Stellungnahme 19. Oktober 2022

Referentenentwurf des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen: Viertes Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften.

I. Allgemeine Anmerkungen

Mit dem vorliegenden Referentenentwurf sollen Änderungen im Recht über die Beihilfen im Krankheitsfall für die Familienangehörigen der sächsischen Beamtinnen und Beamten vorgenommen werden. Anlass ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen eines ausreichenden Abstandes der Alimentation zur sozialen Grundsicherung und zur amtsangemessenen Alimentation von Beamtinnen und Beamten mit mehr als zwei Kindern. Das Land Sachsen kommt den Anforderungen des Gerichts über Veränderungen in der Beihilfe nach, indem die Versorgung der Angehörigen im Krankheitsfall künftig zu 100 % über die Beihilfe erfolgen soll. Ziel ist es, dass die Beiträge zur privaten Krankenversicherung für diesen Personenkreis wegfallen und sich das Nettoeinkommen des Beamten erhöht. Das bewährte Mischsystem aus Beihilfe und Privater Krankenversicherung würde damit – bundesweit einmalig – für diesen Personenkreis abgeschafft. Für Beamte mit mindestens zwei Kindern ist eine Anhebung des Beihilfebemessungssatzes auf 90 % geplant, die zudem verstetigt werden soll.

II. Bewertung

Zu Art. 5 Nr. 1Buchstabe f (§ 80 Abs. 7 SächsBG – Beihilfe in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und sonstigen Fällen)

Was auf den ersten Blick nach einer erfreulichen Mehrleistung für die Angehörigen der Beamtinnen und Beamten aussieht, kann sich für betroffenen Beamtenfamilien als sehr nachteilig herausstellen:

1. Wegfall des aktiven Versicherungsschutzes

Mit der geplanten Änderung wird ein aktiver Versicherungsschutz für die Angehörigen der Beamten überflüssig. Anders als sogar beim Hamburger Modell, das SPD und GRÜNE stets als ersten Schritt in Richtung „Bürgerversicherung“ fordern, besteht für die betreffende Personengruppe gar kein Wahlrecht mehr, denn der Personenkreis wird der PKV und der GKV komplett entzogen. Die Angehörigen werden künftig ausschließlich über die Beihilfe abgesichert sein und sind damit aber auch vollständig und im Zweifel lebenslang auf diese Beihilfeleistungen angewiesen. In sozialpolitisch sensiblen, aber lebensnahen Fällen droht damit die Nichtversicherung bzw. die Absicherung im sozialpolitisch problematischen Basistarif:

  • Konkret betrifft dies bspw. Scheidungsfälle: Die Beihilfe fällt nach der Scheidung bzw. Auflösung der Lebenspartnerschaft mit dem Beihilfeberechtigten weg. In dem bisherigen System von Beihilfe und PKV kann dieser Fall durch die Aufstockung des PKV-Versicherungsschutzes und die Berücksichtigung der hierfür erforderlichen Beiträge im Unterhaltsausgleich aufgefangen werden. Fehlt eine Private Krankenversicherung, droht die Nichtversicherung.
  • Gleiche problematische Konstellation ergibt sich z. B. bei der Aufnahme einer späten eigenen Erwerbstätigkeit des Lebens- oder Ehepartners mit Einkünften oberhalb der Einkommensgrenze (z. Z. 18.000 Euro) ab Alter 55 oder bei selbständiger Tätigkeit. Der Zugang zur GKV ist in diesen Fällen wegen der Altersgrenze versperrt. Bei Selbstständigkeit fehlt es an der notwendigen Vorversicherungszeit. Der Zugang zur PKV ist in diesem Alter schwierig und teuer. Im Zweifel bleibt nur eine Absicherung im Basistarif.

Die Betroffenen könnten (und sollten) für diese Lebenslagen mit einer Anwartschaftsversicherung vorsorgen, damit die in der PKV erworbenen Rechte erhalten bleiben und der ruhende Versicherungsschutz ohne Nachteile in den genannten problematischen Lebenslagen wiederaufleben kann. Allerdings müsste dieser Betrag dann in der Besoldung Berücksichtigung finden, was im Referentenentwurf nicht vorgesehen ist.

2. Angehörige verlieren Zugang zu wichtigen Leistungen und verlieren ihre Vorsorgefreiheit

Die Erhöhung des Beihilfebemessungssatzes auf 100 % beschränkt sich auf die Erstattung der Krankheitskosten. Darüberhinausgehende Zusatzleistungen (z. B. 1-Bett-Zimmer im Krankenhaus oder erweiterter Zahnersatz) werden nicht durch die Beihilfe erstattet. Bislang schützen regelmäßig die sog. Beihilfeergänzungstarife der PKV vor solchen Leistungslücken. Sie bewahren Beihilfeempfänger und ihre Angehörigen z. B. vor Zuzahlungen bei einer ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung. Auch die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannte und vom Dienstherrn zu beachtende Vorsorgefreiheit wird ausgeschlossen. Den Angehörigen bleibt kein Raum mehr für eine eigene Absicherung. Entsprechende Beiträge sind in der Besoldung nicht berücksichtigt. Die vom Dienstherrn zu betrachtenden Versicherungsmöglichkeiten für Ergänzungsversicherungen stehen den Angehörigen nicht mehr zur Verfügung.

Die Aufnahme in Ergänzungstarife setzt die Versicherungsfähigkeit nach Maßgabe der Tarifbedingungen voraus und diese fordern in den aktuellen Produkten eine Absicherung in einer beihilfekonformen Restkostenversicherung. Für eine GKV-Zusatzversicherung ist die Absicherung in einer Gesetzlichen Krankenkassen analoge Bedingung. D. h. durch den vorgesehenen vollständigen Wegfall des Versicherungsschutzes besteht für die betreffende Personengruppe in Sachsen keine vertragliche Anschlussfähigkeit mehr. Auch in der Pflege wäre zusätzliche Eigenvorsorge für die Betroffenen nicht mehr möglich.

