Stellungnahme 08. Mai 2023

Die geplante Reform verschärft die Finanzprobleme der Sozialen Pflegeversicherung erheblich, denn die umfangreichen Leistungsausweitungen sind nicht gegenfinanziert. Es gibt keine nachhaltige Finanzierungsstrategie für die alternde Gesellschaft.

  • Für die weitere Ausdehnung der Zuschläge für die vollstationäre Pflege gibt es keinen sozialpolitischen Handlungsbedarf: Die gesetzliche Pflegeversicherung hält die Quote der Empfänger von Hilfe zur Pflege in Einrichtungen seit über 20 Jahren stabil. Diese Leistungsausweitung ist vielmehr ein Erbenschutzprogramm zugunsten von Besserverdienenden. Vor jeglichen Neuregelungen sollte eine Evaluation der bestehenden Regelungen erfolgen.
  • Das Ziel, die Sozialabgaben bei 40 Prozent stabil zu halten, gerät durch die deutliche Anhebung der Beitragssätze zur Sozialen Pflegeversicherung immer weiter ins Hintertreffen. Dies schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland in Zeiten der Krise und geht zu Lasten der jüngeren Generationen. Es braucht einen Neustart in der Pflegefinanzierung: nachhaltig und generationengerecht und ohne weitere Lohnzusatzkosten. Dazu ist der Ausbau der privaten und betrieblichen Vorsorge unumgänglich.
  • Das Finanztableau des Entwurfes ist weder plausibel noch transparent. Die Dynamik der Leistungsinanspruchnahme, der Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen und die laufenden Defizite der Sozialen Pflegeversicherung werden nicht berücksichtigt.
  • Der PKV muss bei gesetzlichen Leistungsausweitungen eine prospektive Berücksichtigung der Mehrkosten über ein Beitragsanpassungsrecht für die Private Pflegepflichtversicherung ermöglicht werden.

I. Allgemeine Anmerkungen

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden, wonach bis spätestens zum 31. Juli 2023 das Beitragsrecht der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) im Hinblick auf die Berücksichtigung der Kinderzahl verfassungskonform auszugestalten ist. Zudem sollen die häusliche Pflege gestärkt und pflegebedürftige Menschen und Pflegepersonen entlastet, die Arbeitsbedingungen für professionell Pflegende weiter verbessert sowie die Potentiale der Digitalisierung besser nutzbar gemacht werden. Es ist eine regelhafte Anpassung der Geld- und Sachleistungsbeträge in 2025 und 2028 geplant.

Den vorgesehenen Leistungsausweitungen steht jedoch keine ausreichende Gegenfinanzierung und keine nachhaltige Finanzierungsstrategie für die alternde Gesellschaft gegenüber:

  • Die weitere Begrenzung der Eigenanteile in der stationären Pflege ist mit Blick auf die demografische Entwicklung eine Leistungsausweitung ohne nachhaltige Finanzierungsperspektive. Es ist eine Legende, dass die Eigenanteile an den Pflegekosten immer mehr Sozialfälle produzieren würden. Richtig ist vielmehr: Vor Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung – also bis Mitte der 90 Jahre – bezogen 80 Prozent der Pflegebedürftigen in Einrichtungen Sozialhilfe. Die gesetzliche Pflegeversicherung hat dagegen seit über 20 Jahren diesen Anteil auf unter ein Drittel der Heimbewohner reduziert und seitdem konstant gehalten. Es besteht also kein sozialpolitischer Handlungsbedarf, die Leistungen der Pflegeversicherung auszuweiten.
  • Vor weiteren Leistungsausweitungen im Umlageverfahren ist grundsätzlich zu warnen, denn sie führen – wie im Gesetzentwurf erkennbar – zur weiteren Erhöhung der Beitragssätze in der Sozialversicherung. Das Ziel, die Sozialabgaben bei 40 Prozent zu stabilisieren, gerät so in immer weitere Ferne. Diese liegen heute schon – noch zu Beginn des demografischen Wandels, der sich mit dem sukzessiven Renteneintritt von 13 Millionen Babyboomern in den kommenden 10 Jahren vollziehen wird – bei 40,8 Prozent (Kinderlose) beziehungsweise 40,45 Prozent. Folgt man dem Gesetzentwurf, würde die Sozialabgabenquote bereits in diesem Sommer bei 41,4 Prozent (Kinderlose) bzw. 40,8 (bei einem Kind) oder 40,55 Prozent (bei zwei Kindern) liegen. Dieser Trend gefährdet die Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft – auch in der internationalen Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte. Jede Leistungsausweitung zieht zur Refinanzierung einen dauerhaften Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge nach sich, weil diese Mehrleistungen Jahr für Jahr von immer mehr Menschen in Anspruch genommen werden, die in das pflegebedürftige Alter kommen. Zudem sind Zweifel angebracht, ob der vorliegende Entwurf auch nur kurzfristig den Finanzbedarf richtig kalkuliert hat oder ob nicht – wie bei jeder Pflegereform der vergangenen Jahre – die tatsächlichen Kosten die kalkulierten deutlich übertreffen und unmittelbar neue Defizite mit sich bringen werden.
  • Schon ein Blick in den Gesetzentwurf selbst zeigt, dass die Kostensteigerungen nicht sauber berechnet und folglich nicht ausreichend gegenfinanziert sind, denn das laufende Defizit wird in das Einnahmen- und Kostentableau nicht einbezogen. Im Ergebnis lässt die geplante Reform die Soziale Pflegeversicherung nur für dieses Jahr einen positiven Saldo entstehen – und das auch nur, weil im Entwurf diverse „Luftbuchungen“ unternommen werden. Dazu gehört unter anderem die Verschiebung der Zuführungen in den Pflegevorsorgefonds von 2023 ins Jahr 2025. Schon im Jahr 2025 „rutschen“ die Finanzen der SPV wieder ins Defizit. Die Kostenfolgeabschätzungen durch das BMG sind auf Basis der Finanzentwicklung der SPV für das Jahr 2021 berechnet worden. Die Grundlage der Berechnungen müsste 2023 sein. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Werte zu niedrig angesetzt sind.

