Meldung 19. Mai 2022

Pflegefachkräfte und pflegende Angehörige können zahlreiche Präventionsangebote nutzen. Wie die Gesundheitsförderung in der Pflege weiter gestärkt werden kann, zeigte eine PKV-Veranstaltung.

Prävention ist fest in der Pflegeversorgung verankert. Doch die vielfältigen Angebote für Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und professionelle Pflegekräfte sind zu wenig bekannt. Und es mangelt an einer Strategie für ein koordiniertes Zusammenspiel, um die Betroffenen zur richtigen Zeit mit dem passenden Angebot zu erreichen. Dieses Fazit zog Dr. Timm Genett, Geschäftsführer Politik beim Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV), auf der PKV-Fachveranstaltung „Prävention – Eckpfeiler für eine nachhaltige Pflege in einer alternden Gesellschaft.“ 

Auf Einladung des PKV-Verbands haben Expertinnen und Experten von ihren Erfahrungen und den Erfolgschancen von Prävention berichtet, um Pflegebedürftigkeit zu reduzieren und die Pflegenden zu stärken. Wegen seiner Dringlichkeit hat die Bundesregierung das Thema als Leitplanke in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. Denn: Schon heute steigt die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland rasant – dabei steht der Eintritt der Babyboomer-Jahrgänge in das besonders pflegebedürftige Alter noch bevor. Wer sie pflegen wird, ist angesichts des akuten Fachkräftemangels ungewiss. Soll Pflege mach- und finanzierbar bleiben, muss unsere Gesellschaft die Zeiten der Pflegebedürftigkeit deutlich reduzieren.  

Hans-Dieter Nolting, Geschäftsführer des IGES-Instituts

Die Politik hat einen Rahmen zur Stärkung von Prävention in der stationären Pflege gesetzt 

Die Pflegepolitik habe in den vergangenen Jahren auf diese Herausforderungen reagiert, erläuterte Hans-Dieter Nolting, Geschäftsführer des IGES-Instituts, in seinem Impulsreferat. So habe die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017 ein umfassenderes Verständnis für gute Pflegepraxis etabliert und die Prävention zu einem Kriterium dafür gemacht. Dieses neue Verständnis gehe Hand in Hand mit den Vorgaben des Präventionsgesetzes. Dieses sieht vor, dass die Pflegeversicherung die Einrichtungen unterstützt, Präventionskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Für die Pflegeeinrichtungen sei diese Neuausrichtung eine Chance, aber auch mit einem größeren Veränderungsprozess verbunden, sagte Nolting.  

Wie sich stationäre Einrichtungen und die Pflegeversicherung dieser Aufgabe stellen, erläuterte Stephan Riedl, Projektleiter Altersgesundheit im PKV-Verband. Gemeinsam mit Partnerorganisationen entwickelt der PKV-Verband „Pflebeo - Pflegeeinrichtungen – Bewegungsfreundliche Organisationen“ , ein Programm zur Bewegungsförderung in Pflegeheimen. Die Einrichtungen könnten viel stärker von den Präventionsangeboten profitieren, wenn die Leistungen besser koordiniert und abgestimmt würden, betonte Riedl. Eine Schnittstelle zu den Qualitätsprüfungen könnte etwa für Synergien sorgen.  

Die Notwendigkeit einer guten Koordination betonte auch Frank Schlerfer, Abteilungsleiter beim Prüfdienst der PKV. Der Prüfdienst führt jährlich etwa 3.300 Prüfungen von Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten durch, den sogenannten Pflege-TÜV. Dazu gehört auch, die Einrichtungen zu beraten, wie sie ihre Arbeitsabläufe gestalten können, um Raum und Zeit für Prävention zu schaffen. Schlerfer wies auf eine besondere Herausforderung hin: Aus betriebswirtschaftlicher Sicht gebe es keine Anreize, präventive Maßnahmen zu stärken. Gesundheitsförderung werde nicht als eigenständige Leistung betrachtet und vergütet; im ambulanten Bereich sei sie gar nicht abrechenbar. 

Dr. Renate Richter, Abteilungsleiterin Sozialmedizin bei Medicproof, und Claudia Calero, Leiterin der Abteilung Wissens- und Qualitätsmanagement bei der privaten Pflegeberatung compass (v.l.)

Informationen und Pflegetrainings zur Gesundheitsförderung in der häuslichen Pflege 

Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) und der Stiftung Gesundheitswissen (SGW), ging auf die Bedeutung der häuslichen Pflege ein. Der Präventionskompetenz von pflegenden Angehörigen komme angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege eine Schlüsselrolle zu. Dabei gehe es um Wissen, aber auch um praktische Fähigkeiten. Für beide Bereiche bietet das ZQP ein umfangreiches und anwenderorientiertes Informationsangebot.  

Zur Anwendung kommt das Informations- und Schulungsmaterial des ZQP auch bei den Beraterinnen und Beratern der privaten Pflegeberatung compass. Tritt ein Pflegefall ein, liege der Fokus in der Regel auf den Pflegebedürftigen, berichtet Claudia Calero, Leiterin der Abteilung Wissens- und Qualitätsmanagement. Die Angehörigen seien oft überrascht, dass bei der ganzheitlichen Betrachtung auch ihre eigene Situation beleuchtet wird. Zur Entlastung und Gesundheitsförderung der pflegenden Angehörigen hat compass ein eigenes Konzept für die präventive Pflegeberatung erarbeitet. 

Ein guter Zeitpunkt, um pflegenden Angehörigen frühzeitig ihre eigene Gesundheit ins Bewusstsein zu rufen, ist die Pflegebegutachtung und Einstufung durch den medizinischen Dienst, erläuterte Dr. Renate Richter, Abteilungsleiterin Sozialmedizin bei Medicproof. Als medizinischer Dienst der Privaten Krankenversicherung erstellt Medicproof jährlich über 200.000 Pflegegutachten. Bei einer Begutachtung vor Ort haben die Gutachter die Versorgungssituation im Blick und ermitteln den Pflegeaufwand. Auf dieser Basis bietet Medicproof den Pflegepersonen ein individuelles Pflegetraining zu Hause an. Das Pflegetraining ist eine kostenlose Leistung, die mehrfach und auch präventiv in Anspruch genommen werden kann. 

In den Berichten wurde deutlich, wie die Corona-Pandemie viele Präventionsangebote ausgebremst hat. Deshalb zog Dr. Timm Genett ein weiteres Fazit: Die Rahmenbedingungen und Angebote liegen vor – mit Blick auf die Herausforderungen müsse jetzt aber ein Aufholprozess einsetzen.