Stellungnahme 27. September 2022

Stellungnahme des PKV-Verbands zum Gesetzentwurf der Bundesregierung
für ein Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – GKV-FinStG).

Überblick

  • Das für 2023 prognostizierte Defizit der GKV hat strukturelle Ursachen: Trotz einer guten konjunkturellen Entwicklung und eines stabilen Wachstums der beitragspflichtigen Einnahmen steigen die Ausgaben der GKV seit Jahren dynamischer an als die Einnahmen.
  • Die vorgesehenen Maßnahmen auf der Einnahmenseite wirken nur kurzfristig. Mittel- und langfristig gibt es keine Vorschläge, wie die Krankenkassen mit geringstmöglichen Finanzreserven, aber mit der Verpflichtung zur Rückzahlung eines Darlehens, die Leistungsansprüche der Versicherten erfüllen sollen. Die GKV wird einer expliziten Verschuldung unterworfen – und dies zusätzlich zu ihrer impliziten Verschuldung, da die GKV-Umlagefinanzierung keine Vorsorge dafür trifft, dass die Ausgaben für die gesetzlichen Leistungszusagen in den kommenden Jahrzehnten demografiebedingt steigen werden.
  • Maßgeblich zum Schließen der Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben der GKV wären Reformen auf der Ausgabenseite – die im vorgelegten Gesetzentwurf ausbleiben.

I. Allgemeine Anmerkungen

Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz soll das im Jahr 2023 drohende Defizit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Höhe von mindestens 17 Mrd. Euro kurzfristig überbrückt werden, um den Anstieg der Zusatzbeitragssätze zu begrenzen. Dazu werden auf der Einnahmeseite die Beitragszahlenden über eine Erhöhung der Zusatzbeiträge und eine Reduzierung der Finanzreserven der Krankenkassen herangezogen, zusätzlich werden weitere Bundesmittel in Höhe von 2 Mrd. Euro und ein Darlehen in Höhe von 1 Mrd. Euro bereitgestellt. Auf der Ausgabenseite sollen die Arzneimittelausgaben stabilisiert werden, u.a. durch eine Verlängerung des Preismoratoriums, eine Anhebung des allgemeinen Herstellerabschlags, eine Geltung des Erstattungsbetrags nach § 130b SGB V ab dem siebten Monat nach dem erstmaligen Inverkehrbringen und Änderungen am AMNOG-Verfahren.

Die Finanzierung der GKV unterliegt Limitierungen: Auf der einen Seite belastet eine Anhebung von Beiträgen und Zusatzbeiträgen den Faktor Arbeit, setzt die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen in Zeiten von Inflation und Energiekrise aufs Spiel und reduziert die Kaufkraft der Bevölkerung weiter.

Die derzeit diskutierte Anhebung von Beitragsbemessungsgrenze würde nur im ersten Schritt zu einer Verbesserung der Einnahmebasis führen. Das Instrument würde der Konkurrenzfähigkeit des Standorts Deutschland massiven Schaden zufügen und in der Folge die Einnahmebasis für die GKV verschlechtern. Ein Beispiel eines Angestellten in einem Software-Unternehmen mit einem Jahreseinkommen von 87.600 Euro soll dies demonstrieren: Während sein Beitrag zu GKV/SPV in 2022 bei 11.000,50 Euro lag, würde diese bei einer Umsetzung des Vorschlags bei 16.863,00 Euro liegen. Das wäre ein Anstieg innerhalb eines Jahres um 5.862,50 Euro, mithin um 53,3%. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze wirkt damit als Strafabgabe für besonders qualifizierte Arbeitsplätze. Ginge mit einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze einher, entspräche dies der Angestellten-Bürgerversicherung.

Auf der anderen Seite führt eine Erhöhung des Steuerzuschusses mittelbar zu einer Erhöhung der Staatsverschuldung, der durch die verfassungsmäßig garantierte Schuldenbremse Grenzen gesetzt sind. Davon abgesehen ist die Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben, die wie die GKV-Ausgaben rein konsumtiven Zwecken dienen, damit nicht vereinbar. Vor diesem Hintergrund ist der Verzicht auf den ergänzenden Bundeszuschuss gem. § 221a SGB V von zuletzt 14 Mrd. Euro zu begrüßen.

