Stellungnahme 16. September 2021

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für eine Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2022.

I. Allgemeine Anmerkungen

Arbeitnehmer dürfen erst frei zwischen einem Versicherungsschutz in GKV oder PKV wählen, wenn ihr Einkommen die Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt. Je höher die Jahresarbeitsentgeltgrenze, desto weniger Menschen verfügen über die Wahlfreiheit, sich zwischen GKV und PKV zu entscheiden. Daher wird die Jahresarbeitsentgeltgrenze im allgemeinen Sprachgebrauch als Versicherungspflichtgrenze bezeichnet. Von der Versicherungspflichtgrenze zu unterscheiden ist die Beitragsbemessungsgrenze, die bestimmt, bis zu welcher Höhe das Einkommen für Beiträge zur Sozialversicherung herangezogen wird.

In jedem Jahr werden die Vorjahreswerte der bundeseinheitlich geltenden Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung mit der Veränderungsrate der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer fortgeschrieben. Die maßgebende gesamtdeutsche Veränderungsrate im Jahr 2020 beträgt statistisch -0,15 Prozent. Damit bleibt die Versicherungspflichtgrenze 2022 auf dem diesjährigen Niveau von 64.350 Euro.

II. Bewertung

Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze waren in der GKV bis Ende 2002 identisch. Die rot-grüne Bundesregierung hat sie zur Jahreswende 2002/2003 voneinander entkoppelt und die Versicherungspflichtgrenze im Verhältnis überproportional erhöht. Damit war und ist das klare Ziel verbunden, den Kreis der Versicherten, die frei zwischen GKV und PKV entscheiden, systematisch einzugrenzen. Die Wahlfreiheit wurde beschnitten.

Dazu kommt die Absurdität, dass somit seit 2003 zwei Versicherungspflichtgrenzen parallel existieren: Für alle PKV-Versicherten, die am 31.12.2002 bereits als Arbeitnehmer versicherungsfrei und privat krankenversichert waren (PKV-Bestandsfälle), gilt nach wie vor die Beitragsbemessungsgrenze der GKV als „besondere Versicherungspflichtgrenze“.

Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze werden jeweils jährlich entlang der Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter dynamisiert. Beide Werte driften im Zeitverlauf immer weiter auseinander: Lag die Differenz zwischen Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2003 noch bei 4.500 Euro, sind es mittlerweile bereits 6.300 Euro (siehe Anlagen 1 und 2).

Die außerordentliche Anhebung der Versicherungspflichtgrenze in 2003 ist wettbewerbsfeindlich und hat den Wettbewerb zwischen GKV und PKV systematisch eingeschränkt. Immer mehr Arbeitnehmer werden in der GKV pflichtversichert. Wird dieser Entwicklung nicht entgegengewirkt, entsteht schleichend eine „Arbeitnehmer-Bürgerversicherung“. Um den Wettbewerb und die Wahlfreiheit der Arbeitnehmer zu stärken, muss die Versicherungspflichtgrenze auf das Niveau der Beitragsbemessungsgrenze (= „besondere Versicherungspflichtgrenze“) abgesenkt werden.