Stellungnahme 25. November 2022

Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Achten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (8. SGB IV-Änderungsgesetz – 8. SGB IV-ÄndG) - Drucksache 20/3900. Anlässlich der öffentlichen Anhörung vor dem Ausschuss für Arbeit und Soziales.

Zusammenfassung

Die Neuregelung in § 6 KSVG ist ein Tabubruch: Mit ihr würde die Wahlfreiheit von Selbständigen zwischen PKV und GKV erheblich eingeschränkt; in der Konsequenz wird Künstlern der Weg in die PKV praktisch verbaut. Damit würden Künstler schlechter behandelt als andere Selbständige.

Die Regelungen widersprechen den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages, wonach das Wettbewerbsverhältnis zwischen GKV und PKV nicht angefasst wird.

Zu ausgewählten Änderungsanträgen

Zu Artikel 1 Nr. 39c (Meldung der Arbeitsunfähigkeitszeiten an den Arbeitgeber, § 109 SGB IV)

Vorgeschlagene Regelung

Der Regelung zufolge sollen künftig Arbeitsunfähigkeitszeiten während des Aufenthalts in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung im Abrufverfahren für die Arbeitgeber bei den gesetzlichen Krankenkassen künftig elektronisch nachgewiesen werden.

Bewertung

Der PKV-Verband begrüßt grundsätzlich die Fortentwicklung der Digitalisierung der Bescheinigung bzw. des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit durch die Einbeziehung von Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen in das Arbeitgeber-Abrufverfahren. Diese Entwicklung verdeutlicht gleichzeitig das praktische Bedürfnis, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vollumfänglich auch für Privatversicherte und deren Arbeitgeber nutzbar zu machen. Hierzu ist eine gesetzliche Regelung erforderlich. Mangels gesetzlicher Datenverarbeitungsgrundlage wäre die Nutzung von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) im PKV-Bereich nur einwilligungsbasiert und damit nur im Einzelfall möglich. Dies ist nicht praktikabel und führt zu einem Nebeneinander von digitalen und papiergebundenen Prozessen.

Allerdings fehlt es derzeit an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung entsprechend § 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB V, um auch die elektronischen Übermittlungen der eAU für die Privatversicherten und deren Arbeitgeber umzusetzen. Eine solche Regelung sollte geschaffen werden.

Zu Artikel 7 Nr. 14c (§ 150 Abs. 5 Satz 1 SGB VI)

Vorgeschlagene Regelung

§ 150 Abs. 5 SGB VI zählt abschließend die Institutionen auf, die die bei der Datenstelle der Träger der Rentenversicherung gespeicherten Sozialdaten automatisch abrufen dürfen. In diese Auflistung werden nun die Unternehmen der privaten Krankenversicherung aufgenommen, sodass diesen nunmehr eine Teilnahme am sogenannten Online-Verfahren zum Abruf der Sozialdaten möglich ist.

Bewertung

Die Neuregelung ist zu begrüßen. Die Beteiligung der Unternehmen der Privaten Krankenversicherung am Abrufverfahren ist Voraussetzung dafür, dass für Privatversicherte auf der Basis der Rentenversicherungsnummer die einheitliche Krankenversichertennummer (KVNR) vergeben werden kann.  Die Regelung sollte allerdings ergänzt werden um die Befugnis der PKV-Unternehmen, - analog zu den Gesetzlichen Krankenkassen – das Verfahren für den unveränderbaren Teil der KVNR ohne vorheriges Einwilligungserfordernis der Versicherten tatsächlich als automatisiertes Verfahren durchzuführen.