Mithin müsste der Fokus der Gesetzgebung auf dem Ausgabenbereich liegen, zumal die Ursachen des Defizits in den Leistungsausweitungen der letzten beiden Legislaturperioden zu finden sind. Die mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen nehmen aber weder die Ursachen des Defizits in den Blick noch stabilisieren sie die GKV-Finanzen nachhaltig: Es werden keine strukturellen Maßnahmen zur Hebung von Effizienzreserven vorgeschlagen; es gibt keine Inventur von bürokratischen Aufwänden und unwirtschaftlichen Strukturen bei der Administration des Sachleistungsprinzips und in einzelnen Leistungsbereichen. Optionen für Strukturreformen, die nicht zwangsläufig einen „Abbau des Sozialstaats“ bedeuten, mithin sogar zu einer Verbesserung der Versorgung führen könnten, werden nicht einmal diskutiert. Und es gibt keine Vorschläge, wie die Krankenkassen nach 2023 mit geringstmöglichen Finanzreserven, aber mit der Verpflichtung zur Rückzahlung eines Darlehens, die Leistungsansprüche der Versicherten erfüllen sollen. Die GKV wird einer expliziten Verschuldung unterworfen – und dies zusätzlich zu ihrer impliziten Verschuldung, da die GKV-Umlagefinanzierung keine Vorsorge dafür trifft, dass die Ausgaben für die gesetzlichen Leistungszusagen in den kommenden Jahrzehnten demografiebedingt steigen werden.

Die für den Arzneimittelbereich vorgesehenen Maßnahmen betreffen auch die Unternehmen der Privaten Krankenversicherung. Die PKV ist 2010 in die Regelungen des AMNOG mit der Begründung einbezogen worden, dass infolge der Einführung der Pflicht zur Versicherung das duale Krankenversicherungssystem insgesamt seinen Versicherten die Teilhabe am medizinischen Fortschritt zu bezahlbaren Preisen ermöglichen muss.

Leitgedanke des AMNOG war, dass es bei einem verordneten Arzneimittel keine gesetzliche Preisdifferenzierung nach dem Versichertenstatus geben kann. Aus sozialstaatlichen Erwägungen ergebe sich, dass Personen, die gesetzlich zu einer Absicherung im Krankheitsfall verpflichtet sind, für das gleiche Arzneimittel nicht mit höheren Kosten belastet werden dürfen als Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit den in dieser Stellungnahme vorgeschlagenen Regelungen soll vor diesem Hintergrund Tendenzen der Entkopplung von Preisen in GKV und PKV entgegengewirkt werden.  

Auch die Regelung, dass ab dem Jahr 2024 nur noch die Pflegepersonalkosten qualifizierter Pflegekräfte, die in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen eingesetzt sind, im Pflegebudget berücksichtigt werden können, betrifft die Private Krankenversicherung. Die Regelung ist sinnvoll; so können bisherige Fehlentwicklungen korrigiert werden. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Kosten von Pflegepersonal, das überwiegend in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen tätig ist“ ohne weitere gesetzliche Konkretisierung konfliktbehaftet sein wird.

II. Bewertung einzelner Regelungen

Zu Art. 1 Nr. 11 (§ 130a SGB V – Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer)

Vorgeschlagene Regelungen

Der Herstellerabschlag nach Abs. 1 soll befristet bis Ende 2023 von 7 auf 12 Prozent angehoben werden, für Arzneimittel mit Erstattungsbetrag unter bestehender Ablösung des bisherigen Abschlags beträgt die Erhöhung 5 Prozent. Zusätzlich soll das Preismoratorium über das Jahr 2022 hinaus bis zum 31. Dezember 2026 verlängert werden.

Bewertung

Die mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf vollzogene Umstellung einer „Solidaritätsabgabe“ der pharmazeutischen Unternehmer auf einen erhöhten Herstellerabschlag ist sachgerecht und zu begrüßen. Durch die vorgesehene zeitliche Begrenzung auf lediglich ein Jahr sind die damit erwarteten Minderausgaben von ca. 1 Mrd. € jedoch auf 2023 begrenzt.

