Bundesregierung. Welchen Reformbedarf sehen Sie im Gesundheitswesen?

Das deutsche Gesundheitswesen ist eigentlich gut aufgestellt. Es hat nur einen enormen Anpassungsbedarf. Wir haben in den letzten Jahren viel zu viel liegen gelassen. Die Gesundheitspolitik hat die Hände in den Schoß gelegt und gesagt: Hoppla, wir versprechen immer mehr Leistungen, haben aber vergessen, für eine solide Finanzierung zu sorgen. Wir brauchen eine grundsätzliche Neuordnung in einzelnen Bereichen, insbesondere in der stationären Versorgung. Und ich glaube, das motiviert auch alle, die im Gesundheitssystem arbeiten. Denn es ist ja nicht so, dass wir schlechte Pflegekräfte oder schlechte Ärzte haben. Wir haben nur eine schlechte Politik.

Im deutschen Gesundheitssystem gibt es einen Wettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Welche Bedeutung messen Sie dem dualen Gesundheitssystem für die Qualität und Innovationskraft des Gesundheitswesens bei?

Wettbewerb ist eines der Grundprinzipien der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Das gilt eigentlich für alle Bereiche. Auch im Gesundheitswesen sorgt Wettbewerb dafür, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen und die Qualität hoch bleibt. Überall dort, wo der Wettbewerb eingeschränkt wird, bekommen wir höhere Kosten und schlechtere Qualität.

Und wenn ich mir die privaten Krankenversicherungen anschaue, dann stabilisieren sie das System der gesetzlichen Krankenkassen, das in Teilen nicht mehr stabil ist. Sie sind immer vorne dabei, wenn es um Innovationen geht. Und sie schreien nicht nach Staatszuschüssen wie die gesetzlichen Krankenkassen, sondern sie regeln ihre Dinge selbst. Das ist Wettbewerb, wie ich ihn mir vorstelle.

Die umlagefinanzierten gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen verzeichnen hohe Defizite, die Beitragssätze steigen. Dabei stehen die großen Herausforderungen des demografischen Wandels erst noch bevor. Beunruhigt Sie diese Entwicklung?

Hohe Beitragssätze sind eine Steuer auf Arbeit und verlagern Arbeit aus Deutschland heraus. Und diese Dynamik macht mir Sorgen. Die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen haben kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabenproblem. Die Politik reagiert darauf, indem sie Geld auf das Problem schüttet und sagt, wir kassieren jetzt zum Beispiel bei den Sparern und kassieren hier und kassieren da. Aber die Ausgaben entwickeln sich dynamisch weiter.

Der Schwerpunkt der Reformen darf nicht auf der Erschließung neuer, unvernünftiger und unanständiger Finanzierungsquellen liegen. Der Schwerpunkt der Reformen muss auf der Senkung der Ausgaben liegen. Qualitätssicherung und Effizienz-Mobilisierung, das bedeutet nicht, die Leistungen der Gesundheitspolitik zu reduzieren, sondern jeder ist froh, wenn er für eine gute Leistung weniger bezahlen muss.

Auf der Suche nach neuen Finanzierungsquellen plädieren manche dafür, die Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung auf das Niveau der Rentenversicherung anzuheben. Wie stehen die Arbeitgeber dazu?

Wir haben zu hohe Lohnzusatzkosten in Deutschland. Und wenn man statt Reformen zu machen und Probleme zu lösen, Geld auf diese Probleme schüttet, indem man einfach mehr Einnahmen generiert, dann löst man kein einziges Problem. Wir sind für Problemlösungsstrategien, die Ausgaben senken, stabilisieren oder Beiträge senken. Dass man jetzt sogar versucht, die Sparerinnen und Sparer zu schröpfen, um Reformen im Gesundheitswesen zu vermeiden. Das ist absurd und zeigt eigentlich, dass die Politik der Herausforderung, zumindest der gesundheitspolitischen Herausforderung, teilweise nicht gewachsen ist.

Regelmäßig in Wahlkampfzeiten werben einige Parteien mit dem Konzept einer Bürgerversicherung. Welche Folgen hätte Ihrer Meinung nach die Einführung einer Einheitsversicherung für die deutsche Wirtschaft?

Wettbewerb und Staatswirtschaft schließen sich aus, und alle staatssozialistischen Gesundheitssysteme, wie wir sie z.B. in Großbritannien kennen, stellen die Menschen nicht zufrieden. Eine Verstaatlichung, eine Sozialisierung oder ein staatswirtschaftlicher Umbau - nichts anderes ist die Bürgerversicherung - hilft nicht wirklich aus den gesundheitspolitischen, aus den demografischen und aus den gesellschaftspolitischen Herausforderungen, die wir haben. Das ist ein Begriff aus der Mottenkiste. Und was auf die Tagesordnung gehört, sind entschlossene, engagierte Reformen.

Welche Bedeutung hat die kapitalgedeckte PKV für den Wirtschaftsstandort und die Unternehmen in Deutschland?

Die Kapitaldeckung ist eine Beitragsbremse. Das muss man sehen. Mehr Eigenverantwortung bedeutet auch weniger dynamisch steigende Sozialversicherungsbeiträge. Und damit wird Arbeit in Deutschland im Vergleich zu unseren Wettbewerbern wieder ein Stück weit bezahlbar.

Das heißt, eine sinnvoll und klug aufgebaute Kapitaldeckung in den Sozialversicherungen ist ein Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und ein Beitrag, Arbeit in Deutschland zu halten. Sie unterstützt das Ziel, den sozialen Standard hier auf hohem Niveau und auf einem vernünftigen und bezahlbaren Niveau weiterzuentwickeln. 


Interview-Serie „Starke Stimmen - starkes Gesundheitssystem" (Kopie 1)

Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über Herausforderungen und Lösungen für das Gesundheitssystem

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