Interview 30. November 2023

Als einer der Stifter der Deutschen-AIDS-Stiftung engagiert sich die PKV seit mehr als 35 Jahren in der Prävention von HIV/Aids. Verbandsdirektor Florian Reuther berichtet von den Anfängen – und welche Aufgaben und Ziele heute im Vordergrund stehen.

Herr Reuther, am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag, der weltweite Gedenktag für Menschen mit HIV und Aids. Was bedeutet dieser Tag für Sie persönlich – und für die PKV?
Der Welt-Aids-Tag ist ein ganz wichtiger Tag, um in der Breite der Bevölkerung das Bewusstsein zu schärfen, dass Aids nach wie vor nicht heilbar und Solidarität mit Betroffenen daher extrem wichtig ist. Die HIV-Infektion bleibt eine schwierige Herausforderung für die Gesundheit des oder der Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft. Insbesondere in Zeiten wie diesen, in denen HIV/Aids nicht mehr oben auf der politischen Agenda steht, ist der Welt-Aids-Tag von großer Bedeutung. Für mich als Vorstand der Deutschen AIDS-Stiftung und auch als Vertreter der PKV, die seit über 30 Jahren in der HIV/Aids-Arbeit aktiv ist, gehört es selbstverständlich dazu, an diesem Datum Flagge – oder besser: Schleife – zu zeigen.

Seit Ende der 1980er-Jahre engagieren sich die privaten Krankenversicherer in der HIV/Aids-Prävention – in einer Zeit, in der das Thema wenn überhaupt, dann eher mit spitzen Fingern angefasst wurde. Wie kam es dazu?
Genau das war der Hintergrund: Es gab eine große Unsicherheit und Angst, wie man mit HIV-positiven Menschen und dem Krankheitsbild umgehen sollte. An Aids Erkrankte sind mangels Behandlungsmöglichkeiten sehr schnell gestorben. Man wollte sich um die Menschen kümmern – nicht über eine staatliche Behörde und aufwendige Antragsverfahren, sondern durch gesellschaftliches Engagement. Die damalige Gesundheitsministerin Rita Süßmuth suchte Unterstützer aus Wirtschaft und Gesellschaft, die eine nationale Aids-Stiftung gründen. Diese sollte nicht nur Geld sammeln und Bewusstseins- und Antidiskriminierungsarbeit leisten, sondern ganz konkret HIV-Infizierten und an Aids Erkrankten helfen, zum Beispiel indem man letzte Wünsche oder Sonderbedarfe erfüllte.

Und da kam die PKV ins Spiel?
Ja. Dieses gesellschaftliche Engagement hat man uns zugetraut. Der PKV-Verband war 1987 zusammen mit dem Deutschen Roten Kreuz und der Daimler-Benz AG einer der drei Ur-Stifter der Nationalen AIDS-Stiftung. Diese Stiftung schloss sich zwei Jahre später mit der parallel von Rainer Ehlers gegründeten Deutschen AIDS-Stiftung „Positiv leben“ zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Aus diesem Zusammenschluss ging 1996 schließlich die Deutsche AIDS-Stiftung hervor.

Mir ist es wichtig, dass wir uns als PKV in einem gesellschaftlichen Umfeld bewegen, das mehr als unser Versicherungsgeschäft umfasst.

Sie sind derzeit – zusätzlich zu Ihrer Position als PKV-Verbandsdirektor – geschäftsführender Vorstand der Deutschen AIDS-Stiftung. Wie funktionieren diese beiden Ämter zusammen?
Als langjähriger Stifter fühlen wir uns der AIDS-Stiftung sehr verbunden. Dazu gehörte schon immer eine enge personelle Verknüpfung: Satzungsgemäß wird der Vorsitzende des Stiftungsrats vom PKV-Verband benannt. Und traditionell ist auch ein Vertreter der PKV ehrenamtlicher Vorstand der Stiftung. Viele Jahre war das der ehemalige Verbandsdirektor Christoph Uleer. Als er 2014 ausschied, habe ich das Amt übernommen. Die Position des hauptamtlichen geschäftsführenden Vorstands war nun einige Monate nicht besetzt. Daher freue ich mich sehr, dass ab 1. Dezember die erfahrene Politikwissenschaftlerin und Beraterin Anne von Fallois das Amt übernimmt und unsere Bonner Geschäftsstelle leitet.

Welche Einblicke haben Sie persönlich durch Ihre Tätigkeit im Stiftungsvorstand gewonnen?
Natürlich erweitert diese Arbeit meinen Horizont. Ich besuche regelmäßig Projekte der AIDS-Stiftung und auch die regionalen Aidshilfen, um in unmittelbaren Kontakt mit den Menschen zu kommen, denen dort geholfen wird. Mir ist es wichtig, dass wir uns als PKV in einem gesellschaftlichen Umfeld bewegen, das über unser Versicherungsgeschäft hinausgeht.

In den 1980er-Jahren war Aids ein großes Schreckgespenst; die meist tödlich verlaufende Krankheit führte zu Diskriminierung und Ausgrenzung. Mittlerweile ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen auf einem relativ konstant niedrigen Niveau. Betroffene können – gut behandelt – mit der Krankheit leben. Warum bleibt Aids ein wichtiges Thema?
Beim Thema Aids stellte sich früh gewissermaßen exemplarisch die Frage, wie eine Gesellschaft mit Krankheiten umgeht – und das ist eigentlich nie vorbei. Eine ähnliche Entwicklung haben wir auch zu Beginn der Corona-Pandemie gesehen. Da wurde diskutiert, wie man Menschen isolieren kann, wer wohin reisen darf. Der Mensch reagiert eben schnell mit Ablehnung oder Angstgefühlen. Im Subtext schwingt dann häufig noch ein „Der oder die ist doch selbst schuld“ mit. Das hört wahrscheinlich erst auf, wenn es irgendwann eine Impfung geben sollte. Dann verbreitet sich das Gefühl, eine Krankheit im Griff zu haben – auch das hat man bei Corona gesehen.

