Stellungnahme 27. Februar 2023

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG).

I. Allgemeine Anmerkungen

Die Zahl der Arzneimittel-Lieferengpässe hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Neben globalen Problemen spielen der Kostendruck im Gesundheitswesen, die Verlagerung der Wirkstoffherstellung nach Asien, Rohstoffmangel oder -engpässe und individuelle Probleme der pharmazeutischen Unternehmen wie Produktionsausfälle oder Qualitätsprobleme eine Rolle. Von den entstehenden Versorgungs- und Lieferengpässen sind alle Patienten, unabhängig von ihrem Versichertenstatus, im gleichen Maße betroffen.

Generische Arzneimittel haben aufgrund der sehr hohen Verordnungszahlen eine entscheidende Bedeutung für die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Diese Arzneimittel bilden sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor das Rückgrat der Gesundheitsversorgung. Engpässe in diesem Bereich sind daher versorgungsrelevant. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hat bereits 2020 die Zahl der nicht verfügbaren Arzneimittel, für die ein Rabatt gem. § 130a Abs. 8 SGB V bestand, von 16,7 Mio. Packungen ermittelt, darunter so gängige Wirkstoffe wie Candesartan, Metformin, Pantoprazol und Ibuprofen. Neben generischen und patentfreien Arzneimitteln liegen auch Lieferengpässe für dringend benötigte Onkologika vor. Laut Deutscher Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie fehlten im Jahr 2022 etwa zehn kritische Arzneimittel von etwa 200 in Deutschland zugelassenen Krebsmedikamenten.

Diese Zahlen belegen den Handlungsbedarf, damit die bedarfsgerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland dauerhaft gewährleistet werden kann. Vor diesem Hintergrund wird der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln insgesamt begrüßt. Grundsätzlich muss aber die Frage gestellt werden, wie höhere Preise genutzt werden können, um stabilere Lieferketten zu schaffen. Die Mehrkosten für die Versicherten aller Kostenträger durch die vorgesehenen Maßnahmen sind nicht unerheblich, daher besteht eine besondere Begründungspflicht. Standortpolitik kann letztlich nicht nur mit Beitragsgeldern gemacht werden.

Im vorliegenden Referentenentwurf werden die Belange der privat Versicherten und Beihilfeberechtigten aufgrund der Zentrierung auf die GKV bisweilen nicht hinreichend berücksichtigt. Hierauf wird in der Stellungnahme besonders eingegangen.  

II. Bewertung einzelner Regelungen

Zu Art. 2 Nr. 2 d (§ 45 Absatz 1a, 5a und 5b – Versorgungskritische Arzneimittel und zugelassene Wirkstärken und Darreichungsformen für Kinder)

Vorgeschlagene Regelungen

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll nach Anhörung des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG zunächst eine Liste von Arzneimitteln unter Berücksichtigung altersgerechter Darreichungsformen und Wirkstärken erstellen, die insbesondere zur Behandlung von Kindern bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres notwendig sind. Auf Grundlage dieser Liste sollen die Preise neu festgesetzt werden. Hierfür wird der Gemeinsame Bundesausschuss verpflichtet, altersgerechte Darreichungsformen für Kinder bei den Festbetragsgruppenbildungen nach Satz 2 Nummer 1 bis 3 unberücksichtigt zu lassen. Der pharmazeutische Unternehmer kann den Abgabepreis nach Aufhebung des Festbetrages um bis zu 50 Prozent des zuletzt festgesetzten Festbetrags anheben. Sofern für das betroffene Arzneimittel kein Festbetrag festgesetzt ist und das Preismoratorium Anwendung findet, kann der pharmazeutische Unternehmer seinen Abgabepreis um bis zu 50 Prozent anheben. Die Preise gelten dann als neue Preisobergrenze nach § 130a Absatz 3a SGB V, auf die unter anderem der Inflationsausgleich zu erheben ist.

Des Weiteren kann das BfArM nach Anhörung des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG für versorgungskritische Arzneimittel die Anhebung des Festbetrags oder des Preises nach § 130a Absatz 3a um bis zu 50 Prozent dem Bundesministerium für Gesundheit empfehlen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann nach Anhörung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen auf dieser Grundlage feststellen, dass der Festbetrag oder der Preismoratoriumspreis nach § 130a Absatz 3a für das betreffende Arzneimittel um bis zu 50 Prozent anzuheben ist und macht dies öffentlich bekannt.

