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Der Finanzbedarf der Gesetzlichen Krankenkassen erreicht 2022 eine neue Rekordhöhe – und mit ihm auch der benötigte Bundeszuschuss, um das Defizit aufzufangen. Der PKV-Verband warnt vor dauerhaften Milliardenzuschüssen auf Kosten der Steuerzahler.

3.11.2021 – Um die Beiträge in der Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) stabil halten zu können, hat das geschäftsführende Bundeskabinett eine zusätzliche Finanzspritze von 7 Milliarden Euro beschlossen. Der Bundeszuschuss an die GKV steigt mit insgesamt 28,5 Milliarden Euro nur für 2022 auf eine historische Rekordhöhe. Ein Ende ist nicht in Sicht: Sollen die Beitragssätze auch in Zukunft konstant bleiben, summiert sich das Defizit bis 2030 auf 472 Milliarden Euro.

„Dauerhafte Steuerzuschüsse für die Kranken- und auch für die Pflegeversicherung rauben den Spielraum für dringend notwendige Investitionen etwa in Klimaschutz, Bildung und Digitalisierung“, warnt der Direktor Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV), Florian Reuther. „Der demografischen Entwicklung und den steigenden Gesundheitskosten können wir nur mit finanzieller Vorsorge begegnen. Die Nachhaltigkeit zu stärken sollte Priorität in den anstehenden Koalitionsverhandlungen haben.“

In Medienberichten wird oft auf Zusatzkosten durch die Corona-Krise verwiesen, doch nach eigenen Angaben der GKV haben nur rund 20 Prozent ihrer aktuellen Defizite mit der Pandemie zu tun. „Aktuell sehen wir mit Sorge die politische Tendenz, im Windschatten von Corona viele zusätzliche Milliarden Euro als Bundeszuschuss in die GKV zu schieben – und zwar auf Dauer, nicht nur während der Pandemie“, erklärt Reuther. Dabei hätten die Defizite der GKV vor allem strukturelle Ursachen, die man gezielt korrigieren müsse. Angesichts der dramatischen finanziellen Langzeitfolgen seien weitere Ausweitungen der Leistungen in der Kranken- und Pflegeversicherung nicht verantwortbar.

Höhere GKV-Bundeszuschüsse nicht generationengerecht

„Höhere Bundeszuschüsse lösen die Finanzprobleme der GKV nicht, sondern verstecken sie nur“, warnt Reuther. „Das bedeutet zusätzliche Staatsverschuldung und in der Folge dann höhere Steuern. Und die Gesundheitsversorgung gerät in Abhängigkeit des Finanzministers. Es drohte eine Versorgung nach Kassenlage – in Konkurrenz zu anderen wichtigen Zielen wie Klimaschutz oder Digitalisierung. Überdies würde der Wettbewerb zwischen Privater und Gesetzlicher Krankenversicherung massiv verzerrt.“ Die alleinige Fokussierung auf höhere Steuerzuschüsse ist auch nicht nachvollziehbar. „Es gibt viel effektivere und systemgerechte Wege, um die Krankenversicherung finanziell zu entlasten“, erklärt Reuther. „Zum Beispiel würden im System schon rund 2,4 Milliarden Euro pro Jahr frei, wenn der Staat die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel auf 7 Prozent absenken würde.“

Die Gesundheitsversorgung gerät in Abhängigkeit des Finanzministers. Es droht eine Versorgung nach Kassenlage – in Konkurrenz zu anderen wichtigen Zielen wie Klimaschutz oder Digitalisierung.

Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbands

Eine Steuerfinanzierung wäre weder nachhaltig noch generationengerecht. Denn dadurch würden die Lasten der aktuellen Gesundheitsausgaben nur verschoben und den nachfolgenden Generationen auferlegt. Diesen Standpunkt vertritt auch der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel: "Denn wenn wir heutige Sozialleistungen auf Pump finanzieren und Tilgung sowie Zinszahlungen auf die Zukunft verlagern, lassen wir künftige Generationen für unseren heutigen Konsum bezahlen", zitiert ihn das Handelsblatt (Ausgabe vom 12.05.2021).

Diese Hypothek wirkt umso schwerwiegender, weil in den nächsten Jahren die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter deutlich sinkt. Zugleich gehen aber immer mehr Angehörige der geburtenstarken Jahrgänge in Rente und zahlen dann deutlich weniger Krankenkassenbeiträge, während ihre Gesundheitskosten mit zunehmendem Alter sehr stark ansteigen. Immer höhere Lasten verteilen sich somit auf immer weniger Schultern. Dabei zeigen aktuelle Zahlen der OECD, dass Deutschland schon heute im internationalen Vergleich mit die höchste Steuer- und Abgabenquote hat.

Denn wenn wir heutige Sozialleistungen auf Pump finanzieren und Tilgung sowie Zinszahlungen auf die Zukunft verlagern, lassen wir künftige Generationen für unseren heutigen Konsum bezahlen.

Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts , Handelsblatt vom 12.05.2021

Welche Finanzrisiken mit Steuerzuschüssen an die GKV verbunden sind, zeigt schon die Entwicklung der letzten Jahre. Als vermeintlich vorübergehende Unterstützung wurde 2004 der erste Bundeszuschuss in Höhe von 1 Milliarde Euro an die GKV beschlossen, weil in der damaligen Konjunkturkrise deren Beitragseinnahmen gesunken waren. Fünf Jahre später – dann wegen der Finanzmarktkrise – waren es schon 7,2 Milliarden und nun werden es 28,5 Milliarden Euro. Pro Jahr. Diese Erfahrungen sollten den Finanzpolitikern und Steuerzahlern eine Warnung sein: Wenn die Tore für Steuerzuschüsse an die GKV einmal geöffnet sind, dann gehen sie nicht mehr zu, sondern drücken immer weiter auf.

Demografie: Die Umlagefinanzierung stößt an ihre Grenze

Das Problem: Im demografischen Wandel stößt die Umlagefinanzierung der GKV zunehmend an ihre Grenze. Ab 2025 werden die ersten Babyboomer in Rente gehen – das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern wird sich zulasten der erwerbstätigen jüngeren Generationen verändern.

Das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) hat berechnet, welche Folgen diese demografischen Veränderungen für die GKV haben werden. Schon allein durch die Demografie – ohne sonstige Kostenanstiege – müsste der Bundeszuschuss bis 2030 bereits auf 30 Milliarden Euro im Jahr erhöht werden, wenn der bisherige GKV-Beitragssatz von 14,6 Prozent und der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz von 1,3 Prozent nicht weiter steigen soll.

Doch diese Summe würde bei weitem nicht reichen, denn es kommen noch die stetig steigenden Gesundheitskosten hinzu. Wenn die Einnahmen und Ausgaben der GKV künftig im gleichen Maße steigen wie in den vergangenen 20 Jahren, dann werden 2030 bereits rund 83 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt gebraucht, um die GKV-Beitragssätze stabil zu halten. In der Summe der Jahre 2022-2030 wären dafür 471,7 Mrd. Euro zusätzliche Steuermittel erforderlich.

„Steuerzuschüsse erzeugen lediglich eine Finanzierungsillusion“

Das WIP schreibt als Fazit: „Die GKV steht unter wachsendem finanziellen Druck. Dauerhaft höhere Steuerzuschüsse dürfen dafür nicht die Lösung sein, denn sie würden die ohnehin schon intransparente Finanzierungsstruktur noch ausweiten. Steuerzuschüsse erzeugen lediglich eine Finanzierungsillusion und machen die GKV von der Haushaltssituation des Bundes und damit vom Finanzminister abhängig. Ausgabenstrukturen werden verzerrt und Verantwortlichkeiten verwischt.“

Die Wissenschaftler ergänzen: „Mit steigender Steuerfinanzierung schwindet mehr und mehr der grundlegende Vorteil einer haushaltspolitisch weitgehend unabhängigen GKV. Für GKV-Versicherte werden die tatsächlichen Kosten ihres Krankheitsrisikos durch die mangelnde Transparenz verschleiert. GKV-Versicherten muss also klar sein, dass die finanzielle Schieflage der GKV weiterhin existiert und es über kurz oder lang erneute Diskussionen über Beitragssatzerhöhungen oder gar noch unpopulärere Leistungskürzungen geben wird.“

Auch für die Soziale Pflegeversicherung (SPV) hat das WIP den Finanzbedarf der nächsten Jahre berechnet. Wenn Einnahmen und Ausgaben der SPV künftig im gleichen Maße steigen wie in den vergangenen 20 Jahren, dann ergeben sich zusammen mit der demografischen Entwicklung folgende Aussichten: Um den Beitragssatz zur Pflegeversicherung konstant zu halten, muss der soeben erst eingeführte und zum 1.1.2022 beginnende Bundeszuschuss zur SPV schon in den nächsten acht Jahren um über 3.000 Prozent (!) steigen – von 1 Mrd. im Jahr 2022 auf 32,1 Mrd. Euro im Jahr 2030. In der Summe wären 156,5 Mrd. Euro bis zum Ende des Jahrzehnts (2022-2030) erforderlich.

Vor dem Hintergrund dieser demografischen Entwicklung verstoßen weitere Leistungsausweitungen in der umlagefinanzierten Sozialversicherung gegen das Gebot der Nachhaltigkeit. Denn egal ob durch Steuern oder Beiträge finanziert, sie gehen auf Kosten der nachfolgenden Generationen.

Die Steuerfinanzierung steht auch im Widerspruch zum dualen Krankenversicherungssystem aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung. Denn die Private Krankenversicherung erhält keine Steuerzuschüsse. Im Gegenteil: Nach Berechnungen des Wirtschaftsinstituts RWI tragen die Privatversicherten überproportional zu den Steuerzuschüssen an die GKV bei. Obwohl sie nur 10 Prozent der Versicherten in Deutschland stellen, sind sie als Steuerzahler mit mehr als 20 Prozent an der Finanzierung beteiligt.