Zu Artikel 17 Nummer 2 Buchstabe a (§ 6 KSVG)

Vorgeschlagene Regelung

Die Regelungen zur Befreiung von der Krankenversicherungspflicht werden verändert. Zwar haben Berufsanfängerinnen und -anfänger nach wie vor die Möglichkeit, sich bei erstmaliger Aufnahme einer selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung befreien zu lassen. Anders als bisher gilt die Befreiungsentscheidung aber nach Ende der Berufsanfängerzeit nicht mehr unwiderruflich fort. Die Befreiung endet vielmehr drei Jahre nach Ablauf des maßgeblichen Dreijahreszeitraums nach § 3 Abs. 2 KSVG mit Ablauf des nächstfolgenden 31. März, mithin rund sechs Jahre nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit als selbständiger Künstler oder Publizist. Abweichend vom bisherigen Recht tritt danach automatisch Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ein. Danach ist eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nur noch unter den Voraussetzungen des § 7 KSVG bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 6 SGB V in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren möglich.

Bewertung

Die vorgesehene Neuregelung in § 6 Abs. 1 KSVG ändert den bisherigen Befreiungstatbestand grundlegend. Anders als bisher soll die Befreiung nicht mehr unbefristet fortgelten, sondern automatisch enden - mit der Folge, dass trotz der Befreiungsentscheidung zu Beginn der künstlerischen Tätigkeit Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung eintritt. Das Wahlrecht selbständig tätiger Künstler und Publizisten, welches aus nachvollziehbaren Gründen im KSVG implementiert wurde, wird damit konterkariert und zu Lasten einer Absicherung in der Privaten Krankenversicherung erheblich eingeschränkt. Für eine wesentliche Gruppe von Selbständigen, nämlich die Künstler und Publizisten, wird damit die Versicherungspflicht in der GKV erheblich ausgedehnt, indem die Befreiungsmöglichkeit vom Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze für Angestellte abhängig gemacht wird. Die Wahlfreiheit der Selbstständigen zur Absicherung in der Privaten Krankenversicherung wird damit erheblich eingeschränkt. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass eine Befreiung wegen höherer Verdienste abweichend von den allgemeinen Regelungen für Angestellte ein dreijähriges Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze erfordert (§ 7 KSVG). Damit wird zu Lasten der Privaten Krankenversicherung in den Wettbewerb zwischen GKV und PKV eingegriffen; die Wahlfreiheit der selbständigen Künstler und Publizisten zwischen den Versicherungssystemen wird massiv eingeschränkt. Auf die vorgeschlagene Änderung sollte verzichtet werden. Für Künstler und Publizisten sollten die allgemeinen Regelungen des SGB V für Selbständige Anwendung finden.

Im Einzelnen:

Die bisherige Regelung räumt Berufsanfängern in den ersten drei Jahren ihrer Selbstständigkeit die Möglichkeit ein, sich für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) oder eine Private Krankenversicherung (PKV) zu entscheiden. Entgegen der ansonsten geltenden Regelung des § 5 Abs. 5 SGB V, dass hauptberuflich selbständig Erwerbstätige ohne ihr weiteres Zutun und einkommensunabhängig versicherungsfrei in der GKV sind, wird den selbständigen Künstlern und Publizisten ein Wahlrecht eingeräumt. Dieser Ausnahmeregelung liegt der Gedanke zugrunde, dass die Aufnahme einer freiberuflichen künstlerischen bzw. publizistischen Tätigkeit typischerweise mit besonderen Unwägbarkeiten verbunden ist und es daher nicht zweckmäßig erscheinen mag, den krankenversicherungsrechtlichen Status für Berufsanfänger verbindlich festzulegen.

Nach der bislang geltenden Regelung haben Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger bis zum Ende des maßgeblichen Dreijahreszeitraums nach § 3 Abs. 2 KSVG einmalig die Möglichkeit, ihre Entscheidung zur Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zu ändern. Zwar bleibt es auch nach den nunmehr vorgeschlagenen Neuregelungen hierbei. Die – vermeintliche – Entscheidungsfreiheit des selbständigen Künstlers bzw. Publizisten wird jedoch durch die vorgesehene Änderung in § 6 Abs. 1 KSVG konterkariert und im wesentlichen Kern abgeschafft. Danach soll die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht automatisch nach Zeitablauf enden. Eine darüberhinausgehende Befreiung ist dann nur noch bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 6 SGB V in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren möglich – was eine zusätzliche Hürde für die Wahrnehmung der vermeintlichen Wahlfreiheit für die Selbständigen darstellt.

