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Einmal mehr befasst sich der Bundestag mit Forderungen, die versicherungsfremden Leistungen in der Krankenversicherung auszubauen. Doch solche Pläne sind nicht nur sozialpolitisch ungerecht, sondern auch teuer. Leistungsausweitungen von heute sind die Steuer- und Abgabenerhöhungen von morgen.

24.02.2021 - Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten in diesem Jahr für versicherungsfremde Leistungen einen Bundeszuschuss von 19,5 Milliarden Euro; zudem werden den Pflegekassen Steuerzuschüsse von drei Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Insgesamt beträgt 2021 die Steuerfinanzierung 22,5 Milliarden Euro, das ist gegenüber 2020 nochmals ein massiver Anstieg um 2,7 Milliarden.

Welche Finanzrisiken mit diesen Steuerzuschüssen verbunden sind, zeigt schon die Entwicklung der letzten Jahre. Als vermeintlich vorübergehende Unterstützung wurde 2004 der erste Bundeszuschuss in Höhe von 1 Milliarde Euro an die GKV beschlossen, weil in der damaligen Konjunkturkrise deren Beitragseinnahmen gesunken waren. Fünf Jahre später – dann wegen der Finanzmarktkrise – waren es schon 7,2 Milliarden und ein Jahr später sogar 15,7 Milliarden Euro. Jetzt sind es – diesmal begründet mit der Corona-Krise – bereits über 20 Milliarden Euro. Pro Jahr. Diese Erfahrungen sollten den Finanzpolitikern und Steuerzahlern eine Warnung sein: Wenn die Tore für Steuerzuschüsse an die GKV einmal geöffnet sind, dann gehen sie nicht mehr zu, sondern drücken immer weiter auf.

Zu den versicherungsfremden Leistungen, die in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ein Fremdkörper sind, gehört das Kinderkrankengeld. Diese Lohnersatzzahlung für berufstätige Eltern, die ihre kranken Kinder betreuen, ist eine familienpolitische Leistung, die mit medizinischer Versorgung nichts zu tun hat. Dass diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf die dafür nicht vorgesehene GKV verlagert wird, führt auch zu Ungerechtigkeiten. Denn ein großer Teil der Familien, die als Steuerzahler zur Finanzierung der GKV-Zuschüsse beitragen, haben selber im Bedarfsfall keinen Anspruch auf das Kinderkrankengeld. Dennoch befasst sich der Gesundheitsausschuss im Deutschen Bundestag aktuell mit zwei Initiativen der Fraktionen von Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen, die den Anspruch auf Entgeltersatz für die Kinderbetreuung in der GKV sogar noch ausweiten wollen.

Das Kinderkrankengeld ist nicht der einzige Fremdkörper in der Sozialversicherung: Förderprogramme für die Aus- und Weiterbildung von Gesundheits- und Pflegeberufen, Hygieneförderprogramme, Primärprävention – die versicherungsfremden Leistungen in der Kranken- und Pflegeversicherung sind über die Jahre zu einer langen Liste herangewachsen. In den umlagefinanzierten Sozialversicherungen verschärft diese Entwicklung die finanzielle Schieflage von Kranken- und Pflegekassen.

Versicherungsfremde Leistungen verschärfen finanzielle Schieflage der Sozialversicherungen

Für neue versicherungsfremde Leistungen gibt es in der Gesetzlichen Krankenversicherung keinen finanziellen Spielraum. Die Krankenkassen haben das vergangene Jahr mit dem höchsten Defizit seit 2003 abgeschlossen. Das Minus ist 2020 auf 2,5 Milliarden Euro gestiegen. Ursächlich dafür waren weniger die Kosten der Corona-Pandemie, sondern zusätzliche Leistungen, die der Gesetzgeber neu eingeführt hat. Entsprechend alarmiert reagierte der GKV-Spitzenverband. Die Frage der nachhaltigen Finanzierung werde spätestens nach der Bundestagswahl ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Dann seien die Reserven der Kassen aufgebraucht. Und auch der Gesundheitsfonds werde wegen der Wirtschaftsentwicklung in Schwierigkeiten geraten. „Das dicke Ende für die gesetzliche Krankenversicherung kommt erst noch“, warnte auch Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, in der „Welt“. Die AOK rechnet für 2022 mit einem GKV-Defizit von mehr als 17 Milliarden Euro.

Demografie: Die Umlagefinanzierung stößt an ihre Grenze

Das Problem: Im demografischen Wandel stößt die Umlagefinanzierung der GKV zunehmend an ihre Grenze. Ab 2025 werden die ersten Babyboomer in Rente gehen – das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfänger wird sich zulasten der erwerbstätigen jüngeren Generationen verändern. Nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2019 dürfte das Defizit bis 2040 auf fast 50 Milliarden Euro steigen. In der Folge müsste der allgemeine Beitragssatz von derzeit 14,6 schrittweise auf 16,9 Prozent steigen.

Die Prognosen für die Soziale Pflegeversicherung (SPV) sind ähnlich düster. Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) zeigt, dass allein durch demografische Verschiebungen ein Anstieg des Beitragssatzes um mehr als ein Drittel bevorsteht – von derzeit 3,05 Prozent auf 4,1 Prozent im Jahr 2040. Hinzu kommt noch die Inflation: Wenn sich das Verhältnis von Pflegekosten und Beitragseinnahmen in den nächsten Jahren so weiterentwickelt wie in den letzten zehn Jahren, liegt der SPV-Beitragssatz schon im Jahr 2025 bei 4,85 Prozent – also fast zwei Drittel höher als heute.

Vor dem Hintergrund dieser demografischen Entwicklung verstoßen weitere Leistungsausweitungen in der umlagefinanzierten Sozialversicherung gegen das Gebot der Nachhaltigkeit. Denn egal ob durch Steuern oder Beiträge finanziert, sie gehen auf Kosten der nachfolgenden Generationen.

Die Steuerfinanzierung steht auch im Widerspruch zum dualen Krankenversicherungssystem aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung. Denn die Private Krankenversicherung erhält keine Steuerzuschüsse. Im Gegenteil: Nach Berechnungen des Wirtschaftsinstituts RWI tragen die Privatversicherten überproportional zu den Steuerzuschüssen an die GKV bei. Obwohl sie nur 10 Prozent der Versicherten in Deutschland stellen, sind die als Steuerzahler mit mehr als 20 Prozent an der Finanzierungbeteiligt.

Versicherten droht Finanzierung nach Kassenlage

Die Ausweitung versicherungsfremder Leistungen auf Kosten von Beitrags- und Steuerzahlern ist aber nicht nur finanzpolitisch unverantwortlich. Der Trend untergräbt zudem die ordnungspolitischen Grundprinzipien des beitragsfinanzierten Krankenversicherungssystems. Denn bei zunehmenden Steuerzuschüssen zur GKV verschwinden die Grenzen zwischen dem Steuer- und Beitragssystem. Der klare Zusammenhang zwischen Beitrags- und Leistungshöhe löst sich auf. Stattdessen treten die Nachteile steuerfinanzierter Gesundheitssysteme zutage. Denn Steuerzuschüsse sind schwankungs- und kürzungsanfällig, den Versicherten droht eine Finanzierung nach Kassenlage. Das duale deutsche System gewährleistet eine Finanzierung unabhängig von der jeweiligen Kassenlage des Staates. Das klingt abstrakt, aber man muss nur nach Großbritannien, Spanien oder Griechenland schauen, um zu erkennen, dass dieser Unterschied gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten gravierenden Folgen für die medizinische Versorgung haben kann.