Meldung 13. Februar 2023

Thomas Brahm ist seit Anfang 2023 Vorsitzender des PKV-Verbands. Im Interview sagt er, welche Themen ihm besonders am Herzen liegen und warum eine schuldenfinanzierte Sozialpolitik eine Protestwelle der jüngeren Generationen rechtfertigen würde.

Herr Brahm, Sie haben in diesem Jahr den Vorsitz des PKV-Verbands übernommen. Welche Themen liegen Ihnen dabei besonders am Herzen?

Wir sind als Private Krankenversicherung ein wichtiger Teil des Systems der sozialen Sicherung in Deutschland. Fast jeder zweite Deutsche ist in der PKV, wir versichern insgesamt fast 38 Millionen Menschen mit Voll- und Zusatzversicherungen. Das Gesundheitssystem steht durch den demografischen Wandel, also die starke Alterung unserer Gesellschaft, unter immer größerem finanziellen Druck. Die gesetzliche Krankenversicherung und die Soziale Pflegeversicherung verzeichnen schon heute Milliardendefizite. Und die Lage dieser beiden umlagefinanzierten Systeme wird durch den Trend zu immer mehr älteren Versicherten und immer weniger erwerbstätigen Beitragszahlern zusehends schwieriger. Die Gesundheitspolitik steht also vor großen Herausforderungen. Unser Anspruch als PKV ist, dass wir hier ein wichtiger Teil der Lösung sind. Denn die Private Kranken- und Pflegeversicherung ist mit ihrem nachhaltigeren Finanzierungsmodell, dass von Anfang an eine finanzielle Vorsorge für die Kosten im Alter aufbaut, viel stabiler aufgestellt. Unsere Rolle als zweite Säule zur Finanzierung des Gesundheitswesens und der Pflege in Deutschland wird in der Zukunft eher noch wichtiger werden.

Was kann die PKV konkret zur Lösung der demografischen Probleme beitragen?

Es könnten und sollten viel mehr Menschen in Deutschland für ihre Gesundheits- und Pflegeversorgung im Alter vorsorgen. Wir können diese nachhaltige Lösung auch für gesetzlich Versicherte als Zusatzversicherung anbieten. So könnten zum Beispiel die Demografie-Probleme der Pflege durch Anreize zu privater Pflegevorsorge dauerhaft verringert werden.

Wie gut unser nachhaltiges Modell funktioniert, können Sie an der Entwicklung der kapitalgedeckten Alterungsrückstellungen in der PKV erkennen. Diese Demografie-Reserve beträgt aktuell über 316 Milliarden Euro – zweckgebunden für die medizinische und pflegerische Versorgung unserer Versicherten im Alter.

Man spürt, das Thema Nachhaltigkeit liegt Ihnen ganz besonders am Herzen.

Wir müssen unseren Kindern eine Welt übergeben, in der nicht alle Ressourcen verbraucht sind. Das gilt nicht nur für den Klimaschutz – der übrigens auch unsere Arbeit in den Versicherungsunternehmen betrifft, etwa bei der Auswahl unserer Kapitalanlagen. Sondern die Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen muss eben auch für die Finanzierbarkeit unserer sozialen Sicherungssysteme gelten. Die ungedeckten Lasten, die im Umlagesystem der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gerade aufgebaut werden, fressen schon heute die Reserven der nachfolgenden Generation auf. Diese Zukunftslasten erreichen ein Ausmaß, das eine eigene Protestwelle der Jüngeren à la Fridays-for-Future rechtfertigen würde.

Hier nimmt die Private Krankenversicherung eine doppelte soziale Verantwortung wahr: die Solidarität der Gesunden mit den Kranken, die zum Wesen jeder Versicherung gehört, und zusätzlich die Solidarität mit den nachfolgenden Generationen, die wir nicht belasten. Denn unsere Versicherten sorgen vom ersten Tag an für die Demografie und die höheren Kosten im Alter vor. Dieser Kapitalstock der Privatversicherten wächst derzeit umgerechnet jede Minute um rund 25.596 Euro. Das ist gelebte Generationengerechtigkeit.