Die grundsätzliche Verlängerung des Preismoratoriums ist zu begrüßen. Die Regelung verhindert, dass einseitig bestimmte Preissteigerungen der pharmazeutischen Unternehmer zulasten der Krankenkassen und sonstigen Kostenträger abgerechnet werden dürfen. Das Preismoratorium hat sich als wirksames Regulierungsinstrument bewährt, das auch weiterhin für die Unternehmen der Privaten Krankenversicherungen und die Beihilfekostenträger erforderlich ist.

Die Arzneimittelausgaben in Deutschland sind in den letzten Jahren weiter angestiegen. Auch im Jahr 2019 stellten sie einen wesentlichen Teil der Ausgaben in der privaten Krankenversicherung dar und zeigen weiterhin die höchste Wachstumsdynamik innerhalb der ambulanten Leistungen auf. Die bei Nichtgeltung des Preismoratoriums möglichen Preiserhöhungen würden zu weiteren, unverhältnismäßigen Ausgabenanstiegen führen. Diese sind für Bestandsarzneimittel, deren Entwicklungskosten bereits amortisiert wurden, nicht zu rechtfertigen.

Zu Art. 1 Nr. 12 Buchstabe a (§ 130b SGB V - Vereinbarungen über Erstattungsbeträge)

Vorgeschlagene Regelungen

Es wird geregelt, dass in einer Erstattungsbetragsvereinbarung nach § 130b Absatz 1 insbesondere auch mengenbezogene Aspekte, wie eine mengenbezogene Staffelung oder ein jährliches Gesamtvolumen, vereinbart werden müssen. Damit sollen die Krankenkassen bei einer allgemeinen Mengenausweitung oder Zulassung neuer Anwendungsgebiete finanziell entlastet werden.

Bewertung

Durch die Regelung wird klargestellt, dass die Verhandlungspartner vertragliche Vorkehrungen für den Fall einer Ausweitung des Marktpotentials eines Arzneimittels mit neuem Wirkstoff treffen müssen, ohne dass zunächst die Ergebnisse einer erneuten Nutzenbewertung nach § 35a abgewartet werden müssen.

Bei einer Anpassung des Erstattungsbetrages muss die Information der PKV und ihre Partizipation abgesichert werden. Erfolgt dies nicht, muss eine gesetzliche Grundlage für zeitnahe und umfassende Angaben zur Berechnung der korrekten Erstattungsbeträge übermittelt werden.

Zu Art. 1 Nr. 13 (§ 130e SGB V - Kombinationsabschlag)

Vorgeschlagene Regelungen

Es wird geregelt, dass die Krankenkassen vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer einen Abschlag in Höhe von 20 Prozent des Erstattungsbetrages erhalten, wenn das Arzneimittel in einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss benannten Kombination eingesetzt wird. Der Kombinationsabschlag soll zusätzlich zum Herstellerabschlag anfallen. Zudem wird geregelt, dass die Krankenkassen oder ihre Verbände mit pharmazeutischen Unternehmern Vereinbarungen zur Abwicklung des Kombinationsabschlages treffen.

Bewertung

Der neu vorgesehene Kombinationsabschlag gemäß § 130e SGB V steht in enger sachlicher Verbindung zu den jeweiligen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Es ist erforderlich, dass die Regelungen auch für die PKV gelten und die Unternehmen der Privaten Krankenversicherung und der PKV-Verband entsprechende Vereinbarungen mit den pharmazeutischen Unternehmen schließen dürfen.

Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass dieses Instrument voraussichtlich nur eingeschränkt wirksam sein wird, da die Hersteller aufgrund der freien Preisbildung potentielle Abschläge antizipieren und initial einpreisen werden. Damit würde sich im Ergebnis die Behandlung mit diesen neuen Arzneimitteln bei Einsatz außerhalb von Kombinationen dementsprechend sogar verteuern.

Zu Art. 1 Nr. 20 (§ 221 Abs. 1 SGB V – Bundeszuschuss)

Vorgeschlagene Regelungen

Der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds wird im Jahr 2023 um 2 Mrd. Euro erhöht.

