Stellungnahme 28. Februar 2023

Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat für ein Gesetz zur Sicherstellung einer amtsangemessenen Bundesbesoldung und –versorgung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (Bundesbesoldungs- und –versorgungsangemessenheitsgesetz – BBVAnGG)

  • Die Umsetzung der Rechtsprechung zur amtsangemessenen Alimentation sollte im System der Besoldung erfolgen und nicht durch eine Ausdehnung von Beihilfeleistungen. Beispiele aus den Bundesländern zeigen, dass so passgenau die vom Gericht eingeforderten Entlastungen erreicht werden können.
  • Die zunehmende Abhängigkeit der Beamten und ihrer Angehörigen vom Beihilfesystem schränkt ihre Vorsorgefreiheit ein. Ein späterer Wechsel der Angehörigen – etwa aufgrund eigener Erwerbstätigkeit – aus dem Beihilfesystem heraus, wird für diese mit hohen Mehrkosten verbunden sein.
  • Die Umstellung beziehungsweise Neuauflage der Verträge in der PKV-Restkostenversicherung ist mit hohem administrativen Aufwand verbunden und wird einige Zeit in Anspruch nehmen – es bedarf einer Umsetzungsfrist für die PKV-Unternehmen von mindestens sechs Monaten. Hinzu kommt eine sechsmonatige Antragsfrist der Beihilfeberechtigten, die sich aktiv um die Umstellung ihrer Verträge bemühen müssen und hierzu entsprechend von ihrem jeweiligen Dienstherrn zu informieren sind.
  • Die Ausweitung der Beihilfeleistungen ist nicht generationengerecht und belastet zukünftige Haushalte. Für die mit dem Alter und aufgrund des medizinischen Fortschritts steigenden Kosten wird – anders als in der PKV – nicht vorgesorgt.
  • Auf die Ausweitung der Beihilfebemessungssätze für Angehörige und Beamte mit nur einem Kind für alle Besoldungsstufen sollte verzichtet werden.

I. Allgemeine Bewertung

Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 zur Richterbesoldung in Berlin (Beschluss vom 04.05.2020 – Az. 2 BvL 4/18) sowie zur Alimentation von Richtern und ihren Familien mit mehr als zwei Kindern in Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 04.05.2020 – Az. 2 BvL 6/17) entschieden, dass der erforderliche Abstand der Alimentation zur Grundsicherung unterschritten wird und die Anforderungen an eine amtsangemessene Alimentation des Beamten und seiner Familie mit mehr als zwei Kindern nicht er füllt werden. Diese Rechtsprechung, die insbesondere auf die amtsangemessene Alimentation von Beamtinnen und Beamten der unteren Besoldungsgruppen und mit Kindern abzielt, nimmt das Bundesministerium des Innern und für Heimat mit dem oben genannten Gesetzentwurf zum Anlass, das Besoldungsgefüge des Bundes anzupassen.

Die vorgeschlagene Umsetzung erfolgt dabei aber nicht nur im Bereich der Besoldung. Stattdessen wird – zu Lasten der Privaten Krankenversicherung – in das bewährte Nebeneinander von Beihilfe und beihilfekonformer privater Krankenversicherung eingegriffen. Um die bei der Besoldung zu berücksich-tigenden Beiträge zur Privaten Krankenversicherung abzusenken, werden mit dem Gesetzentwurf die aus dem Bundeshaushalt zu finanzierenden Beihilfeleistungen bei Krankheit erheblich ausgedehnt. Die Beihilfebemessungssätze für die berücksichtigungsfähigen Angehörigen werden um mehr als 25 Prozent von 70 auf 90 Prozent gesteigert. Die Erhöhung des Beihilfebemessungssatzes für einen Beihilfeberechtigten mit Kindern wird bereits ab dem ersten Kind auf 70 Prozent (bisher erst ab zwei Kindern) gesteigert.

Die geplante Erhöhung der Beihilfebemessungssätze für sämtliche Bundesbeamten ist nicht zielgenau. Es profitieren von dieser Ausdehnung der Beihilfeleistungen auch Beamte in höheren Besoldungsstufen, ohne dass dies vom Bundesverfassungsgericht eingefordert worden wäre. Beispiele aus den Bundesländern zur Umsetzung der Rechtsprechung zeigen dagegen, dass passgenau die vom Ge-richt eingeforderten Entlastungen bei den unteren Besoldungsstufen erreicht werden können, unter anderem durch erhöhte kindbezogene Familienzuschläge, Zuschüsse zur Privaten Krankenversicherung etc..

