Pflege

Die Rentenversicherung bekommt ihn schon seit 1950, die Gesetzliche Krankenversicherung seit 2004 – und nun auch die Soziale Pflegeversicherung (SPV): den Bundeszuschuss. Coronabedingt einmalig in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, wie es in der Begründung des Bundesgesundheitsministeriums heißt.

Prof. Dr. Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum

02.10.2020 – Ist das vielleicht der Auftakt für einen dauerhaften Steuerzuschuss in der Pflegeversicherung, wie in der aktuellen Debatte um die Reform der Pflegefinanzierung diskutiert wird? Und sind Steuermittel überhaupt sinnvoll, um gesetzliche Pflegeversicherung solide zu finanzieren, oder sind andere Instrumente für eine nachhaltige Finanzierung nicht besser geeignet?

Um diese Fragen ging es im Rahmen der Gsprächsreihe „Impulse für die nächste Pflegereform“. Das Interesse an den Eckpunkten der Pflegereform ist hoch. Mehr als 60 Personen verfolgten das Gespräch von Prof. Dr. Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum, mit Dr. Timm Genett, Geschäftsführer Politik beim PKV-Verband, zum Thema „Steuermittel für die Pflege? Wie tragfähig ist ein Bundeszuschuss zur Pflege?“.

Die Frage nach der künftigen Finanzierbarkeit der SPV ist unmittelbar mit der demografischen Entwicklungen verknüpft Entsprechend düster fiel der Ausblick von Prof. Werding für die kommenden 20 Jahren aus: Vor 20 Jahren kamen noch vier Erwerbstätige für die Rente eines Ruheständlers auf, 2040 werden nur noch zwei Erwerbstätige dafür aufkommen. Die demografische Entwicklung erhöht auch den Druck auf die umlagefinanzierte SPV, so Prof. Werding. Zudem werde der Bedarf an Pflege durch die Alterung der Gesellschaft steigen und damit die Pflegekassen zusätzlich belasten. Sein Fazit: „Wir haben ein Problem, dessen Größe wir nicht kennen. Aber: Wir haben ein Problem.“ Dr. Genett warf die Frage auf, welche Auswirkungen der demografische Wandel für die Höhe aller Sozialbeiträge insgesamt habe? Prof. Werding zeichnete auch hier klares Bild: Bei der prognostizierten demografischen Alterung müssten die Sozialabgaben von derzeit 39,9 Prozent des Erwerbeinkommens auf 49,6 Prozent in 2040 und auf 50,7 Prozent in 2060 ansteigen. Es scheine damit nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann das von der Bundesregierung festgelegte Ziel, die Abgaben nicht über 40 Prozent ansteigen zu lassen, reißen werde. Damit einher gingen steigende Lohnzusatzkosten, die schon heute zu den höchsten der Welt zählten und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland mehr und mehr gefährden würden.

Klarer Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit

Dauerhafte Steuerzuschüsse und steigende Beiträge: So könnte die Zukunft der Sozialen Pflegeversicherung aussehen. Doch was bedeute das für künftige Generationen, fragte Dr. Timm Genett. Drohe hier nicht eine überproportionale Belastung? Junge Menschen müssten prozentual immer mehr von ihrem Lebenserwerbseinkommen einzahlen, als das von älteren Generationen abverlangt wurde, erklärte Prof. Werding. Ein 2010 Geborener wird insgesamt über 54 Prozent seines Lebenserwerbseinkommens an Sozialabgaben abführen müssen, während 34 Prozent des Einkommens für eine Person mit dem Geburtsjahr 1940 ausreichten. Der Wert werde sich damit innerhalb von 70 Jahren fast verdoppeln. „So gesehen sind weitere Beitragssteigerungen ein klarer Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit,“ fasste Prof. Werding zusammen.

Private Vorsorge eine ergänzende Säule

Entlastung der Jüngeren, faire Kostenverteilung unter den Generationen? Aus der Politik kämen andere Signale, führte Dr. Genett aus. Die Leistungen der Pflegeversicherung würden nach und nach ausgebaut, die Eigenanteile an den Pflegekosten versucht zu begrenzen. Denn steigende Pflegekosten, so die Begründung, würden Altersarmut befördern. Die Daten zeigten jedoch ein anderes Bild, stellte Genett fest. Die Zahl der Bezieher von „Hilfe zur Pflege“ sei seit Einführung der Pflegepflichtversicherung rückläufig. Und auch die Vermögensituation unter den Rentnern wäre weitaus besser als angenommen, wie eine aktuelle Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Dieser zufolge könnten 67 Prozent aller Rentnerhaushalte aus Vermögen und Einkommen einen fünfjährigen Aufenthalt in einem Pflegeheim zahlen.

Wie könnte eine nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung aussehen? „Mit Steuermitteln kann man nicht ewig draufsatteln,“ gab Prof. Werding zu Bedenken. Auch Beitragssteigerungen seien nicht beliebig fortführbar. Werding schlägt stattdessen die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors in der SPV vor. Daneben sei – gerade weil das Umlageverfahren demografiebedingt an seine Grenzen komme – eine private, kapitalgedeckte Vorsorge notwendig.

Den größten Hebel für die kapitalgedeckte Vorsorge sieht Prof. Werding in der Entwicklung des Arbeitsmarkts. Im Wettbewerb um die besten Fachkräfte könnten Arbeitgeber Pflegezusatzversicherungen anbieten, die im Pflegefall die Eigenanteile zahle, die nicht von der Pflegeversicherung abgedeckt sind. Wie das aussehen könne, zeige der aktuelle Tarifabschluss in der Chemiebranche. Mit einem Schlag seien sechshunderttausend Mitarbeiter der Chemiebranche mit einer Zusatzversicherung ausgestattet, die sie im Pflegefall absichert. Das sei ein erstes Beispiel dafür, wie die Pflegeversicherung nachhaltig und generationengerecht finanziert werden können.

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