Auch andere Krankheitsbilder werden stigmatisiert. Wir haben hier einen Auftrag, der weit über HIV/Aids hinausgeht.

Was folgt daraus für Sie?
Ich meine, man darf Krankheit nicht mit Schuld oder Vorwürfen verbinden. Wer krank ist, ist erstmal krank und muss versorgt wurden. Wir brauchen eine offene, fürsorgliche Kommunikation. Auch andere Krankheitsbilder werden stigmatisiert – das ist nicht gut. Wir haben hier einen Auftrag, der weit über HIV/Aids hinausgeht.

Wie haben sich die Ziele und Aufgaben der Deutschen AIDS-Stiftung seit den Anfängen verändert?
Damals wie heute geht es ganz wesentlich darum, über HIV/Aids zu informieren, die Lebensbedingungen von HIV-Infizierten und an Aids Erkrankten zu verbessern und sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu positionieren. Ein weiterer Fokus bleibt das Ausland, insbesondere Afrika. Hier fördern wir Hilfsprojekte, um Armut, Hunger und eben HIV-Infektionen zu mindern sowie Chancen auf ein gesundes, erfülltes Leben zu schaffen.

Gibt es auch neue Herausforderungen?
Natürlich. Sie ergeben sich unter anderem aus der positiven Entwicklung, dass sich eine HIV-Infektion und Aids mittlerweile gut behandeln lassen: Betroffene benötigen nun auch in höherem Alter Unterstützung, etwa, wenn es um Pflege- und Betreuungsangebote geht.

Traditionell findet jedes Jahr eine festliche Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung in Berlin statt. Was ist der Zweck des Abends?
Ein Zweck ist ganz klar: Spenden sammeln. Von den Gästen vor Ort und von den Menschen zuhause, denn die Gala wird ja auch im Fernsehen übertragen. Ein weiteres, ebenso wichtiges Ziel ist, über die mit hochrangigen Musikern besetzte Gala öffentliche Wahrnehmung zu erzielen. Hier geht es nicht um Glamour – sondern darum, zu sehen, wie sich Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ganz offen und unentgeltlich mit von HIV/Aids-Betroffenen solidarisieren. Und nicht zuletzt ist Musik ein wunderbares Medium, um Menschen für ein solch schwieriges und hochemotionales Thema zu sensibilisieren.

Prävention ist für uns der Schlüssel, um Aids zu beenden.

Über die Unterstützung für die Deutsche AIDS-Stiftung hinaus fördert der PKV-Verband weitere Programme, die der HIV-Prävention dienen. Was steckt dahinter?
In unserer Präventionsarbeit verfolgen wir verschiedene Schwerpunkte – das Engagement gegen HIV/Aids ist der älteste. Am Anfang stand eher die Wohltätigkeit, wir wollten konkrete Hilfebedürftigkeit lindern. Mit der Zeit ist das aber zu echtem Präventionsengagement geworden. Aids ist nach wie vor nicht heilbar – daher sehen wir in der Prävention den Schlüssel, um die Krankheit zu beenden.

Wo setzen Sie an?
Sowohl auf der Stiftungs- als auch auf der Verbandsseite unterstützen wir Präventionsprojekte in verschiedenen Lebenswelten. Wir wollen Verhältnisse schaffen, die helfen, eine HIV-Infektion zu vermeiden oder zumindest sehr früh zu erkennen und dann auch zu behandeln. Die Zielgruppen der HIV/Aids-Prävention sind im Laufe der Zeit glücklicherweise klarer geworden – wir brauchen aber immer stärker spezialisierte Angebote. So haben wir zum Beispiel Dolmetscher finanziert, die in Einrichtungen über HIV/Aids aufklären, in denen Geflüchtete medizinisch versorgt werden. Uns geht es vorrangig um Gruppen, die nur schwer Zugang zum Gesundheitssystem finden.

Gemeinsam mit der BZgA fördert der PKV-Verband auch seit vielen Jahren das Mitmach-Projekt „Liebesleben“ – früher bekannt als „Gib Aids keine Chance“.
Das stimmt. Der interaktive Parcours in Schulen vermittelt Kindern und Jugendlichen Handlungskompetenzen zur sexuellen Gesundheit. Qualifizierungen für Lehr- und Fachkräfte verankern Themen wie HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten, Vielfalt und Respekt oder Sexualität und Medien nachhaltig in der Schule. Im Hinblick auf die medizinische Versorgung fördern wir das Fortbildungsangebot „Let‘s talk about Sex – Reloaded“ der Deutschen Aidshilfe. Hier lernen Ärztinnen und Ärzte Methoden kennen, die sie unterstützen, offen und einfühlsam mit ihren Patientinnen und Patienten über Sexualität, sexuelle Identität und Prävention zu sprechen. Denn das Reden über Sexualität ist oft scham- und tabubehaftet; es herrscht viel Unsicherheit. Dies steht einer guten präventiven und medizinischen Versorgung oft im Weg.