Dr. André Althoff und sein Team haben bislang rund 1.500 Covid-Infizierte im Sana Klinikum Offenbach behandelt. Im Interview berichtet der Lungenfacharzt, wie er die Pandemie erlebt – und welche Schlüsse er daraus zieht.
Herr Dr. Althoff, die Pandemie hält uns seit gut zwei Jahren in Atem. Wie hat sich Ihr Berufsalltag in dieser Zeit verändert?
Er hat sich erheblich verändert. Zum Einen lernen wir mit Covid eine Krankheit von der Entstehung an kennen. Das heißt, es gibt kein Vorwissen zum Umgang mit dieser Erkrankung. Das stellt uns in der inzwischen vierten Welle immer wieder vor große Herausforderungen. Zum Anderen werden wir auch als Ärzte in den Krankenhäusern zu Change-Managern: Wir müssen unsere gesamten Krankenhausstrukturen komplett umkrempeln – und das inzwischen mehrfach. Kein Haus ist darauf ausgelegt, eine solche Vielzahl an Patienten mit einer Infektionskrankheit zu behandeln. Keiner von uns hätte im März 2020, als wir die ersten Patienten aufgenommen haben, daran gedacht, dass wir fast zwei Jahre später immer noch mit dieser Erkrankung kämpfen, die einen Großteil der Fälle im Bereich der stationären Lungenheilkunde ausmacht.
Wir haben eine völlig neue Krankheit kennengelernt – und wir haben auch gelernt, wie schnell Impfstoffe entwickelt werden können. Nun sind mittlerweile rund drei Viertel der Bevölkerung zumindest einfach geimpft. Trotzdem erleben wir Inzidenzen, die so hoch sind wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Wie passt das zusammen?
Die Impfung ist sicherlich der beste Weg, um der Krankheit zu begegnen. Ende des Jahres 2020, unmittelbar vor der ersten Impfstrategie, hatten wir sehr, sehr hohe Sterberaten. In der Zeit davor konnte das Virus großflächig in ganz Deutschland Raum greifen. Wir erinnern uns alle daran, wie hoch die Sterbezahlen in dieser Zeit insbesondere in den Alten- und Pflegeheimen waren.
Zunächst wurden ja mit der höchsten Priorität ältere oder vorerkrankte Menschen geimpft. Mittlerweile sind alle dazu aufgerufen, sich impfen zu lassen. Warum ist das auch für jüngere, gesunde Menschen so wichtig?
Für uns als Gesellschaft wäre es hilfreich, wenn sich jeder impfen lassen würde. Es gibt keine Prekonditionen in einem Menschen, die einen besonders anfällig dafür machen, schwer an Covid zu erkranken. Ich werde immer wieder gefragt: Wie sind denn die Menschen bei euch? Sind sie besonders alt? Haben sie viele Vorerkrankungen? Sind sie dick? Nein, die Patienten, die wir im Moment im Krankenhaus behandeln, sind zu einem überwiegenden Anteil junge, gesunde Menschen, die durch das Virus aus dem Leben gerissen werden.
Omikron hat einen anderen Charakter als bisherige Varianten
Derzeit dominiert ja die Omikron-Variante das Infektionsgeschehen, die einen vermeintlich milderen Verlauf hat. Warum nützt die Impfung trotzdem?
Omikron hat einen anderen Charakter als die bisherigen Varianten. Omikron scheint eine enorme Kontagiosität zu haben, ein enormes Ansteckungspotential. Daher erleben wir gerade, dass innerhalb kürzester Zeit eine große Infektionswelle über unser Land rollt. Viele Infizierte haben eher milde Symptome, die einer herkömmlichen Grippe oder einer schweren Erkältungskrankheit gleichen. Aber die Patienten, die zurzeit in unserem Krankenhaus liegen, sind jung und ungeimpft. Sie alle haben eine Omikron-Infektion – und sie sind schwerst betroffen.
Mit welchen Erkrankungssymptomen behandeln Sie die Menschen im Krankenhaus?
Der überwiegende Anteil der Menschen, die sich bei uns in stationärer Behandlung befinden, hat ausgeprägte Lungensymptome: Das heißt Luftnot, und zwar zum Teil so erheblich, dass die Beatmung auf der Intensivstation nötig ist. Nahezu alle unsere Covid-Patienten benötigen Sauerstoff, eine externe Sauerstoffzufuhr über einen kleinen Schlauch in der Nase oder über eine Maske auf dem Mund.
Wir haben als Lungenheilkunde Erfahrung im Umgang mit Infektionskrankheiten der Lunge. Aber normale Lungenentzündungen betreffen üblicherweise ein Fünftel der Lunge. Bei Covid sieht das Ganze anders aus: Das Virus betrifft nahezu die gesamte Lunge gleichermaßen. Das führt zu diesen erheblichen Symptomen.
Der allererste Patient: Ein junger Familienvater ohne Vorerkrankungen
Wie lange dauert die Behandlung im Durchschnitt?
Im Moment haben wir Patienten, die sich zum Teil innerhalb von zwei bis drei Tagen erholen. Es gibt aber auch immer wieder Menschen, die über mehrere Wochen behandlungsbedürftig sind. Gerade wenn die Patienten auf die Intensivstation müssen und beatmet werden, sieht die Situation deutlich kritischer aus.
Sind die Patientinnen und Patienten nach ihrer Entlassung wieder gesund?
Nein, das wissen wir inzwischen. Wir kennen viele solcher Long-Covid-Symptome: Fortgesetzte Luftnot, insbesondere unter Belastung, Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwierigkeiten und vieles mehr. Und auch hier sind es nicht ausschließlich die Älteren, die langwierige Symptome haben. Das betrifft auch junge Menschen, die wie aus dem Nichts gegriffen über Monate nicht mehr belastbar sind.
Sie haben bislang rund 1.500 Patientinnen und Patienten mit Covid-Symptomen im Sana Klinikum Offenbach behandelt. Ist Ihnen ein ganz besonderer Fall in Erinnerung?
Ich denke da an unseren allerersten Patienten, einen jungen Familienvater von 42 Jahren, ohne Vorerkrankungen. Das war der erste Patient, den wir Anfang 2020 auf die Intensivstation aufgenommen haben – und der im Verlauf gestorben ist. Ich erinnere mich auch daran, wie wir Covid-Patienten aus dem Elsass übernommen haben. Sie müssen sich das vorstellen: Sie sind im künstlichen Koma unter Beatmung aus Frankreich eingeflogen und dann in Offenbach wach geworden – obwohl Sie dachten, Sie hätten nur eine harmlose Viruserkrankung. Das ist mit immensen Emotionen verbunden. Einer von ihnen hat uns später geschildert, er habe das Gefühl gehabt, er sei in einem Raumschiff gelandet. Das hat uns alle sehr bewegt.