Bewertung

Die Regelungen basieren auf der Annahme, dass die aktuellen Preise ursächlich für bestehende Lieferengpässe sind und mithin durch Maßnahmen, die auf die Preisbildung zielen, behoben werden können. Ob die Effekte dieser auf die Preise zielenden Maßnahmen ausreichen werden, um die bestehenden Lieferprobleme kurzfristig zu lösen, muss allerdings aufgrund der beschränkten Zahl der Hersteller und der damit verbundenen limitierten Angebote bezweifelt werden.

Festbeträge stellen ein Preisinstrument der gesetzlichen Krankenkassen dar. Bei den Beträgen handelt es sich um durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen festgesetzte Maximalbeträge, die die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt, für welche Gruppe von Arzneimitteln Festbeträge bestimmt werden können. In der Privaten Krankenversicherung findet die Festbetragsregelung keine Anwendung.

Das gesetzlich festgelegte Preismoratorium nach § 130a Absatz 3a SGB V, dass auch die fortan neu geltenden Preisobergrenzen umfasst, greift hingegen auch für die Private Krankenversicherung und die Beihilfe. Die finanziellen Auswirkungen der Anhebung der Preise entfalten sich somit unmittelbar auf privat Versicherte und Beihilfeberechtigte.

Um diese finanziellen Auswirkungen berücksichtigen zu können, sollte der Verband der Privaten Krankenversicherung ebenfalls in die Anhörung des BMG, welche im Rahmen der Anhebung des Preismoratoriumspreises für versorgungskritische Arzneimittel durchgeführt wird, einbezogen werden.

Zu Art. 2 Nr. 4b (§ 129 Absatz 2a SGB V – Austauschbarkeit versorgungskritischer Arzneimittel)

Vorgeschlagene Regelungen

Versorgungsrelevante und versorgungskritische Wirkstoffe, für die ein Lieferengpass besteht, sollen abweichend von § 129 Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und den Vorgaben des Rahmenvertrages nach Absatz 2 durch Apotheken gegen ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausgetauscht werden können. Zudem sollen Austauschmöglichkeiten in Bezug auf die Packungsgröße, Packungsanzahl, Entnahme von Teilmengen und in Bezug auf die Wirkstärke, eingeführt werden.

Bewertung

Von Lieferengpässen sind alle Patienten, unabhängig von ihrem Versichertenstatus, betroffen. Aus diesem Grund sollte sich die gesetzliche Regelung zur erleichterten Austauschbarkeit von versorgungskritischen Arzneimitteln nicht auf den Geltungsbereich des SGB V beschränken. Diese notwendigen Ausnahmeregelungen sollten im Arzneimittelgesetz (AMG) oder noch besser in der Apothekenbetriebsordnung (z.B. als neuer § 17 Abs. 5b ApoBetrO) verankert werden, damit die Arzneimittelversorgung aller Patienten mit versorgungskritischen Arzneimitteln gewährleistet werden kann. Das würde dann auch – wie ganz offensichtlich vom Gesetzgeber als einheitliche Regelung für alle Patientinnen und Patienten in Deutschland beabsichtigt – mit dem neu einzuführenden Lieferengpasszuschlag von 50 Cent für Apotheken (vgl. Art. 6 Nr. 1 -  § 3 Absatz 1a AMPreisV) korrespondieren.

Zu Art. 2 Nr. 5a (§ 130a Absatz 3b Satz 4 SGB V – Ablösung Generikaabschlag)

Vorgeschlagene Regelungen

Für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel (Generika und patentfreie Referenzarzneimittel) gilt zusätzlich zum Herstellerabschlag nach § 130a Absatz 1 SGB V in Höhe von 6 Prozent ein Abschlag von 10 Prozent (sogenannter Generikaabschlag, § 130a Absatz 3b SGB V). Dieser Abschlag soll für versorgungskritische Arzneimittel oder Arzneimittel für Kinder, die aus dem Festbetrag herausgelöst wurden oder einen neuen Preismoratoriumspreis erhalten haben, nicht mehr anfallen.

Bewertung

Durch die Anhebung der Preise von versorgungskritischen Arzneimitteln und geeigneten Arzneimitteln für Kinder um bis zu 50 Prozent gegenüber dem Vorpreis entstehen Mehrausgaben seitens der Kostenträger, die zur Sicherstellung der Produktion dieser Arzneimittel beitragen sollen. Ob die Effekte dieser Maßnahme ausreichen werden, um die bestehenden Lieferprobleme kurzfristig zu lösen, muss allerdings bezweifelt werden. 

