Meldung 20. Januar 2022

Beim Online-Kongress der vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft diskutierten Expertinnen und Experten über die Finanzierung der Sozialversicherungen. Für PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther ist in Zukunft mehr Eigenvorsorge notwendig.

Die Sozialversicherungen in Deutschland steuern auf finanziell schwierige Zeiten zu. Ihre Finanzen sind neben der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hauptsächlich vom demografischen Wandel abhängig. Und die zunehmende Alterung der Gesellschaft bewirkt, dass immer mehr Menschen Leistungen in Anspruch nehmen und weniger Beiträge in die Umlagesysteme fließen. In der Gesetzlichen Kranken- und der Sozialen Pflegeversicherung (GKV und SPV) kommen steigende Behandlungskosten und stetige Leistungsausweitungen hinzu. Die Politik hat in den vergangenen Jahren das entstandene Finanzierungsloch mit milliardenschweren Steuerzuschüssen gestopft – im laufenden Jahr mit der Rekordsumme von 28,5 Milliarden Euro allein in der GKV. Wenn zum Ende des Jahrzehnts die Babyboomer in den Ruhestand gehen, werden die Finanzprobleme weiter an Dramatik gewinnen.

Ausweitung der Bundeszuschüsse keine Lösung

Wie gravierend sich der Finanzbedarf der GKV in den kommenden Jahren entwickeln wird, erläuterte Professor Thiess Büttner beim Online-Kongress der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft - zur Finanzierungsfrage der Sozialsysteme. Zusammen mit Professor Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum hat er kürzlich in einem Gutachten berechnet, dass allein in der laufenden Wahlperiode zusätzliche 144 Milliarden Euro Bundeszuschüsse nötig seien, sollte die Ampel-Koalition die 40-Prozent-Obergrenze bei den Sozialversicherungsbeiträgen beibehalten wollen.

Andernfalls müssten die Beiträge 2025 auf über 43 Prozent und 2030 auf satte 45 Prozent klettern. Für die Politik kein willkommenes, weil beim Wähler unbeliebtes Mittel. Doch woher soll das Geld kommen? Ob schuldenfinanziert oder aus dem Bundeshaushalt - beide Optionen hält Büttner für äußerst problematisch. Denn der Bund habe nahezu keine finanziellen Spielräume. Bereits 2026 müsse er mit der Tilgung der gewaltigen nationalen wie europäischen Pandemie-Schulden beginnen. Da müssten weitere Zuschüsse zur GKV zwangsläufig zu massiven Kürzungen anderer Etats führen.

Präsentation von Prof. Büttner

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Doris Pfeiffer, Vorsitzende GKV-Spitzenverband

Notwendige Beitragsstabilität

Ähnlich kritisch bewertete auch Doris Pfeiffer, die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, das Mittel der dauerhaften Bundeszuschüsse. Für eine Kostenreduzierung in der GKV und stabile Beitragssätze fordert sie von der Bundesregierung eine Ausfinanzierung versicherungsfremder Leistungen sowie den reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel.

Allein der unzureichende Zuschuss für Arbeitslosengeld-II-Bezieher koste die Kassen jährlich zehn Milliarden Euro. Leistungen, die von der Solidargemeinschaft, nicht aber von den Beitragszahlern finanziert werden müssten, so Pfeiffer.

Faktor Arbeit nicht durch weitere Belastungen verteuern

Stabile Beiträge sind nicht allein für die Haushalte, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung von großer Bedeutung. vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt warnte davor, den Faktor Arbeit durch weitere Belastungen zu verteuern. Deutschland zähle bereits heute zu den Ländern mit der höchsten Abgabenbelastung auf Arbeitseinkommen. Eine weitere Erhöhung bedrohe die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes. Bei der Finanzierung der Sozialversicherungen brauche es somit nachhaltige Lösungen, die ohne dynamische Steuersubventionen und Beitragssprünge auskämen.

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Florian Reuther, PKV-Verbandsdirektor

Eine solide Finanzierung bedeutet mehr Eigenvorsorge

Wie das funktionieren könnte, erläuterte PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther. Die Private Krankenversicherung mache es vor. Allein durch die Alterungsrückstellungen von aktuell über 300 Milliarden Euro sei sie nachhaltig und demografieunabhängig finanziert. Jeder PKV-Versicherte sorge, so Reuther, ab dem ersten Tag selbst für seine altersbedingt steigenden Gesundheitskosten vor. Daher brauche es in der GKV und in der SPV mehr Eigenvorsorge, um die Überlastung der nachfolgenden Generationen zu verhindern.

Eine Botschaft, die Reuther von der Politik in Richtung jüngere Jahrgänge für dringend notwendig hält. Mit Blick auf die gegenwärtigen Steuerzuschüsse forderte er eine klare Zuordnung der konkreten Leistungen. Alles andere führe zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen GKV und PKV. Schließlich zahlten die PKV-Versicherten Steuern, erhielten selber aber keinerlei staatliche Zuschüsse. Langfristig sei dies ein nicht zulässiger Eingriff in das duale Krankenversicherungssystem.