Stellungnahme 24. Februar 2021

Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke und Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen zum Kinderkrankengeld.

  • Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch klare Regelung des Freistellungs- und Entgeltfortzahlungsanspruches bei Erkrankung der Kinder (BT-Drucksache 19/22496)
  • Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN Eltern mit kranken Kindern besser unterstützen – Lohnfortzahlungsanspruch und Kinderkrankengeld lebensnah reformieren BT-Drucksache 19/22501

Anlässlich der öffentlichen Anhörungvor dem Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 24. Februar 2021

I. Allgemein

Die Initiativen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen intendieren eine Verbesserung der Unterstützung von gesetzlich versicherten Eltern bei der Pflege ihrer akut kranken mitversicherten Kinder. In der Privaten Krankenversicherung gibt es weder eine beitragsfreie Mitversicherung noch einen Entgeltersatz bei Erkrankung eines Kindes. Beide Leistungen sind familienpolitisch motiviert und gehören nicht zum Spektrum einer Krankenversicherung. Für die Finanzierung derartiger versicherungsfremder Leistungen erhält die Gesetzliche Krankenversicherung einen Zuschuss aus dem Bundeshalt, im Jahr 2021 insgesamt 19,5 Mrd. Euro. An einer Finanzierung aus Steuermitteln sind Privatversicherte wie PKV-Unternehmen als Steuerzahler beteiligt, und zwar überproportional: neuesten Berechnungen des RWI zufolge sind allein die 10 Prozent Privatversicherten zu 20 Prozent am Steuerzuschuss zur GKV beteiligt.

Die beschriebenen Regelungen sind seit vielen Jahren geltendes Recht. Die Initiativen der Fraktionen, entstanden vor den Beschränkungen des zweiten Lockdowns, hinterfragen diese Regelungen aus Sicht der Familien und formulieren Verbesserungsbedarf. Das geltende Recht sollte aber auch von einer anderen Seite hinterfragt werden: Aus Gründen der ordnungspolitischen Konsistenz gehört die Bereitstellung und Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen grundsätzlich nicht in den Aufgabenbereich der Krankenversicherungen, sondern in die Hand von Bund und Ländern.

Finanzierung nach Kassenlage: Bei zunehmenden Steuerzuschüssen zur GKV verschwinden die Grenzen zwischen dem Steuer- und Beitragssystem. Es entsteht ein intransparentes Hybrid-System, in dem es keinen klaren Zusammenhang mehr zwischen Beitrags- und Leistungshöhe gibt. Hinzu kommen Nachteile, die zunehmend steuerfinanzierte Gesundheitssysteme mit sich bringen. Dazu gehört, dass Steuerzuschüsse schwankungs- und kürzungsanfällig sind. Sie unterliegen politischen Entscheidungen, die jederzeit revidierbar sind, wenn sich politische Mehrheiten ändern, das Steueraufkommen sinkt oder Haushaltskonsolidierungen notwendig sind. Dass der Gesetzgeber dazu neigt, Haushaltserfordernissen in der Regel eine höhere Priorität beizumessen als einem Steuerzuschuss zur GKV („Steuerzuschuss nach Kassenlage“), zeigt sich an der schwankenden Höhe der bisherigen Steuerzuschüsse zur GKV. Gleichzeitig ist die theoretische Abhilfe, Teile des Steueraufkommens zweckgebunden (regelhaft) der GKV zuzuweisen, mit Blick auf das gültige Non-Affektationsprinzip ausgeschlossen. Und nicht zuletzt stellen zunehmende Steuerzuschüsse zur GKV die Selbstverwaltung in Frage. Der Einfluss des Staates steigt („Wer bezahlt, der bestimmt“), Steuerkürzungen bergen die Gefahr von Leistungskürzungen oder Beitragserhöhungen.

