Interview

Das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) wird in diesem Jahr 20 Jahre alt. Wir haben mit Institutsleiter Dr. Frank Wild über die wichtigsten Forschungsprojekte, die Bedeutung der Privatpatienten für das Gesundheitssystem und mögliche Gründe für steigende Leistungsausgaben gesprochen.

Frank Wild, Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP)

Frank Wild, das WIP wird jetzt 20 Jahre alt. Warum gibt es das Institut überhaupt?

Die Wissenschaft legt ihren Fokus traditionell auf die Gesetzliche Krankenversicherung. Hier wollte der PKV-Verband ein Gegengewicht schaffen, um in der Forschung die Perspektive der Privaten Krankenversicherung zu berück­sichtigen. Hinzu kommt, dass es PKV-spezifische Themen gibt, die in der Forschung oft etwas untergehen, zum Beispiel Kapitaldeckung, Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Im Blick auf gesundheitspolitische Debatten sehen wir uns als wichtiges Bindeglied zwischen den PKV-Unternehmen und der Wissenschaft. Seit 2019 haben wir dazu eine eigene jährliche Veranstaltung etabliert, den WIP-Tag der Versorgungsforschung. Dieses Format spiegelt genau dieses Zusammenspiel von Versicherungswirtschaft und Wissenschaft.

Waren Sie von Anfang an im WIP dabei?

Wenn man es genau nimmt, bin ich sogar schon länger an Bord, nämlich seit Oktober 2004. Wir wollten gleich zum Start die ersten Studien veröffentlichen. Das brauchte natürlich ein bisschen Vorlauf.

Worum ging es in der ersten Studie?

Um den Beitrag von Privatpatienten zur Finanzierung unseres Gesundheitssystems. Das war von Beginn an ein zentrales Thema für uns. Die abweichenden Regeln für PKV und GKV – insbesondere bei der Vergütung und Versorgungssteuerung – wirken sich unter­schiedlich auf die finanziellen Mittel aus, die ins System fließen. Mit der Berechnung des sogenannten Mehrumsatzes der Privatversicherten geht es uns darum, deren Bedeutung für das Gesundheitswesen zu quantifizieren. Welche finanziellen Auswirkungen ergeben sich durch die Existenz der PKV konkret für die Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken, Physiotherapeuten, Hebammen? Dieser Mehrumsatz ist seit einiger Zeit eine zentrale Kenngröße zum Verständnis der Dualität von Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung.

Die Zahlen sind gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen…

Richtig. Der gesamte Mehrumsatz beträgt mittlerweile 14,46 Milliarden Euro im Jahr. Allein im ambulanten Bereich liegt er bei knapp 8 Milliarden Euro. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung und zeigt die wichtige Rolle, die die PKV bei der Finanzierung unseres Gesundheitssystems spielt.

Womit beschäftigen Sie sich noch?

Wir werten regelmäßig die Abrechnungsdaten der Versicherungsunternehmen aus. Wir gewinnen daraus unter anderem Erkenntnisse im Arzneimittelbereich. Da geht es zum Beispiel darum, wie viel Geld für Medikamente ausgegeben wird, was die bedeutendsten Arzneimittel sind und die wichtigsten Indikationen. Darauf lässt sich eine sehr gute Versorgungsforschung auf­bauen. Hinzu kommt, dass wir nicht nur einen wissenschaftlichen Beitrag leisten, sondern auch die PKV-Unternehmen mit spezifischen Kennzahlen bedienen, etwa zu neuen Medikamenten, Generika oder zu Biosimilars. Das ist eine große Unterstützung für das Leistungsmanagement.

Zeichnen sich hier Trends ab?