Die Neuregelung schränkt die verfassungsrechtlich garantierte Vorsorgefreiheit der Beamten für sich und ihre Kinder erheblich ein, indem insbesondere für die Angehörigen des Beamten eine „90prozentige“ Abhängigkeit vom Beihilfesystem geschaffen wird. Besonders kritisch ist diese Ände-rung für die bei der Beihilfe zu berücksichtigenden Ehegatten und Lebenspartner des beihilfeberechtig-ten Beamten. Denn die Neuregelung schränkt den Aufbau einer eigenen, kapitalgedeckten Privaten Krankenversicherung mit Alterungsrückstellung massiv ein. Bei einem Versicherungsschutz von 10 Prozent findet nur noch in sehr geringem Umfang Vorsorge für die erhöhten Kosten im Alter statt. Dies hat zur Folge, dass bei einem späteren Wechsel aus dem Beihilfesystem heraus extrem hohe Kosten für eine Nachversicherung in der Privaten Krankenversicherung anfallen. Dies ist etwa der Fall bei Scheidung vom Beihilfeberechtigten oder bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, deren Einnahmen oberhalb der Einkommensgrenzen des Beihilfesystems liegen. Die Angehörigen werden damit einer extremen Abhängigkeit vom Beihilfesystem ausgesetzt bzw. in ihren eigenen Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Dies wird modernen (Erwerbs-)Biografien nicht gerecht.
 
Durch die deutliche Erhöhung der Beihilfebemessungssätze gerät die Gesundheitsversorgung der Be-amtinnen und Beamten, ihrer Kinder und Angehörigen überdies in zunehmende Abhängigkeit vom Bundeshaushalt. Sollte in Zeiten einer schwierigen Haushaltslage die Beihilfebemessungssätze wieder gesenkt werden müssen, wird dies mit nicht unerheblichen Kosten für die Beamten und ihre Angehörigen verbunden sein, da sie insbesondere den Aufbau von Alterungsrückstellungen für viele Jahre nachholen müssen.

Schließlich ist die Umsetzung nicht generationengerecht und nicht nachhaltig. Sie sorgt dafür, dass weniger Absicherung in der kapitalgedeckten Privaten Krankenversicherung erfolgt. Zugleich werden mit der Ausdehnung der Beihilfeleistungen angesichts der mit dem Alter und aufgrund des medizinischen Fortschritts steigenden Kosten für die Versorgung bei Krankheit zukünftige Lasten für den Bun-deshaushalt begründet. Für diese Lasten bildet der Bund keine Vorsorgerücklage. Die mit dem kapitalgedeckten System der Privaten Krankenversicherung verbundenen Vorteile von Kapitalerträgen bleiben bei der Finanzierung damit ungenutzt. Stattdessen werden allenfalls kurzfristige Einsparungen mit zukünftigen, ungedeckte Lasten für die Beihilfeaufwendungen des Bundes begründet. Angesichts des demografischen Wandels auch im Personalbestand des Bundes wäre es richtig, mehr Eigenvorsorge durch die Beamten zu fördern und damit mehr Kapitaldeckung nutzbar zu machen.

II. Zu ausgewählten Regelungen

Artikel 11 Abs. 4 Buchst. a) – Änderung § 46 Abs. 2 Bundesbeihilfeverordnung (BBhV)

Vorgeschlagene Regelung

Die Regelung sieht die Erhöhung der Beihilfebemessungssätze für berücksichtigungsfähige Angehörige und Kinder von 70 Prozent auf 90 Prozent vor.

Bewertung

Mit der Regelung werden die Beihilfeleistungen für die bei der Beihilfe zu berücksichtigenden Angehörigen erheblich gesteigert. Gleichzeitig reduziert sich die Notwendigkeit, in der Privaten Krankenversicherung Restkosten abzusichern von 30 auf 10 Prozent. Durch diese Reduzierung verspricht sich das BMI ausweislich der Gesetzesbegründung eine Entlastung der Angehörigen von anfallenden Beiträgen. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass eine Reduzierung der abzusichernden Restkosten um zwei Drittel gleichzeitig auch eine entsprechende Senkung des PKV-Beitrags bedeutet, da im Rahmen der Beitragsberechnung insbesondere Verwaltungskosten und andere Fixkosten, die unabhängig sind vom tragenden Kostenanteil, hinzuzurechnen sind. Die tatsächlich bei der Besoldungsbemessung zu berücksichtigende Ersparnis wird daher nicht bei zwei Dritten liegen.

