Interview

Wer gesund aufwächst, hat größere Chancen auch als Erwachsener lange gesund zu bleiben. Darum fördert die PKV Präventionsprogramme speziell für Kinder und Jugendliche – eines von ihnen ist "Weitblick".

Maximilian von Heyden, Initiator "Weitblick"

Im Interview erläutern der Ideengeber Maximilian von Heyden, Projektleiterin Karen Brünger und die PKV-Präventionsreferentin Theresa Louis, worum es bei “Weitblick” geht.

Prävention hat in der PKV Tradition. “Weitblick” ist ein relativ junges Programm, das der Verband seit November 2022 fördert. Was steckt dahinter?

Theresa Louis: Studien zeigen, dass Schulen im Bereich Suchtprävention einen besonders großen Bedarf haben. Deswegen haben wir uns entschieden, uns in diesem Bereich stärker aufzustellen. Aus einem Brainstorming mit Partnern ist zunächst eine Strategie entstanden, die die Risiko- und Schutzfaktoren der Kinder und Jugendlichen erkennt. Daraus ist schließlich “Weitblick” geworden. 

Maximilian von Heyden: “Weitblick” basiert auf einem wissenschaftlich bewährten Ansatz, den wir aufgegriffen haben und für Schulen maßschneidern. “Communities That Care” (CTC) ist eine präventive Rahmenstrategie für Kommunen, die seit den Achtzigerjahren weltweit erfolgreich umgesetzt wird und ihre Wirksamkeit belegt hat.

Theresa Louis, PKV-Präventionsreferentin

Der PKV-Verband gliedert sein Präventionsengagement nach Lebensphasen. “Weitblick” gehört in den Bereich “Gesund aufwachsen”. Warum ist es so wichtig, möglichst früh anzufangen, die Gesundheit zu fördern?

Theresa Louis: Schule ist eine ganz zentrale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen – und Lebenswelten beeinflussen maßgeblich unsere Gesundheit. Während Kinder aufwachsen, ist der größte Einfluss auf ihre Entwicklung möglich. Deshalb setzen wir hier an. Wir wollen verhindern, dass späteres Risikoverhalten – und in der Folge Krankheit – überhaupt entsteht.

Karen Brünger, Projektleiterin "Weitblick"

Welches Ziel verfolgt “Weitblick – Gesunde Schule hat Methode”?

Karen Brünger: Unsere langfristige Vision ist, dass alle Schülerinnen und Schüler gesund aufwachsen. Schule ist deshalb so ein besonderer Ort, weil dort alle gesellschaftlichen Schichten zusammenkommen. Wir haben hier die Chance, ihnen in einer ganz entscheidenden Lebensphase etwas mitzugeben. 

Theresa Louis: Wir möchten erreichen, dass die Schülerinnen und Schüler gesundheits-, aber auch lebenskompetent werden. Denn in dieser Phase haben Kinder und Jugendliche unglaublich viel zu bewältigen. Mit “Weitblick” wollen wir ihre Resilienz fördern, ihre Reflexionsfähigkeit – und nicht zuletzt ihr Bewusstsein dafür stärken, dass es so etwas wie Gesundheit gibt. Das gibt ihnen eine große Selbstwirksamkeit. 

Das Besondere ist, dass wir nicht nur von sichtbaren Verhaltensproblemen ausgehen. Wir decken die Ursachen auf.

Maximilian von Heyden , Initiator "Weitblick"

Wie gehen Sie bei “Weitblick” vor?

Karen Brünger: Mithilfe eines wissenschaftlich fundierten anonymem Fragebogens ermitteln wir die individuellen Risiko- und Schutzfaktoren im Leben der Kinder und Jugendlichen. Also zum Beispiel, ob es Konflikte in der Familie gibt oder eine fehlende Bindung zur Schule. Aber wir erfahren auch, was gut läuft, etwa, ob die Kinder und Jugendlichen positive Interaktionen im Freundeskreis erleben oder ob es Gelegenheiten zur Mitwirkung in der Schule gibt.

Maximilian von Heyden: Das Besondere ist, dass wir nicht nur von sichtbaren Verhaltensproblemen ausgehen. Wir decken Ursachen auf, die oft m Verborgenen liegen und für eine soziale Entwicklungsstrategie der wichtigste Ansatz sind.

Welchen Einfluss haben die Risiko- und Schutzfaktoren?

Karen Brünger: Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Heranwachsende problematische Verhaltensweise wie Substanzkonsum oder gewaltvolles Verhalten entwickeln; Schutzfaktoren unterstützen ein gesundes Aufwachsen.

Was passiert mit den ausgewerteten Fragebögen?

