Interview 12. Juli 2022

Der Professor für Gesundheitsförderung und Prävention Raimund Geene leitet das PKV-Präventionsprojekt "Ansätze für eine klimagesunde Settingprävention", kurz "KliGeS". Hier erläutert er grundlegende Annahmen und Ziele.

Prof. Dr. Raimund Geene
Prof. Dr. Raimund Geene

Herr Professor Geene, was versteht man eigentlich unter Klimagesundheit?

Klimagesundheit meint eine ganzheitliche Betrachtung von Gesundheit im Sinne von New Public Health und dem Health-in-All-Policies-Ansatz. Wesentlich dabei: Ein funktionierendes Ökosystem bildet die Grundlage für das gesundheitliche Wohlergehen der Menschen, die soziale Teilhabe sowie gesundheitliche Chancengleichheit. Klimagesundheit beschreibt auch die Gesundheit der Menschen in ihren Lebenswelten vor dem Hintergrund von Klimawirkungen. Daher ist eine gezielte Prävention und insbesondere Gesundheitsförderung im Sinne des Präventionsgesetzes notwendig. 

Warum hat Klimagesundheit an Relevanz gewonnen?

Die Pollenzeit verlängert sich, Temperaturen steigen, in Teilen Deutschlands wird das Grundwasser knapp, andere Regionen werden durch Extremwetterereignisse zerstört: Die Veränderungen der Wetterverhältnisse und damit des Klimas sind immer mehr sicht- und spürbar. Die Belastungen sowie die Möglichkeiten, etwas für die eigene Klimagesundheit zu tun, sind allerdings sehr unterschiedlich verteilt. Es ist daher essentiell, alle Menschen unabhängig von ihren sozialen Status partizipativ einzubinden. Unsere Vision: resiliente, aufgeklärte, empowerte Systeme, die lernen, sich mit den neuen Klimaanforderungen so zu arrangieren, dass die Bevölkerung vor den Klimawirkungen geschützt ist und sich selbstständig schützen kann.

„Unsere Vision: resiliente Systeme, die lernen, sich mit den Klimaanforderungen so zu arrangieren, dass die Bevölkerung geschützt ist und sich selbstständig schützen kann.“

Prof. Dr. rer. pol. Raimund Geene

Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Gesundheit aus?

Aus der medizinischen Perspektive werden unter anderem Dehydrierungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Virusinfektionen und körperliche Verletzungen – bei Extremwetterereignissen bis hin zum Tode – beschrieben. Außerdem treten Allergien, Asthma, Fehl- und Mangelernährung, Tumore oder eine dauerhaft verringerte Leistungsfähigkeit auf. In der Psychologie werden im Zusammenhang mit Klimawirkungen kurzfristige bis andauernde Belastungen beschrieben. Aus soziologischer und sozialwissenschaftlicher Sicht zeigt sich ein vermehrter sozialer Rückzug. Die Belastungen sind also vielfältig – und sie nehmen zu.

Wie arbeiten Sie im Präventionsprojekt KliGeS?

KliGeS untersucht empirisch Ansätze der Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten mit Bezug zu Klimawirkungen vor dem Hintergrund des Präventionsgesetzes. Wir recherchieren Good-Practice-Beispiele, wie klimabezogene Aktivitäten die Gesundheit stärken können. Im Dialog mit Wissenschaft und Praxis untersuchen wir, wie solche Ansätze systematisiert und verbreitet werden können.

„Wir wollen Risikominderungsempfehlungen entwickeln: zukunftsorientierte Investitionen gegen die gesundheitlichen Folgen der Klimawirkungen.“

Prof. Dr. rer. pol. Raimund Geene

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von KliGeS?

Wir streben eine Erweiterung der bestehenden Präventionsstrategie in den Lebenswelten an, die den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels Rechnung trägt und Wege aufzeigt, wie in Kommunen, Kitas und Schulen, Tagesstätten und Pflegeeinrichtungen Risikominderungsstrategien entwickelt werden, um die Gesundheit zu fördern. Benötigt werden vor allem Werkzeuge und Methoden, die die Beteiligten selbst anregen und befähigen, ihre Lebenswelten gesundheitsförderlich zu gestalten: zum Beispiel eine Leitbildentwicklung zur gesunden klimaneutralen Schule oder zu einer klimaresilienten Tagesstätte. Ganz konkret kann es also um Gemeinschaftsverpflegung gehen, um das Aufstellen von Trinkbrunnen oder das Anpassen von Alltagsaktivitäten an Temperaturen. Der Prozess und die Ausarbeitung solcher Lösungsansätze sind dabei ähnlich bedeutsam wie die Maßnahmen an sich. Partizipativ entwickelte Maßnahmen werden um ein Vielfaches mehr genutzt als „von oben“ angeordnete.

Prof. Dr. rer. pol. Raimund Geene

ist Diplom-Politologe und Magister für Public Health. Er war Professor für Kindergesundheit an der Hochschule Magdeburg-Stendal, ehe er 2018 die Professur für Gesundheitsförderung an der Alice Salomon Hochschule und der Berlin School of Public Health antrat. Seit 2020 ist Geene Sprecher des Direktoriums der Berlin School of Public Health, seit 2021 Geschäftsführender Gesellschafter des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialwissenschaften.

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PKV-Rechenschaftsbericht 2022

PKV-Jahresbericht 2021/22

Das Interview mit Prof. Raimund Geene wurde erstmals in unserem PKV-Jahresbericht 2021/22 veröffentlicht. Der Fokus liegt dieses Mal auf der Frage, wie die Kranken- und Pflegeversicherung angesichts der alternden Gesellschaft zukunftssicher gestaltet werden kann. Hier können Sie den PKV-Jahresbericht lesen und herunterladen