Bewertung

An die Stelle des § 221a SGB V mit ergänzenden Bundeszuschüssen in 2022 in Höhe von 14 Mrd. Euro tritt nun eine Ergänzung des § 221, der zufolge im Jahr 2023 lediglich 2 Mrd. Euro Steuermittel zusätzlich an den Gesundheitsfonds gezahlt werden. Diese Trendumkehr wird mit Blick auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen begrüßt.

III. Weiterer Regelungsbedarf

Änderung des Arzneimittelrabattgesetzes (AMRabG)

Die Umsetzung der Regelung des § 130b SGB V führt derzeit in der Praxis zu deutlichen Schwierigkeiten. Weder dem Verband der Privaten Krankenversicherung noch den Unternehmen der privaten Krankenversicherung oder den Beihilfeträgern oder dem nach § 2 Satz 1 AMRabG gebildeten Unternehmen, der ZESAR GmbH, sind die inhaltlichen Details der nach § 130 b Abs. 1 SGB V geschlossenen Vereinbarung zu Erstattungsbeträgen im Einzelnen bekannt. Aus den dem Verband der Privaten Krankenversicherung zur Herstellung des Benehmens vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen zur Kenntnis gebrachten Informationen gehen insbesondere die nachstehenden Angaben nicht hervor:

  • Die Laufzeit von vereinbarten oder festgelegten Erstattungsbeträgen ist nicht immer bekannt.
  • Die Gültigkeit eines Erstattungsbetrages ist an bestimmte Ereignisse geknüpft (bspw. Überschreitung einer gewissen Umsatzschwelle im GKV-Bereich oder Patentablauf), die ZESAR nicht bekannt sind.
  • Ein Arzneimittel wird in ein Festbetragsarzneimittel umgewandelt und der Herstellerabschlag entfällt. ZESAR erhält hierüber keine Mitteilung.
  • Kündigungen der verhandelten Erstattungsbeträge gem. § 130b SGB V werden ZESAR nicht übermittelt oder öffentlich gemacht.

Die Abwicklung der Ansprüche nach § 130b SGB V führt aufgrund der unzureichenden Datenlage zu Konfliktpotenzial mit den Pharmaunternehmen. Um korrekt abrechnen zu können, benötigen die Kostenträger die aufgeführten Informationen. Um sicherzustellen, dass diese Daten tatsächlich vorliegen, sollte der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der der Vertragspartner der Vereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V ist, verpflichtet werden, die notwendigen Daten an ZESAR zu übermitteln.

Auch durch die Vorverlegung der rückwirkenden Geltung des Erstattungsbetrags auf den siebten Monat nach erstmaligem Inverkehrbringen eines Arzneimittels werden Rabatte häufiger rückwirkend geltend zu machen sein. Auch dies erfordert eine gesetzliche Verbesserung der Information an die PKV, welcher Erstattungsbetrag in welchem Zeitraum gültig ist.

Vor diesem Hintergrund wird in Abstimmung mit der Beihilfe vorgeschlagen:

§ 1a des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel wird wie folgt geändert:

  1. Der bisherige Wortlaut wird Absatz 1.
  2. Folgende neue Absätze werden eingefügt:

„(2) Zur Durchführung hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen dem nach § 2 Satz 1 gebildeten Unternehmen die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen. Dies sind insbesondere:

  • die Pharmazentralnummer des Produktes und der Klarname,
  • die ID des abgebenden Pharmaunternehmens,
  • der vormalige Herstellerabgabepreis (ApU),
  • der Erstattungsbetrag (EB),
  • der Differenzbetrag zwischen vormaligem ApU und EB,
  • der Zeitraum für die Berechnung des Nacherstattungsbetrages mit Start- und Enddatum,
  • Rabattansprüche nach § 130a SGB V auf Basis des vormaligen ApU,
  • Rabattansprüche nach § 130a SGB V auf Basis des EB und
  • Ablösung der Rabattansprüche nach § 130a SGB V.

(3) Das nach § 2 Satz 1 gebildete Unternehmen kann die in Absatz 2 genannten Daten an die in § 1 Satz 1 aufgeführten privaten Krankenversicherungen und Kostenträger offenbaren, soweit sie zum Vollzug des Gesetzes erforderlich sind; im Übrigen sind sie vertraulich zu behandeln.“