Interview

In der Pandemie haben die niedergelassenen Ärzte Krankenhäuser entlastet und zum wachsenden Erfolg der Impfkampagne beigetragen. Ohne unser duales Gesundheitssystem wäre das nicht möglich gewesen, meint Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbunds und Leiter des Hamburger Impfzentrums.

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11. August 2021 - Herr Heinrich, Sie sind nicht nur Bundesvorsitzender der niedergelassenen Ärzte, sondern auch Leiter des Hamburger Impfzentrums. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ursprünglich kam das zustande, weil ich Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung bin, die in Hamburg das Impfzentrum organisiert. Die medizinische Leitung liegt in den Händen von sechs Kolleginnen und Kollegen, die mich gebeten haben, ihr Sprecher zu sein.

Welche Erfahrungen haben Sie dort gesammelt?

Vor allem hat mich sehr erfreut, dass die Kolleginnen und Kollegen gerade aus dem niedergelassenen Bereich eine sehr hohe Bereitschaft gezeigt haben, im Impfzentrum und später auch in den Praxen tätig zu werden. Auch die medizinischen Fachangestellten aus ganz vielen Praxen arbeiten mit. Diese gemeinsame Anstrengung hat mich schon gefreut.

Deutschland ist ja auch deshalb so gut durch die Pandemie gekommen, weil die niedergelassenen Ärzte die ambulante Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleistet haben. Warum sind die niedergelassenen Ärzte so wichtig für Deutschland?

Das stimmt. 19 von 20 Corona-Patienten sind im niedergelassenen Bereich versorgt worden. In vielen Fällen haben die Praxen das so lange machen können, dass die Krankenhauseinweisungen rechtzeitig, aber auch nicht zu früh erfolgt sind. Das schützte die Krankenhäuser vor Überlastung. Da hat sich das System als sehr wohnort- und patientennah erwiesen. Das ist der große Vorteil des starken Netzes von Praxen in Deutschland: Es gibt in fast keinem Land einen so leichten Zugang zu ambulanter Medizin wie in Deutschland. Es gibt kaum Wartezeiten. Nirgendwo auf der Welt kann man so schnell und leicht einen Facharzt erreichen, sich untersuchen lassen und zu Antworten auf seine persönlichen gesundheitlichen Fragen kommen. Ich glaube, das ist der größte Vorteil gegenüber anderen Systemen, die immer mit Wartezeiten, mit Wartelisten oder mit Anstehen im Krankenhaus verbunden sind. Und das sollten wir nicht aufgeben.

Welchen Einfluss hat der Wettbewerb zwischen Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung auf das Gesundheitssystem?

Eine Einheitsversicherung, die gerne auch Bürgerversicherung genannt wird, damit es besser klingt, führt immer dazu, dass Sie letztlich ein Monopol aufbauen. Sie haben dann nur noch eine Krankenkasse, der alle Ärztinnen und Ärzte gegenüberstehen. Und das führt über kurz oder lang in ein staatliches Gesundheitswesen mit weniger Leistungen, mit sinkenden Preisen, mit weniger Terminen, mit Wartelisten – nicht nur für Operationen, sondern auch für Termine bei Haus- und Fachärzten. Deswegen ist ein Einheitssystem keine Lösung für anstehende Probleme im Gesundheitswesen. Zusätzlich fiele der Innovationsmotor weg. Denn den stellt der Selbstzahler, der Privatversicherte, dar. Er nimmt Leistungen in Anspruch, die neu sind und sich dann etablieren können. Aus all diesen Gründen lehnen wir eine Einheitsversicherung – oder eine Bürgerversicherung – ab.

Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung in Bezug auf das Gesundheitssystem?

Ich glaube, wir haben noch eine Menge Nachholbedarf im Bereich der stationären Versorgung. In Deutschland wird noch vieles stationär gemacht, was eigentlich ambulant gemacht werden kann. In vielen Ländern sehen wir, was eigentlich versorgungstechnisch möglich ist. Das wird in Deutschland noch nicht ausgeschöpft. Da sind finanzielle Ressourcen zu heben, die auch den Bürgern zugutekommen, indem sie vielleicht geringere Beiträge bezahlen müssen.