04.06.2021 - Die Politik wird der Generationengerechtigkeit ganz neue Aufmerksamkeit schenken, sagte das Handelsblatt im April dieses Jahres voraus. Zuvor hatten die Karlsruher Verfassungsrichter in einem wegweisenden Urteil das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung wegen Verletzung der Freiheitsrechte nachfolgender Generationen für teilweise verfassungswidrig erklärt. Doch schon wenige Wochen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sieht das wieder ganz anders aus – zumindest in der Sozialpolitik.
Das Bundeskabinett hat diese Woche schwerwiegende Gesetzesänderungen zur Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf den Weg gebracht. Die Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erhält für das kommende Jahr die Stabilitätsgarantie, dass der aktuelle Beitragssatz von 14,6 Prozent und der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz von 1,3 Prozent nicht steigen wird. Schätzungsweise 19 Milliarden Euro sollen laut Medienberichten den Krankenkassen im kommenden Jahr fehlen. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Jahrzehnte langen Entwicklung, in der die GKV-Ausgaben deutlich schneller gestiegen sind als ihre Einnahmen. Weiteren Finanzierungsbedarf wird es auch in der in der Pflegeversicherung geben. Die dritte Pflegereform in fünf Jahren wird unter anderem die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen entlasten und dafür die pflegebedingten Eigenanteile begrenzen.
Demografischer Wandel verstärkt finanzielle Schieflage der GKV
Doch wer kommt für diese zusätzlichen Finanzierungslasten in Milliardenhöhe auf? Die Antwort ist auch deshalb brisant, weil der demografische Wandel die umlagefinanzierten Sozialversicherungen schon jetzt vor ein ungelöstes Problem stellt. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter deutlich sinken. Zugleich gehen aber immer mehr Angehörige der geburtenstarken Jahrgänge in Rente und zahlen dann deutlich weniger Sozialbeiträge, während ihre Gesundheits- und Pflegekosten mit zunehmendem Alter sehr stark ansteigen.
Immer höhere Lasten verteilen sich somit auf immer weniger Schultern. Eine Studie von Prof. Dr. Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum für die Bertelsmann-Stiftung zeigt: Ein 2010 geborener Mensch wird in seinem Leben durchschnittlich ein Drittel mehr Sozialbeiträge als ein 1970 Geborener zahlen. Schon heute ist klar: Diese Belastungen werden die Lebensgrundlagen und damit die Freiheiten und Chancen der Jungen einschränken.