Karen Brünger: Im Rahmen eines Workshops stellen wir die Ergebnisse in der Schule vor und gleichen sie mit den subjektiven Empfindungen der Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrer ab. Gemeinsam priorisieren wir die Risiko- und Schutzfaktoren, die in den kommenden zwei Jahren bearbeitet werden sollen. Das sind meist zwei oder drei Bereiche, für die ein Präventionskonzept erstellt wird. Denn klar ist auch: Keine Schule kann alles auf einmal bewältigen. 

Theresa Louis: Aus den Fragebögen lassen sich auch gesellschaftlich und gesundheitspolitisch relevante Erkenntnisse ableiten: Wie geht es den Kindern und Jugendlichen, wie ist ihr Gesundheitszustand? Welchen Präventionsbedarf haben unsere Schulen? Ende 2024 können wir auf erste aggregierte Daten zugreifen, die wir dann auch öffentlich zugänglich machen wollen. 

Wie wirkt “Weitblick” dann weiter?

Karen Brünger: Ausgehend von der sogenannten Grünen Liste Prävention und anderen Registern helfen wir, Präventionsprogramme zu recherchieren, die die individuell ermittelten Bedarfe bedienen. Häufig wissen die Schulen ja gar nicht, welche Programme es gibt, welche Ressourcen man benötigt und wie man sie beantragt. Wir geben den Lehrerinnen und Lehrern aber auch direkt Ideen, die zum Beispiel die Unterrichtsqualität und das Klassenklima fördern können.

Theresa Louis: “Weitblick” ist eines der Vorreiter-Projekte auf der digitalen Plattform “Gesundheit gestalten”, die der PKV-Verband entwickelt hat und betreibt. Die Schulen durchlaufen hier zum Beispiel E-Learnings und rufen ihre individuellen Materialien ab.

Das individuelle Vorgehen hat großen Einfluss auf das Ergebnis. Das ist nicht selbstverständlich im Präventionsbereich – wir sind hier Vorreiter.

Theresa Louis , PKV-Präventionsreferentin

“Weitblick” selbst sieht also keine konkrete Leistung in der Schule vor, um bestimmte Felder zu bearbeiten?

Theresa Louis: Genau. Wir bezeichnen es als Strategie oder eine Methode. “Weitblick” passt sich dynamisch an die Herausforderungen und Ressourcen in der Schule an. Studien haben gezeigt, dass dieses individuelle Vorgehen großen Einfluss auf das Ergebnis hat. Das ist aber noch nicht selbstverständlich im Präventionsbereich – die PKV ist mit ihrem Ansatz weit vorn.

Lehrermangel, Inklusion, erzieherische Defizite zu Hause: Schulen haben mit vielen Herausforderungen zu tun. Können sie Präventionsarbeit überhaupt leisten?

Maximilian von Heyden: Sie sollten es – in ihrem eigenen Interesse. Politisch gesehen knüpft “Weitblick” an einen Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2012 an, der Prävention und Gesundheitsförderung als fundamentale Aspekte der Schulentwicklung sieht. Dazu gehören zum Beispiel die Sucht- und Gewaltprävention, sowie Stressprävention und Selbstmanagement. Schulen können unmöglich für jedes soziale oder gesundheitliche Problem ein eigenes Programm vorhalten. Eine individuelle Rahmenstrategie, die an den Ursachen ansetzt, ist vielversprechender.

Karen Brünger: Das führt bestenfalls zu einer Entlastung und Verbesserung des Bildungserfolgs. Gibt es weniger Störungen im Unterricht, können sich die Kinder besser konzentrieren. Verbessert sich die Lernatmosphäre, wird auch das Arbeiten angenehmer – Zufriedenheit und Lernerfolg steigen. Klar ist, dass die Schulen hier Unterstützung benötigen. Die bieten wir.

“Weitblick” ist im November 2022 gestartet – wo steht es jetzt?

Maximilian von Heyden: Wir sind aktuell in 20 Schulen aktiv. Bis zum Jahr 2026 wollen wir 72 Schulen in allen Bundesländern erreichen. Das ist schon eine relevante Größe, gemessen an der Anzahl der Schülerinnen und Schüler. Wenn wir ihnen durch “Weitblick” helfen, das Beste aus ihren Lebenschancen zu machen und unnötige Krankheit verringern, können wir die gesamte Gesellschaft voranbringen.

Theresa Louis: “Weitblick” wird von der Medizinischen Hochschule Hannover evaluiert: zum einen der Prozess der Entwicklung und Pilotierung, um das Projekt fortlaufend zu optimieren. Zum anderen wird aber auch auf die Wirksamkeit des Projektes geschaut, um in ein paar Jahren den tatsächlichen Beitrag von “Weitblick” für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen beziffern zu können.