Bei Arzneimitteln sehen wir schon seit Jahren eine Entwicklung hin zu innovativen Medikamenten. Wir konnten nachweisen, dass diese neuen Arzneimittel in der Regel zunächst Privatpatienten erhalten, dann aber zunehmend in der Breite eingesetzt wer­den. Wir erkennen aber auch, dass sich die Leistungsausgaben in den vergangenen Jahren insgesamt stark erhöht haben. Diesen Trend beobachten wir aber auch in anderen Bereichen.

Im ambulanten Bereich steigen die Ausgaben seit 2023 deutlich stärker als in den Vorjahren. Ärztliche Behandlungen werden viel häufiger in Anspruch genommen.

Frank Wild , Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP)

Wo zum Beispiel?

Im ambulanten Bereich steigen die Ausgaben seit 2023 deutlich stärker als in den Vorjahren. Ärztliche Behandlungen werden viel häufiger in Anspruch genommen. Die Frage ist: Woran liegt das? Sind das noch Nachholeffekte in Folge der Corona-Pandemie? Das sollte sich aber eigentlich ausschleichen. Ein Grund für die vielen Arztkontakte könnte auch unsere ungesunde Lebensweise sein.

Lässt sich das belegen?

Wir haben vor Kurzem zehn europäische Gesundheitssysteme miteinander verglichen. Heraus kam: Deutschland liegt beim Zugang zur medizinischen Versorgung auf Platz eins. Dennoch ist unsere Lebenserwartung im Ver­gleich eher unterdurchschnittlich – und das trotz eines sehr guten Gesundheitssystems mit hochwertiger Diagnostik und modernen Therapien. Gleichzeitig ergab die Studie, dass wir bei einer Gesamtschau auf die Risikofaktoren – Ernährung, Bewegung, Rauchen etc. – den letzten Platz belegen. Mit anderen Worten: Wir leben viel zu ungesund. Das sehe ich als wichtige Teilerklärung dafür, dass die Menschen so oft zum Arzt gehen und überdurchschnittlich viele Medikamente benötigen.

Die Politik diskutiert derzeit viel über die Zukunft der Pflegefinanzierung. Forscht das WIP auch in diesem Bereich?

Ja. Seit einigen Jahren arbeiten wir mit Modellen, mit denen wir Beitragssatzentwicklungen sehr gut prognostizieren können – natürlich immer im Rahmen bestimmter Szenarien. Damit können wir die diskutierten Gesetzesvorschläge sehr gut quantifizieren und konkrete Euro-Beträge dahinter schreiben. Wir können also ziemlich genau sagen, was zum Beispiel eine Deckelung der Eigenanteile in stationären Pflegeeinrichtungen kosten würde. Damit sind wir geschätzter Ansprechpartner zur Beurteilung möglicher Pflegereformen.

Welche Rolle spielte das WIP bei der Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte, die der PKV-Verband, die Beihilfe und die Bundesärztekammer verhandelt haben?

Wir begleiten die Verhandlungen seit vielen Jahren mit zahlreichen GOÄ-Datenanalysen. Die Basis unserer Auswertung bilden rund 580 Millionen GOÄ-Rechnungspositionen, die wir jährlich von den Versicherungsunter­nehmen erhalten. Gute Daten und darauf auf­bauende belastbare Analysen sind eine wichtige Voraussetzung für die Bewertung von Novellierungsvorschlägen.

Welchen Themen würden Sie sich noch gerne widmen?

Kein Forschungsgegenstand bei uns ist bisher der Krankenhausbereich. Auch hier steigen die Ausgaben. Es wäre interessant, auch im Zusammenspiel mit der Versorgung in anderen Leistungsbereichen, in den PKV-Daten nach den Gründen zu forschen. Außerdem stellen die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Krankenversicherung, die Projektion von Ausgabenentwicklungen in der Krankenversicherung und die Wirkungen der Steuerung von Patientenströmen spannende zukünftige Forschungsthemen dar. Jetzt müssten wir nur noch die Zeit dafür haben…

Das Interview findet sich in leicht gekürzter Form auch im PKV-Rechenschaftsbericht 2025