Generationenbilanz: Gesundheit und Pflege auf Pump
Meldung28. August 2025
Eine Expertenkommission soll einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenregel des Grundgesetzes entwickeln. Wie wichtig ein transparenter und nachhaltiger Umgang mit den öffentlichen Finanzen ist, zeigt eine Analyse der Stiftung Marktwirtschaft.
Vor dem Start der Expertenkommission, die einen Vorschlag zur Modernisierung der Schuldenregel des Grundgesetzes entwickeln soll, hat sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen für eine Verbesserung der Wirksamkeit der Schuldenbremse ausgesprochen. „Im Hinblick auf eine mögliche Neuregelung der Schuldenbremse stellt der Beirat fest, dass angesichts des geplanten Aufwuchses der Verschuldung eine wirksame Begrenzung der Neuverschuldung wichtiger wird als zuvor“, heißt es in dem Gutachten des Beirats. Die Gründe liegen auf der Hand: Bund und Länder haben die Schuldenbremse in den Jahren 2020 bis 2023 aufgrund der Corona- und der Energiekrise, die auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine folgte, per Ausnahmeregelung umgangen. Im März dieses Jahres haben zudem Union, SPD und Grüne im Bundestag die Regeln für Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben gelockert und ein schuldenfinanziertes Sondervermögen im Umfang von 500 Milliarden Euro beschlossen. Angesichts des Aufwuchs der Verschuldung warnt der Beirat vor den massiven Folgen für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sowie die Stabilität der europäischen Gemeinschaftswährung. Allen Warnungen zum Trotz setzen sich Politiker von SPD, Grünen und Linken dafür ein, die Schuldenbremse weiter auszusetzen oder sogar ganz abzuschaffen.
Ursprünglich wurde die Schuldenbremse 2009 eingeführt, damit die Schulden von heute die Generationen von morgen nicht erdrücken. „Die Schuldengrenze ist gelebte Nachhaltigkeit und ein Bollwerk für Generationengerechtigkeit“, beschreibt PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther ihre Bedeutung. Ihre Schutzfunktion für die nachfolgenden Generationen wird besonders deutlich beim Vergleich mit dem Finanzsystem der gesetzlichen Sozialversicherungen. In den umlagefinanzierten Sozialsystemen wird seit jeher die Bezahlung der heute zugesagten Leistungen in die Zukunft verschoben – und dadurch quasi ein verdeckter zusätzlicher Schuldenberg aufgehäuft. Welche Belastungen dadurch auf die nachfolgenden Generationen zukommen, weist die Stiftung Marktwirtschaft in ihrer alljährlichen Generationenbilanz aus.
Die implizite Verschuldung der Gesetzlichen Krankenversicherung und Sozialen Pflegeversicherung
Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen vom Freiburger Forschungszentrum Generationenverträge nutzt die Generationenbilanzierung, um die finanzielle Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit der Sozialversicherungen zu berechnen. Die Methode schreibt dafür die Beitragseinnahmen und die Leistungsausgaben unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung sowie der wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Rahmenbedingungen in die Zukunft fort. Auf dieser Basis können die Pro-Kopf-Zahlungen des durchschnittlichen Versicherten eines Altersjahrgangs ins Verhältnis zu den Versicherungsleistungen gesetzt werden, die bis zum Lebensende in Anspruch genommen werden. Der Saldo wird in einem sogenannten „Generationenkonto“ festgehalten.
Wenn die zukünftigen Ausgaben die zukünftigen Einnahmen übersteigen, spricht man von einer impliziten Verschuldung. Weil die in der Zukunft liegenden Leistungsverpflichtungen nicht wie explizite Schulden (z.B. bestehende Kredite oder Darlehen) verbrieft sind, wird auch von „verdeckten“ Schulden gesprochen. In den umlagefinanzierten Sozialversicherungen entstehen implizite Schulden, wenn eine Alterskohorte im Laufe ihres Lebens mehr Leistungen erhält als sie in die Versicherung eingezahlt hat. Der Saldo des Generationenkontos rutscht ins Minus und muss durch die nachfolgenden Generationen ausgeglichen werden. Aus der Summe von expliziten und impliziten Schulden entsteht die sogenannte „Nachhaltigkeitslücke“, die in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ausgewiesen wird. Sie bietet einen Indikator dafür, wie weit die Sozialversicherung aktuell von einer generationengerechten Lastenteilung entfernt ist.
