Für Genett ist klar: Neben einer solidarischen Finanzierung braucht es eine stärkere individuelle Vorsorge. Viele Menschen sorgen bereits privat vor – darauf muss die Politik aufbauen. Sein Vorschlag: ein neuer Generationenvertrag, der die Ausgaben stabilisiert und die Generationengerechtigkeit wiederherstellt.
Wie lässt sich die Soziale Pflegeversicherung so gestalten, dass sie für kommende Generationen finanzierbar bleibt? Mit dieser Frage beschäftigte sich das VhU-Sozialforum der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) in Zusammenarbeit mit der Initiative generationengerechte Pflege (IGP).
Besonders deutlich formulierte PKV-Geschäftsführer Dr. Timm Genett die Notwendigkeit eines grundlegenden Kurswechsels in der Pflege. Die aktuelle Finanzierungsarchitektur überfordere die junge Generation. Schon heute liege die Sozialabgabenlast bei über 40 Prozent und werde ohne Reformen weiter steigen.
„Der 1960 Geborene ist der letzte, der noch unter der 40-Prozent-Marke Sozialabgaben gelegen hat. Jedes Kind ab dem Jahrgang 2000 wird im Durchschnitt seines Lebens über 50 Prozent zahlen müssen. Das ist ein Indikator für den Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit.“
Generationengerechtigkeit als zentrale Reformaufgabe
Eine solche Entwicklung sei nicht generationengerecht, warnte Genett. Die bisherige Umlagefinanzierung trage die Pflegeversicherung nicht mehr zuverlässig durch den demografischen Wandel. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ verpasse es jedoch, in der geplanten Pflegereform die entscheidenden Stellschrauben anzupacken, nämlich die Ausgabendynamik zu begrenzen und die Eigenverantwortung zu stärken.
Wir müssen die Generationengerechtigkeit wiederherstellen. Sie ist eine Schlüsselressource für die Zukunft unseres Landes.
Sozialabgaben belasten Beschäftigte und Unternehmen
Auch Dr. Stefan Hoehl, der Geschäftsführer der VhU, unterstrich den Reformdruck: „Die hessische Wirtschaft hat ein großes Interesse an einer funktionierenden Pflege. […] Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer könnten ihren Job nicht nachgehen, wenn die pflegebedürftigen Eltern […] nicht pflegerisch versorgt werden.“ Zudem sei das Niveau der Sozialabgaben sei bereits heute so hoch, dass es Arbeitsplätze belaste.
Das System der Versicherungsbeiträge liegt mit über 42 Prozent auf Rekordniveau. Das klaut den Beschäftigten das Netto und erschwert den Arbeitgebern, Arbeitsplätze zu schaffen und zu halten.
Die Pflegeversicherung trage dabei einen strukturellen „Geburtsfehler“ in sich: ihre ausschließliche Umlagefinanzierung. Dadurch werden die Kosten des demografischen Wandels einseitig an kommende Generationen weitergereicht. „Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen – durch kapitalgedeckte Ergänzungen und klar gesteuerte Ausgaben“, sagte Hoehl und plädierte damit für eine konsequente Ausgabendisziplin.
„Ein ehrlicher Dialog ist überfällig“
Die Grünen-Politikerin Kathrin Anders, Sprecherin für Gesundheit und Pflege ihrer Fraktion im Hessischen Landtag, plädierte für einen „ehrlichen Dialog“ über die Grenzen der Finanzierbarkeit. Die junge Generation sei heute bereits „doppelt belastet“: Einerseits durch hohe Abgaben, andererseits durch die Unsicherheit, ob die Leistungen im Alter noch Bestand haben werden. Um die Pflegeversicherung generationengerecht weiterzuentwickeln, seien ein realistischesVerständnis der Finanzierungsgrenzen und mehr Bereitschaft zur Eigenvorsorge notwendig.
Auch die hessischen Landtagsabgeordneten Stefanie Klee, Sprecherin für Pflegepolitik der CDU-Fraktion, und Dr. Daniela Sommer, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, nahmen die finanzielle Belastung des Systems in den Fokus. Klee betonte, dass Pflege für Einrichtungen wie Versicherte überhaupt finanzierbar bleiben müsse. Sommer warnte davor, den Familien zusätzliche Eigenverantwortung aufzubürden, da viele bereits am Limit seien: „86 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt.“
Pflegeversicherung am finanziellen Wendepunkt
Jacqueline Kühne, Vorständin des BKK Landesverbandes Süd, betonte, dass die Pflegeversicherung 30 Jahre nach ihrer Einführung an einem kritischen Punkt steht. Angesichts des demografischen Drucks und wachsender Finanzierungslasten müsse sie strukturell weiterentwickelt werden, um mittel- und langfristig stabil zu bleiben. Entscheidend seien unter anderem die vollständige Finanzierung versicherungsfremder Leistungen durch den Bund sowie eine konsequente Stärkung der häuslichen Pflege. Laut Kühne könne nur ein Bündel an Maßnahmen die Pflegeversicherung dauerhaft tragfähig machen – von der Demografieanpassung über Prävention bis hin zur Debatte über eine obligatorische Zusatzversicherung.
Ambulante Versorgung stärken und Bürokratie abbauen
Einen wichtigen Praxisimpuls lieferte Thomas Eisenreich, Geschäftsführer von Home Instead, mit seinem Beitrag. Er machte deutlich, dass die ambulante Versorgung ein zentraler Baustein ist, um Menschen möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben zu Hause zu ermöglichen und zugleich stationäre Strukturen zu entlasten. Zugleich kritisierte er die zunehmende Komplexität der Leistungsansprüche und forderte ein verständlicheres, alltagsnäheres System: „Für 90 Prozent der Menschen muss Pflege einfach verstehbar sein. Heute blicken selbst Experten kaum noch durch.“
Gemeinsame Verantwortung für eine generationengerechte Pflegefinanzierung
Thomas Knieling, Bundesgeschäftsführer des Verbands Deutscher Alten- und Behindertenhilfe, stellte schließlich das gemeinsame Anliegen der Initiative „generationengerechte Pflege” vor. Seit 2020 bringt die IGP als breites Bündnis aus Verbänden der Pflegewirtschaft, Trägern ambulanter und stationärer Pflege sowie Vertretern der Kostenträger, Arbeitgeber und der jungen Generation ganz unterschiedliche Akteure an einen Tisch, um die zentralen Herausforderungen der Pflege aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
Wir kommen an Grenzen – in der Versorgung, in der Finanzierung, in der Struktur, in der Komplexität.
Ziel der IGP ist es, diese Perspektiven zusammenzuführen und Impulse für eine Pflegepolitik zu geben, die sowohl finanzierbar bleibt als auch die Versorgung langfristig sichert. Knieling machte deutlich, dass Pflege für Einrichtungen, Versicherte und die Gesellschaft gleichermaßen leistbar bleiben müsse. Der politische Prozess lasse derzeit jedoch zu viele Fragen offen. Die Veranstaltung soll deshalb einen Beitrag dazu leisten, die unterschiedlichen Blickwinkel zusammenzubringen und die Reformdiskussion konstruktiv voranzutreiben.
Das Sozialforum machte deutlich, dass die Pflegeversicherung vor tiefgreifenden strukturellen Entscheidungen steht. Der PKV-Verband setzt sich dafür ein, diesen Dialog voranzubringen und Lösungen zu entwickeln, die Versorgungssicherheit und finanzielle Fairness über Generationen hinweg gewährleisten.