Die zusätzliche Maßnahme zur weiterhin geltenden Ablösung des Generikaabschlages führt zu weiteren Mehrausgaben und daher im Saldo zu einer Belastung bei privaten Krankenversicherungsunternehmen und der Beihilfe im Rahmen der Versicherungsleistungen.

Zu Art. 2 Nr. 5 b-d (§ 130a Absatz 8 und 8a SGB V – Bevorratung über einen Drei-Monats-Zeitraum und Rabattvertragsverfahren)

Vorgeschlagene Regelungen

Durch die Regelung werden die Krankenkassen oder ihre Verbände und die pharmazeutischen Unternehmer verpflichtet, eine kontinuierliche versorgungsnahe Bevorratung der nach § 130a Absatz 8 SGB V rabattierten Arzneimittel über drei Monate zu vereinbaren. Hierdurch sollen kurzfristige Liefer- und Versorgungsengpässe oder gesteigerte Mehrbedarfe mit einem rabattierten Arzneimittel vermieden und die bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln sichergestellt werden.

Bewertung

Die verpflichtende Lagerhaltung von Arzneimitteln, über die Rabattverträge nach § 130a Absatz 8 geschlossen werden, könnte zu einer Verknappung für Versicherte aller derjenigen Kostenträger führen, für die die vertraglichen Regelungen nicht gelten. Mithin könnte die Regelung sogar dazu führen, dass aufgrund der Bevorratungspflicht andere pharmazeutische Unternehmen aus der Produktion aussteigen. Zudem ist eine Verknappung der zur Herstellung notwendigen Ressourcen (Wirkstoffe, Hilfsstoffe, Packmaterialien etc.) auf dem Gesamtmarkt denkbar, da zu Beginn des Abschlusses eines neuen Rabattvertrages die Produktion für die Bevorratung gesteigert werden muss.

Ziel sollte es sein, Rabattverträge inhaltlich so zu regulieren, dass keine Liefer- oder Versorgungsengpässe auf dem deutschen Markt entstehen. Auf die vorgeschlagene Regelung sollte daher verzichtet werden. Sinnvoller könnte die Berücksichtigung des Produktionsstandorts (vom Vorprodukt bis zur Endfertigung) bei den Ausschreibungen sein.

Zu Art. 2 Nr. 6 (§ 130b Absatz 3b SGB V – Reserveantibiotika)

Vorgeschlagene Regelungen

Für ein Reserveantibiotikum, für das der Gemeinsame Bundesausschuss eine Freistellung nach § 35a Absatz 1c Satz 1 SGB V beschlossen hat, soll der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens als Erstattungsbetrag fortgelten. Eine Preis-Mengen-Vereinbarung soll nach §130b Absatz 1a SGB V getroffen werden.

Bewertung

Die Förderung zur Entwicklung von Reserveantibiotika wird grundsätzlich begrüßt, wenngleich flankierende wirtschaftspolitische Maßnahmen unumgänglich sein werden. Eine Fortwirkung der durch den pharmazeutischen Unternehmer festgelegten Preise für Reserveantibiotika stellen ein großes Zugeständnis dar, das mit erheblichen Mehrausgaben für die Kostenträger einhergeht. In diesem Zusammenhang ist die Einführung einer verpflichtenden Preis-Mengen-Vereinbarung als Korrektiv sinnvoll.

Der Verband der Privaten Krankenversicherung ist als Benehmenspartner Beteiligter der Erstattungsbetragsverhandlungen. Es ist sicherzustellen, dass die Preis-Mengen-Vereinbarung zu einer unmittelbaren prospektiven Absenkung des Preises führt und transparent in der Lauer-Taxe bekanntgegeben wird. Jedenfalls ist der Verband der Privaten Krankenversicherung unverzüglich über sämtliche preisrelevanten Inhalte und möglicherweise anfallende Nacherstattungsansprüche, hervorgehend aus der Preis-Mengen-Vereinbarung, zu unterrichten.

Dessen ungeachtet muss auf die Notwendigkeit leitliniengerechter Therapieregime verwiesen werden. Andernfalls werden die Reserveantibiotika von heute bald die unwirksamen Mittel von morgen sein.

