Interview

Medizinische Innovationen gelangen in Deutschland auf unterschiedlichen Wegen in die ambulante Versorgung. Warum die Private Krankenversicherung neue Behandlungsmethoden teilweise deutlich früher erstattet als die Gesetzliche Krankenversicherung, war Thema eines PKV-Fachgesprächs.

Dr. Florian Reuther (o.l.), Rudolf Henke, MdB (o.r.), Prof. Dr. Jürgen Wasem (u.l.), Dr. Anke Walendzik (u.r.)

26. August 2021 - Das deutsche Gesundheitssystem bietet im internationalen Vergleich allen Versicherten ein hohes Versorgungsniveau und die schnelle Teilhabe am medizinischen Fortschritt. Größere Unterschiede gibt es jedoch beim Zeitpunkt, ab dem niedergelassene Ärzte moderne Behandlungsmethoden mit der Krankenversicherung abrechnen können. Das zeigt eine Studie der Universität Duisburg-Essen in Zusammenarbeit mit dem Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement im Auftrag des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP). Während Entwickler und Anwender bei der Einführung medizinischer Innovationen in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) einen langen Atem brauchen, gelingt dies bei der privatärztlichen Versorgung ohne aufwendige und langwierige Genehmigungsprozesse.

Wie lange der Vorlauf bei der Erstattung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der PKV tatsächlich ausfällt, präsentierten die Studienautoren Prof. Dr. Jürgen Wasem und Dr. Anke Walendzik beim Fachgespräch des PKV-Verbands zur Innovationsmotorik im dualen Krankenversicherungssystem. So haben private Krankenversicherer die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Jahren 2010 bis 2019 genehmigten neuen Methoden zwischen vier bis über 20 Jahre früher erstattet als die GKV. Anders als die gesetzlichen Krankenkassen unterliegen die PKV-Unternehmen bei der Kostenerstattung keinem gesetzlichen Genehmigungsverfahren. Als Voraussetzung genügt hier die medizinische Notwendigkeit – die Entscheidung fällt dezentral beim einzelnen Arzt und Patient.    

GOÄ und Therapiefreiheit sichern schnelle Einführung von Innovationen  

Die Ursache für diesen großen zeitlichen Vorlauf führt Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein und CDU-Bundestagsabgeordneter, auf den größeren Freiheitsgrad in der PKV zurück. „Unter dem Strich ist im PKV-System mehr Platz für die Therapiefreiheit der Ärzte und für die Entscheidung der Patienten, neuen Behandlungs- und Untersuchungsverfahren zuzustimmen“, kommentierte Henke bei der Online-Veranstaltung die Studienergebnisse. Mehr Wahlfreiheit wünscht sich Henke auch für die Versicherten im dualen Krankenversicherungssystem. Immer weniger Menschen könnten durch den Anstieg der Versicherungspflichtgrenze eine eigene Entscheidung treffen. Eine überfällige Neubemessung sei in dieser Legislaturperiode am Koalitionspartner gescheitert. Die SPD-Pläne zur Einführung einer „Bürgerversicherung“ hätten dafür keinen Gestaltungsspielraum gelassen.

Therapiefreiheit und eine frühzeitige Kostenerstattung sind entscheidende Faktoren für Innovationsträger, hob PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther hervor. Unternehmen brauchen die Aussicht auf einen Zugang ihrer Entwicklungen zum Versorgungssystem. Dadurch übernimmt die PKV die Rolle des Türöffners für medizinische Innovation, erläuterte Reuther die Wirkung der freiheitlichen Versicherungsbedingungen in der PKV. Davon profitieren letztlich auch die gesetzlich Versicherten. „Die PKV profitiert im Gegenzug von der evidenzbasierten Nutzenbewertung und Überprüfung der Wirtschaftlichkeit im GKV-System“, führte Reuther zu den Vorzügen des dualen Krankenversicherungssystems aus.    

Politik kann Innovationsmotorik in der ambulanten Versorgung stärken

Dieses Spannungsfeld aus frühem Zugang zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und deren Versorgungsqualität und Kosteneffektivität bildet die Grundlage, wenn über die Weiterentwicklung der Innovationsmotorik im deutschen Gesundheitswesen nachgedacht wird, lautet die Schlussfolgerung von Dr. Anke Walendzik. Dass Verbesserungen machbar sind, hat erst kürzlich der Gesetzgeber gezeigt, indem er dem G-BA neue Fristen für das Genehmigungsverfahren auferlegt hat.

Internist Rudolf Henke geht davon aus, dass sich der zeitliche Unterschied zwischen GKV und PKV bei der Kostenerstattung dadurch auf etwa drei Jahre reduzieren wird. „Aber auch das ist ein großer Unterschied“, ließ er weiteren Handlungsbedarf erkennen. Und Florian Reuther wies darauf hin, dass der Gesetzgeber die Innovationsmotorik in der privatärztlichen Versorgung durch die Novellierung der veralteten Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) stärken könnte. Der Nutzen für alle Patientinnen und Patienten in Deutschland – ganz gleich ob gesetzlich oder privat versichert – ist beim PKV-Fachgespräch jedenfalls deutlich geworden.