Kranken- und Pflegekassen sind nicht auf den demografischen Wandel vorbereitet
Die Ergebnisse dieser Generationenbilanz für GKV und SPV sind alarmierend. Vor allem die Auswirkungen des demografischen Wandels werden zur Herausforderung. Seit Anfang diesen Jahres scheidet die Generation der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt aus. Die Zahl der Erwerbspersonen wird bis 2030 um fast 1,5 Millionen Personen zurückgehen. 5 Jahre später fehlen dem Arbeitsmarkt dann schon 5,8 Millionen Personen, während die Zahl der Menschen im Ruhestand bis dahin um 4,5 Millionen gestiegen ist.
Das Problem: Im Umlageverfahren der GKV und SPV müssen die aktiv Erwerbstätigen die Ausgaben von Ruheständlern mittragen, weil die Beiträge auf Renteneinkünfte und sonstige Ruhegelder nicht kostendeckend sind. Anders als die Private Krankenversicherung mit ihrem Aufbau kapitalgedeckter Alterungsrückstellungen treffen die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen für die höheren Leistungsausgaben der alternden Gesellschaft keine Vorsorge. Und weil die Ausgaben für die gesetzlichen Leistungszusagen in den kommenden Jahrzehnten demografiebedingt stark steigen werden, klafft dort eine gewaltige Nachhaltigkeitslücke: Die Generationenbilanz weist für die Gesetzliche Krankenversicherung 2025 eine implizite Verschuldung 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, für die Sozialen Pflegeversicherung von knapp 50 Prozent. Umgerechnet auf die Jahresleistung des BIP von 2024 (4,31 Billionen Euro) beträgt die Nachhaltigkeitslücke somit die unvorstellbare Summe von rund 2,5 Billionen Euro für die GKV sowie 2,2 Billionen Euro für die SPV. Das sind zusammen also rund 4,7 Billionen (!) Euro verdeckte Schulden.
Gesetzlich Versicherte müssen sich auf stark steigende Beiträge einstellen
Die Aussichten für die Versicherten sind düster. Zum Jahresbeginn 2025 gab es in der GKV historisch hohe Beitragserhöhungen : Die Krankenkassenbeiträge kletterten im Januar von 16,3 auf durchschnittlich 17,5 Prozent. „Auch 2026 drohen höhere Beitragssätze“, warnt der GKV-Spitzenverband. Diese Entwicklung war vorauszusehen. Zuletzt hatte der Ökonom und Wirtschaftsweise Prof. Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum die Beitragssatzentwicklung der umlagefinanzierte Sozialsysteme bis 2035 berechnet. Demnach könnte der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung von heute knapp 42 Prozent auf 47,5 Prozent steigen.
Zukünftig steigende Beitragssätze belasten vor allem die jüngeren Erwerbstätigen, während die Leistungsinanspruchnahme überdurchschnittlich häufig durch ältere Versicherte erfolgt.
Die fiskalisch und demografisch guten Zeiten, in denen sich die Sozialversicherungen in den vergangenen Jahren bewegt haben, sind unwiderruflich vorbei.“, schreiben die Autoren der Generationenbilanz. „Zukünftig sollte nicht zuerst über Ausgaben entschieden und anschließend diskutiert werden, wie diese zu finanzieren sind. Stattdessen braucht es eine nachhaltige und generationengerechte Finanzierungsstrategie, bevor Leistungszusagen mit massiven fiskalischen Folgen für zukünftige Generationen getroffen werden. Eine Möglichkeit, die Interessen zukünftiger Generationen zu sichern, könnte die Einbeziehung der impliziten Schulden bei der Neukonzeptionierung der Schuldenbremse sein“, lautet ihr Fazit.
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