In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass eine isolierte Kündigung der Restkostenversicherung nicht ohne weiteres möglich ist. Versicherungsvertragsrechtlich mag zwar die Kündigung einzelner Tarife möglich sein. Ist die Restkostenversicherung – wie bei den Ergänzungstarifen in der Regel – aber Voraussetzung der Versicherungsfähigkeit im Sinne des § 12 Abs. 2 KVAV, endet mit der Kündigung grundsätzlich auch die Versicherungsfähigkeit in der Ergänzungsversicherung. Der Neuzugang ist mangels Versicherungsfähigkeit ohne Restkostenversicherung von vornherein ausgeschlossen.

3. Abkopplung der Angehörigen von der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Die Angehörigen werden voraussichtlich – zumindest mittelfristig – weitgehend von der Digitalisierung im Gesundheitswesen, insbesondere im Zusammenhang mit der Telematikinfrastruktur, abgekoppelt. Die dem PKV-Verband aktuell bekannten Planungen der Beihilfeträger fundieren auf den Umsetzungsvorhaben und –maßnahmen der PKV-Unternehmen und setzen insoweit einen privaten Versicherungsschutz voraus. Bereits die Vergabe einer einheitlichen Krankenversichertennummer als maßgebliches und insoweit unverzichtbares Ordnungskriterium für einen Zugang zu den zukünftigen digitalen Angeboten, allen voran zu den elektronischen Patientenakten und elektronischen Rezepten, knüpft an einen privaten Krankenversicherungsschutz an.

4. Kostenrisiko für den Landeshaushalt und Entscheidung zulasten der Nachhaltigkeit

Aufwendungen für Krankheit sind stark altersabhängig: bei einem Mann versechsfachen sich die Aufwendungen zwischen dem 21. und dem 65. Lebensjahr; zwischen dem 65. und dem 80. Lebensjahr findet eine weitere Verdoppelung der krankheitsbedingten Aufwendungen statt. Die Private Krankenversicherung finanziert diese altersbedingten Steigerungen der Aufwendungen über Beiträge und Rückstellungen vor; 10 bis 15 % der Aufwendungen werden aus Zinserträgen finanziert. Damit werden Versicherte und Dienstherren entlastet. In 2021 betrug die durchschnittliche Nettoverzinsung der PKV-Mitgliedsunternehmen 2,8 %. Dieser Zinseffekt und auch die Glättung der Aufwendungen durch Alterungsrückstellungen gehen mit der geplanten Neuregelung verloren bzw. müssen künftig unmittelbar über den Landeshaushalt abgebildet werden. Eine Betrachtung der Kosteneffekte des Referentenentwurfs müsste diese Zukunftsperspektiven mit einbeziehen und berücksichtigen, dass Angehörige Beihilfeleistungen häufig erst im Ruhestand in Anspruch nehmen.

Die vorgesehene Erhöhung der Beihilfeleistungen verlagert erhebliche Kosten in die Zukunft zulasten der jüngeren Generationen. Das Gegenteil wäre nötig: Statt den Versichertenkreis in demografieanfälligen umlagefinanzierten Systemen wie der Beihilfe zu vergrößern, sollten die jüngeren Generationen auf mehr Eigenvorsorge vorbereitet werden.

5. Pflicht zur Fortführung der privaten Pflegeversicherung durch die Angehörigen bleibt bestehen

Auch nach einer etwaigen Anhebung der Beihilfebemessungssätze in Sachsen für Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit ist eine Private Pflegepflichtversicherung durch die Angehörigen fortzuführen, deren Leistungen sich an den Beihilfevorschriften des Bundes ausrichten. Die Kinder des Beihilfeberechtigten sind nach Maßgabe von § 25 SGB XI beitragsfrei. Für die Ehegatten werden Beiträge fällig. Sie sind auch in der Besoldung zu berücksichtigen.

Im Detail: In der sozialen Pflegeversicherung besteht nach Maßgabe der §§ 23 Abs. 3 SGB XI für Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Pflegebedürftigkeit Anspruch auf Beihilfe haben, eine bußgeldbewehrte Versicherungspflicht in der Privaten Pflegepflichtversicherung. Eine Verletzung der Versicherungspflicht ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann (§ 121 SGB XI).

§ 23 Abs. 3 SGB XI beschreibt den Gegenstand und Umfang dieser Versicherungspflicht bundeseinheitlich: Die Personen sind zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung einer anteiligen beihilfekonformen Versicherung verpflichtet. Nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XI ist die beihilfekonforme Versicherung „so auszugestalten, dass ihre Vertragsleistungen zusammen mit den Beihilfeleistungen, die sich bei Anwendung der in § 46 Abs. 2 und 3 der Bundesbeihilfeverordnung festgelegten Bemessungssätze ergeben, den Abs. 1 Satz 2 vorgeschriebenen Versicherungsschutz gewährleisten“.

Maßgeblich für die Erfüllung der Versicherungspflicht sind danach ausschließlich die Leistungen nach den Beihilfevorschriften des Bundes. Schon jetzt existiert in der Privaten Pflegepflichtversicherung demgemäß nur ein beihilfekonformer Tarif mit einem Beihilfebemessungssatz passend zur Bundesbeihilfeverordnung, unabhängig von abweichenden Beihilfebemessungssätzen anderer Beihilfeträger bzw. Bundesländer.