Ausweislich der Begründung soll das „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ähnliche Schutzbedürfnis der nach dem KSVG Versicherten“ einer dauerhaften, einkommensunabhängigen Befreiung von der Versicherungspflicht entgegenstehen. Dabei wird verkannt, dass es sich bei dem betroffenen Personenkreis um hauptberuflich selbständig Erwerbstätige handelt, wie es auch das Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck gebracht hat. Eine Aufnahme als Pflichtversicherte in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung ist eine Abkehr vom bisherigen Prinzip der einkommensunabhängigen Versicherungsfreiheit selbständig tätiger Künstler und Publizisten, missachtet die Einordnung dieses Personenkreises als (nicht abhängig beschäftigte) Selbständige und wirft darüber hinaus Fragen der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung gegenüber sonstigen Selbständigen auf.

Ausweislich der Begründung soll selbständig tätigen Künstlern und Publizisten mit der Neuregelung die Möglichkeit gegeben werden, ihre berufliche und wirtschaftliche Situation insoweit zu festigen, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht durch das Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze (§ 7 KSVG) gegeben sind. Dem liegt offenbar der Gedanke zugrunde, nur ein Einkommen oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze sichere den Personenkreis ausreichend ab, um auch in Zukunft die Beiträge in der PKV tragen zu können. Die vorgesehene Regelung wird diesem Ziel aber nicht gerecht, da eine Befreiung nach § 7 KSVG unwiderruflich ist und insbesondere auch dann Gültigkeit behält, sollte das Einkommen zukünftig sinken und unterhalb der Versicherungspflichtgrenze liegen. Eine Rückkehrmöglichkeit in die GKV gerade im fortgeschrittenen Lebensalter ist grundsätzlich ausgeschlossen. Zudem wird insoweit unzutreffend unterstellt, dass PKV-Beiträge stets höher sind, als die Beiträge in der GKV, und daher Entlastungsbedarf besteht. Dies ist jedoch regelmäßig nicht der Fall, insbesondere bei Versicherungsnehmern, die frühzeitig in die PKV eingetreten sind, langfristig im PKV-System verblieben und ausreichend Altersrückstellungen gebildet haben. Die Neuregelungen führen entsprechend u. U. zu weiteren Nachteilen zu Lasten der PKV-Option, wenn in den Berufseinstiegsjahren Wechsel der Krankenversicherungssysteme vorgenommen werden (müssen).

Dem Ansinnen, Selbständige vor einer vermeintlich hohen Beitragslast insbesondere im fortgeschrittenen Lebensalter zu schützen, würde zudem besser Rechnung getragen, würde langjährigen Versicherten mit Vertragsschluss auch ab dem 1.1.2009 – entgegen der derzeitigen gesetzlichen Regelung – ein Zugang zum Standardtarif eröffnet. Dieser bietet adäquate Lösungen für schwierige finanzielle Situationen, zumal der Durchschnittsbeitrag aktuell bei etwa EUR 390 p. M. liegt und bei langjähriger Zugehörigkeit zur Privaten Krankenversicherung sogar deutlich darunter, mithin im Allgemeinen tragfähig erscheint. Dies würde den Künstlern und Publizisten deutlich mehr Möglichkeiten und Freiheiten und letztlich finanziell bewältigbare Perspektiven im Alter bieten als die angedachte Wechselkaskade.

Daher sollten die geltenden Regelungen zur Befreiung nach § 6 KSVG beibehalten werden, und die vorgeschlagene Änderung sollte nicht erfolgen. Zudem sollte auf die Drei-Jahres-Regelung in § 7 KSVG verzichtet werden. Stattdessen sollte der Standardtarif für alle langjährigen Versicherten geöffnet werden, um auch bei sinkenden Alterseinkommen eine Fortführung des Versicherungsschutzes auf dem Niveau der Gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Privaten Krankenversicherung zu ermöglichen.