Interview 25. August 2023

Nach langer Nullzins-Politik hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins seit 2022 deutlich angehoben. Wir haben mit Holger Eich, Geschäftsführer und Chef-Mathematiker im PKV-Verband, darüber gesprochen, welche Folgen die Zinswende für die Beitragskalkulation in der PKV hat.

Holger Eich, Geschäftsführer und Chef-Mathematiker im PKV-Verband

Herr Eich, wann wirken sich die höheren Zinsen auf die Private Kranken- und Pflegeversicherung aus?

Die Anhebung des Zinses wirkt sich grundsätzlich sofort auf die Berechnung des sogenannten aktuariellen Unternehmenszinses – oder kurz: AUZ – aus. Allerdings beeinflusst der Zinssatz der EZB zunächst nur kurzfristige Anlagen und ist damit nur einer von vielen Faktoren des AUZ.

Welche Funktion hat der AUZ und wie wirkt er sich auf die Beiträge aus?

Der AUZ ist der unternehmensindividuelle Höchstrechnungszins. Das heißt, bei einer Beitragsanpassung oder bei Kalkulation eines neuen Tarifs darf das Unternehmen keinen höheren Rechnungszins festlegen. Der Rechnungszins wiederum beeinflusst die Beitragshöhe. Denn er gibt vor, welche Erträge das Unternehmen am Kapitalmarkt in der Zukunft erwartet. Je höher diese Erträge sind, desto weniger Beiträge sind erforderlich, um die Versicherungsleistungen zu garantieren und die Alterungsrückstellungen aufzubauen. Kurz gesagt gilt das Grundprinzip: Je höher der Zins, desto geringer die Beiträge.

Wer berechnet den AUZ?

Das machen die Unternehmen selbst. Grundlage dafür ist eine Richtlinie der Deutschen Aktuarvereinigung. Ziel ist es, einen Zins zu berechnen, der auch für die nächsten zwei Jahre sicher zu erwarten ist. Die Ergebnisse dieses Verfahrens werden auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gemeldet.

 Warum ist der AUZ in jedem Unternehmen unterschiedlich hoch?

Jedes Unternehmen hat eine andere Kapitalanlagestruktur. Für die Berechnung des AUZ ist die individuelle Mischung der Anlagen und deren Entwicklung in den vergangenen Jahren ausschlaggebend. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn ein Unternehmen nur Aktien hätte, wäre der Zins ein anderer als wenn es ausschließlich Pfandbriefe des Bundes im Portfolio hätte. Und dann gibt es eben noch die kurzfristigen Anlagen, auf die sich der Leitzins der EZB auswirkt.

Die Auswirkungen der EZB-Zinserhöhung sind also zunächst eher gering?

Die Anhebung der Zinsen hilft auf jeden Fall, denn sie ändert den Trend. Es sieht so aus, als ob wir uns einer Talsohle nähern – und ab dann könnte der AUZ auch wieder steigen. Es ist ja so, dass der AUZ trotz einer historischen Niedrigzinsphase nur sehr langsam abgesunken ist. Zurzeit liegen wir branchenweit bei einer Durchschnittsverzinsung von über 2 Prozent – und das nach einer jahrelangen Nullzins-Politik der EZB. Das zeigt, wie sorgfältig die Unternehmen das Geld ihrer Versicherten angelegt haben. Die PKV-Unternehmen legen das Kapital überwiegend sehr langfristig an. Das hat nun natürlich zur Folge, dass ein steigender Zins sich im AUZ auch erst nach und nach zeigt. Denn niemand wird nun eine langfristige Anlage, für die er zwei Prozent oder mehr Zins erzielt, in eine kurzfristige Anlage umschichten, weil er dort jetzt 1,75 statt 0 Prozent erhält. Aber für kurzfristig freiwerdendes Geld wird die Situation nun natürlich komfortabler.

Wagen sie eine Prognose, wann sich der AUZ ändert?

Das hängt von vielen Voraussetzungen ab. Aber nehmen wir einmal an, dass die EZB die Zinsen weiter anheben wird. Dann wird sich das voraussichtlich im nächsten Jahr im AUZ zeigen. Aber: Allein aufgrund eines geänderten Zinses darf ein Unternehmen keine Beitragsanpassung vornehmen. Damit muss es warten, bis sich andere Faktoren verändern. Zum Beispiel die Leistungsausgaben. Wenn das der Fall ist, muss auch das geänderte Zinsniveau berücksichtigt werden. Mit anderen Worten: Im Idealfall wirkt sich ein veränderter AUZ frühestens im Jahr 2024 auch auf den Rechnungszins aus.

Kommt die Zinsänderung bei den Versicherten an?

Die Entlastung durch einen höheren Zins kommt auf jeden Fall bei den Versicherten an. Darauf achten auch die Treuhänder. Eine andere Frage ist, ob die Kunden das auch in Form einer Beitragssenkung spüren. Das hängt von der Gesamtentwicklung ab. Und die ist derzeit relativ unsicher. Die Inflation, der medizinisch-technische Fortschritt, aber auch die ungewissen Folgen des Krieges in der Ukraine machen Beitragsanpassungen in Zukunft wahrscheinlich. Da unterscheidet sich die PKV nicht von anderen Branchen. Im Zweifel wird ein höherer Zins jedoch eine notwendige Beitragserhöhung mindern.