Verletzung des Äquivalenzprinzips: In Krankenversicherungen gilt das Prinzip der kollektiven Gruppenäquivalenz. Eine gruppenspezifische Äquivalenz verlangt eine direkte Beziehung zwischen Leistung und Gegenleistung einer Gruppe in Abgrenzung zu anderen sozialen Einheiten. Steuerzuschüsse zur GKV durchbrechen das Prinzip der Gruppenäquivalenz deutlich. Denn zu einem wachsenden Steuerzuschuss zur GKV würden zunehmend finanziell auch steuerpflichtige Personenkreise herangezogen, die nicht dem Versichertenkollektiv der GKV angehören und entsprechend vom Steuerzuschuss nicht profitieren können. Hierzu zählen insbesondere Beamte mit beihilfeberechtigten Angehörigen, angestellte oder selbständige Privatversicherte sowie Berufsgruppen, die dem System der freien Heilfürsorge zuzuordnen sind.

II. Zeitlich befristete Ausweitung des Kinderkrankengeldes

Mit den rückwirkend zum 5. Januar 2021 in Kraft getretenen neuen Absätzen 2a und 2b des § 45 SGB V sind erweiterte Regelungen für gesetzlich Versicherte getroffen worden. Demnach besteht ein auf das Kalenderjahr 2021 begrenzter Anspruch auf Kinderkrankengeld für gesetzlich krankenversicherte Elternteile und deren gesetzlich versicherte Kinder, welche das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind. Das Krankengeld wird pro Kind für bis zu 20 Tage ausgezahlt, bei Alleinerziehenden bis zu 40 Tage. Bei mehreren Kindern hat jeder Elternteil insgesamt einen Anspruch auf maximal 45 Arbeitstage, bei Alleinerziehenden mit mehreren Kindern ist der Anspruch auf maximal 90 Arbeitstage beschränkt. Das Krankengeld beträgt 70 % des entgangenen Brutto- oder 90 % des Nettolohnes. Die GKV erhält für diese Leistung einen zusätzlichen Steuerzuschuss von 300 Mio. Euro.

Anders als bei den bislang geltenden Regelungen ist für den Anspruch auf die erweiterte Entgeltersatzleistung das Vorliegen einer Erkrankung nicht maßgeblich. Folglich bedarf es auch keiner Feststellung einer Erkrankung durch einen Arzt. Damit besteht nunmehr keinerlei Bezug zu Leistungen einer Krankenversicherung mehr. Die Regelung im SGB V erscheint willkürlich und systematisch verfehlt, da auch privat Versicherte Kinder zu Hause betreuen müssen, die aufgrund der pandemiebedingten Schließungen nicht oder nur teilweise Kindertagesstätten und Schulen besuchen können.

Systematisch geeigneter wäre eine Regelung über das Infektionsschutzgesetz gewesen, das in § 56 Abs. 1a bereits eine (eingeschränkte) Möglichkeit einer Entschädigung für Verdienstausfall vorsieht. Das Anrecht auf Entschädigung besteht nach geltendem Recht – unabhängig von der Art der Versicherung –, wenn Kinder, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, zu Hause betreut werden müssen und die Eltern deswegen ihrer Arbeit nicht nachgehen können. Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Verdienstausfallentschädigung ist eine vorübergehende infektionsbedingte Schließung einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern, einer Schule oder einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, ein Betretungsverbot selbiger, eine Anordnung oder Verlängerung der Schul- oder Betriebsferien, eine Aufhebung der Präsenzpflicht in einer Schule sowie das Fehlen einer anderweitigen zumutbaren Betreuungsmöglichkeit. Die Entschädigung beträgt 67 % des Nettoeinkommens (max. 2.016 Euro/Monat) und gilt für insgesamt zehn Wochen je Elternteil, bei Alleinerziehenden 20 Wochen – dieser Zeitraum kann tageweise aufgeteilt werden.

Für Beihilfeberechtigte gilt die Regelung des Infektionsschutzgesetzes nicht. Bundesbeamtinnen und
-beamte sowie Tarifbeschäftigte des Bundes können einen Sonderurlaub beantragen. Unter Fortzahlung der Bezüge können sie so seit 10. April 2020 bis Ende März 2021 insgesamt bis zu 34 Arbeitstage für die Betreuung ihrer Kinder verwenden. Ähnliche Regelungen gelten grundsätzlich für die Bediensteten der Länder.

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