Besonders ungeeignet ist die geplante Regelung für Ehegatten, deren Abhängigkeit vom Beihilfesystem massiv erhöht wird. Zudem wird in die verfassungsrechtlich garantierte Vorsorgefreiheit des Beamten und seiner Familie eingegriffen. Bei den Ehegatten, für die in der Privaten Krankenversicherung Alterungsrückstellung zur Finanzierung der höheren Krankheitskosten im Alter aufgebaut werden, werden bei einem Versicherungsumfang von 10 Prozent nur noch in sehr geringem Maße Alterungsrückstellungen aufgebaut. Damit wird eine massive Abhängigkeit vom Beihilfesystem für die Ehegatten geschaffen.

Besonders misslich ist es aber auch hier, wenn Ehegatten bereits langjährig bestehende PKV-Verträge mit einem entsprechenden Aufbau der Alterungsrückstellung in ihrem Versicherungsumfang von 30 auf 10 Prozent reduzieren. Die bereits geleisteten Beträge für die Vorsorge höherer Krankheitskosten im Alter werden damit ihrer Zweckbestimmung entzogen.

Die Regelung erfordert die Anpassung der bestehenden Verträge der Privaten Krankenversicherung bzw. eine Überführung in neue Restkostentarife, die vielfach noch geschaffen und kalkuliert werden müssen. Auch bedarf es einer Abgrenzung bei Vertragsumstellung beispielsweise wenn Leistungen im Rahmen einer längeren Dauerbehandlung oder bei Krankenhaus-/Reha-Aufenthalten in Anspruch genommen werden. All das ist mit erheblichen Aufwänden für das Auflegen und die Abwicklung derartiger Verträge verbunden und erfordert eine Umstellungsfrist für die PKV-Unternehmen von mindestens sechs Monaten. Versicherungsvertragsrechtlich besteht ein Anspruch auf die entsprechende Anpassung der Verträge. Voraussetzung für eine nachteilsfreie Anpassung bzw. einen nachteilsfreien Wechsel ist, dass die Beihilfeberechtigten innerhalb von sechs Monaten die Anpassung des Versicherungsschutzes bei ihrem Unternehmen beantragen (§ 199 Abs. 2 VVG). Hierfür sollten sie von ihrem Dienstherrn mit entsprechenden Informationen ausgestattet werden. Eine rückwirkende Umstellung der Verträge ist ausgeschlossen. Die Versicherungsunternehmen haben keine Möglichkeit, die versicherungsvertragsrechtlichen Umstellungsfristen, die dem Verbraucherschutz dienen, zu verkürzen.

Petitum: Die Regelung ist insgesamt unausgewogen. Insbesondere auf die Anhebung der Beihilfebemessungssätze für die bei der Beihilfe zu berücksichtigenden Ehegatten und Lebenspartner sollte verzichtet werden.


Artikel 11 Abs. 4 Buchst. b) – Änderung § 46 Abs. 3 Bundesbeihilfeverordnung

Vorgeschlagene Regelung

Die Regelung sieht die Erhöhung des Beihilfebemessungssatzes für einen Beihilfeberechtigten bereits ab dem ersten Kind auf 70 Prozent vor (vorher zwei Kinder oder mehr).

Bewertung

Die Regelung bedeutet eine Ausdehnung der Beihilfeleistungen für den Beamten selbst bereits ab dem ersten Kind. Die Regelung geht weit über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinaus, da sie für sämtliche Besoldungsgruppen Anwendung findet. Auch Beamte in Spitzenpositionen mit ei-nem Kind erhalten aufgrund dieser Regelung im Verhältnis zum Status quo 40 Prozent höhere Beihilfe-leistungen für ihre eigene Versorgung. Der Aufbau einer eigenen Vorsorge für die höheren Krankheitskosten im Alter wird entsprechend reduziert. Auch wird die Vorsorgefreiheit des Beamten entsprechend eingeschränkt.

Durch die vorgesehene Neuregelung kann es vermehrt zu ungünstigen Beitragssprüngen für die Beamten kommen. Fällt das eine Kind aus der Berücksichtigungsfähigkeit, die an den Familienzuschlag geknüpft ist (§ 4 Abs. 2 BBhV) heraus, ist der private Restkostenversicherungsschutz von 30 auf 50 Prozent aufzustocken. Der höhere Beitrag ist dann wieder aus der Besoldung zu finanzieren.

Petitum: Von der Ausdehnung der Beihilfeleistungen für sämtliche Beamte bereits ab dem ersten Kind sollte abgesehen werden.