Nach dem Fahrplan von Gesundheitsminister Lauterbach soll demnächst die Finanzierung der Pflegeversicherung reformiert werden. Was kann die PKV dazu beitragen?

Wir sind meines Wissens der einzige Verband, der ein eigenes Konzept zur nachhaltigen Reform der Pflegefinanzierung vorlegt hat, den „Neuen Generationenvertrag für die Pflege“. Damit würde für die Älteren eine gewisse Dynamisierung der Pflege-Leistungen eingeführt und für die Jüngeren eine zusätzliche finanzielle Vorsorge gefördert – sodass der Beitragssatz zur Sozialen Pflegeversicherung stabilisiert werden kann.

Der Gesetzgeber könnte zudem mit vergleichsweise geringem Aufwand die private Pflege-Vorsorge stärken, etwa durch die steuerliche Abzugsfähigkeit der Beiträge. Auch betriebliche Pflegeversicherungen, in denen die Arbeitgeber einen Zusatzschutz für ihre Belegschaften organisieren, könnten sehr schnell sehr viele Menschen besser absichern. Dafür gibt es ein sehr erfolgreiches Beispiel der Tarifpartner in der Chemie-Industrie. Da gibt es also viele konkrete Ansatzpunkte, wie Deutschland die Pflege stabiler absichern kann.

Große Sorge macht mir hingegen die von manchen Politikern als vermeintliche Lösung gewünschte Flucht in zusätzliche Bundeszuschüsse zur Pflege- und Krankenversicherung. Das bedeutet nur zusätzliche Schulden und noch mehr zusätzliche Lasten auf den Schultern der nachfolgenden Generation. So eine Sozialpolitik auf Pump hätte heftigen Widerstand verdient. Je mehr das Gesundheitswesen von Geld aus der Staatskasse abhängt, desto mehr droht eine Medizin und Pflege „nach Kassenlage“. Wohin das führen kann, lässt sich an dem abschreckenden Beispiel Großbritannien besichtigen.

Sie haben unlängst die neuesten Geschäftsdaten der Branche für 2022 veröffentlicht. Sind Sie mit der Entwicklung zufrieden?

Erfreulich ist unser Plus, dass nunmehr schon fünf Jahre in Folge mehr Menschen von der Gesetzlichen in die Private Krankenversicherung wechseln als umgekehrt. Und auch in der Zusatzversicherung gab es ein Wachstum um mehr als 2 Prozent auf insgesamt gut 29 Millionen Verträge.

Unerfreulich ist, dass immer noch viel zu vielen Arbeitnehmern die Wahlfreiheit vorenthalten wird, ob sie sich für eine Gesetzliche oder Private Krankenversicherung entscheiden wollen. Denn die vom Gesetzgeber verhängte Versicherungspflichtgrenze wurde in den letzten 10 Jahren um fast 30 Prozent erhöht auf aktuell 66.600 Euro Jahresbruttoeinkommen. So muss ein Arbeitnehmer heute 14.400 Euro mehr verdienen als vor zehn Jahren, um in die PKV wechseln zu können.

Dass jedes Jahr fast 300.000 Versicherte zwischen den beiden Systemen wechseln, belegt einen funktionierenden Wettbewerb. Das ist gut für die Qualität des Gesundheitswesens, denn es motiviert GKV und PKV gleichermaßen, stetig besser zu werden, um die Versicherten zu überzeugen. So ist es kein Zufall, dass Deutschland bei medizinischen Innovationen im europäischen Vergleich oft weit vorne liegt. Hier weise ich natürlich gerne darauf hin, dass neue Behandlungsmethoden und Medikamente in der PKV zumeist deutlich früher erstattet werden als in der GKV. Unter dem Strich kommt dieser Wettbewerb im dualen System aber allen Patienten zu Gute – egal wie sie versichert sind.