Zu Art. 3 (§ 130a Absatz 8a SGB V – Beobachtung versorgungskritischer Arzneimittel durch BfArM)

Vorgeschlagene Regelungen

Wirkstoffe die durch das BfArM auf die Liste der versorgungskritischen Arzneimittel nach § 52b Absatz 3c AMG gesetzt wurden, können unter eine besondere Beobachtung gestellt werden. Hierdurch soll eine engmaschige Beobachtung dieser Wirkstoffe, um drohende Liefer- oder Versorgungsengpässe zu erkennen, erwirkt werden.

Bewertung

Die Einrichtung eines Frühwarnsystems zu versorgungskritischen Wirkstoffen wird begrüßt.

Es fragt sich allerdings, warum diese Regelung nach Artikel 9 des ALBVVG erst zum 1. Dezember 2026 in Kraft treten soll. Ein früheres Inkrafttreten erscheint geboten.

Zu Art. 6 Nr. 1 (§ 3 Absatz 1a AMPreisV – Vergütung Austausch versorgungskritischer Arzneimittel)

Vorgeschlagene Regelungen

Bei einem Austausch von versorgungskritischen Arzneimitteln gegen ein wirkstoffgleiches Arzneimittel sollen Apotheken künftig einen Zuschlag von 50 Cent erheben können. Diese Vergütung soll den zusätzlichen Aufwand honorieren, der insbesondere durch notwendige Rücksprachen entsteht. Der Zuschlag soll nur auf Arzneimittel abrechenbar sein, die durch das BfArM gelistet wurden.

Bewertung

Ausweislich der Ausführungen zur Wirtschaftlichkeit im Referentenentwurf des ALBVVG unter Punkt F „Weitere Kosten“ soll diese Regelung auch für die Private Krankenversicherung gelten. Dieser Sachverhalt wird durch die aktuelle Formulierung nicht erreicht. Denn die Einführung des Zuschlags von 50 Cent in die Arzneimittelverordnung geht auf die neu einzuführende gesetzliche Regelung des § 129 Abs. 2a SGB V zurück, die für privat Versicherte und beihilfeberechtigte Patientinnen und Patienten aber gerade nicht gilt. Nicht nur die vorstehende Begründung im Referentenentwurf zur Geltung des Lieferengpasszuschlags auch für die PKV unter Punkt F, sondern auch die preisrechtliche Verankerung des Zuschlags in der AMPreisV zeigen eindeutig auf, dass dieser Sachverhalt auch auf privat Versicherte erstreckt werden soll. Dann sollte aber auch die eigentliche Grundlage für weitergehende Befugnisse zur Austauschbarkeit von Arzneimitteln zugunsten der Apotheken entweder im Arzneimittelgesetz oder, noch zielgenauer, in der Apothekenbetriebsordnung gesetzt werden (siehe auch die Ausführungen oben unter Artikel 2 Nr. 4).

III. Weiterer Regelungsbedarf

Änderung des Arzneimittelgesetzes (§ 52b AMG -  Ergänzung der Sicherstellung einer angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung von Arzneimitteln)

Regelungsvorschlag

Um die Sicherstellung einer angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung von bedarfsgerechten Mengen, vor allem an saisonalen Influenza-, aber auch an Corona-Impfstoffen zu gewährleisten, ist die Verpflichtung eines kontinuierlichen Inverkehrbringens von Einzeldosen erforderlich. Mit dieser Regelung wird gewährleistet, dass für privat Versicherte und Beihilfeberechtigt, welche nicht aus dem GKV-Sprechstundenbedarf und Mehrgebinden bedient werden dürfen, zu jeder Zeit genügend Impfstoffdosen auf dem Markt verfügbar sind. Diese Regelung würde die ohnehin bestehende Sicherstellungspflicht der pharmazeutischen Industrie lediglich hinreichend und praxisrelevant konkretisieren.   

Daher wird die Einfügung eines Satzes 2 an § 52b Absatz 1 AMG wie folgt vorgeschlagen: 

„Pharmazeutische Unternehmer und Betreiber von Arzneimittelgroßhandlungen sind verpflichtet, kontinuierlich eine bedarfsgerechte Menge von Einzeldosen von Impfstoffen in Verkehr zu bringen. Als bedarfsgerecht gilt ein Anteil von 20 Prozent der jeweils insgesamt in Verkehr gebrachten Dosen.“