In jedem Fall werden die Leistungsausweitungen das Demografiedefizit der SPV weiter erhöhen – zu Lasten der nachfolgenden Generationen. Stattdessen braucht es einen Neustart in der Pflegefinanzierung: nachhaltig und generationengerecht und ohne weitere Lohnzusatzkosten. Dazu ist der Ausbau der privaten und betrieblichen Vorsorge unumgänglich und zu bezahlbaren Konditionen bereits heute möglich. Dass strukturelle Finanzierungsreformen in der Pflege nötig sind, erkennt auch der Koalitionsvertrag zumindest dahingehend an, dass für eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung eine Regierungskommission eingesetzt werden sollte, deren Aufgabe die Vorlage von Vorschlägen für eine generationengerechte Pflegefinanzierung gewesen wäre. Diese Kommission ist noch immer nicht eingesetzt worden.

Die Private Pflegepflichtversicherung (PPV) darf nicht weiter durch den seit 2022 geltenden jährlichen Bundeszuschuss zur SPV in Höhe von 1 Milliarde Euro benachteiligt werden. Wenn Steuermittel aufgewandt werden, dann ausschließlich zur Abgeltung versicherungsfremder Leistungen, zum Beipiel der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige.

II. Zu ausgwählten Regelungen des Gesetzentwurfs

Zu Art. 1 Nr. 10 (§§ 18 – 18e SGB XI – Verfahren der Begutachtung)

Vorgeschlagene Regelungen
Die Beauftragung der Medizinischen Dienste und die Übermittlung der Pflegegutachten erfolgt nur noch elektronisch. Der Auftrag ist innerhalb von drei Arbeitstagen ab Eingang des Antrags auf Pflegeleistungen an den Medizinischen Dienst zu übermitteln.

Es bleibt beim Grundsatz der Untersuchung im Wohnbereich. Es wird eine Ausnahme für eine Krisensi-tuation von nationaler oder regionaler Tragweite definiert. Auch weiterhin muss die Begutachtung nach gewisser Zeit wiederholt werden.

Es wird eine Hemmung der Begutachtungsfrist für bestimmte Fälle geregelt.

Zur Weiterentwicklung des Verfahrens der Pflegebegutachtung werden Modellvorhaben unter anderem zu telefonischer/digitaler Kommunikation bei der Begutachtung gefördert.

Bewertung
Die PKV befürwortet alle sinnvollen Maßnahmen, die dem Ziel dienen, das Begutachtungsverfahren zu beschleunigen. Die ausschließlich elektronische Übermittlung der Aufträge an den medizinischen Dienst wird in der PKV daher bereits seit Jahren praktiziert. Dringend erforderlich wäre es, dass Begutachtungen über Telefoninterviews oder per Video regelhaft ermöglicht werden, nicht nur bei einer Pandemie. Dies würde tatsächlich zu einer Beschleunigung beitragen und schont – angesichts des Fachkräftemangels – wertvolle Ressourcen.

Regelhafte Wiederholungsbegutachtungen sind durch die Rechtsprechung und Praxis überholt. Daher sollte diese Regelung zur Klarstellung gestrichen werden.

Es sollte auf die aufwändige Regelung zur Fristhemmung verzichtet werden. Sie führt für alle Beteiligten zu Mehraufwänden und ist für die beabsichtigte Beschleunigung des Verfahrens kontraproduktiv. Auch der neu geregelte parallele Fristlauf der verkürzten und regulären Frist dürfte in der Umsetzung schwierig zu realisieren sein und Konfliktpotential beinhalten. Denn während der verkürzten Frist kann die abschließende Begutachtung noch nicht beauftragt werden, und somit stellen sich Fragen zum Fristlauf und zur Fristhemmung. Daher sollte auch diese Regelung nicht eingeführt werden.  

Zu Art. 1 Nr. 14 (§ 30 SGB XI – Dynamisierung)
Zu Art. 2 Nr. 4 und Nr. 5 (§§ 36, 37 SGB XI – Pflegesachleistung, Pflegegeld)

Vorgeschlagene Regelungen
§ 30 SGB XI sieht ab 1. Januar 2025 eine Dynamisierung aller Leistungsbeträge der Pflegeversicherung in Höhe von 5 Prozent und ab 1. Januar 2028 in anhand der Teuerungsrate noch festzulegender Höhe vor. Außerdem will die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode für eine langfristige Leistungsdynamisierung einen Vorschlag vorlegen.

Die Beträge für die ambulanten Sachleistungen (= häusliche Pflegehilfe) und für das Pflegegeld werden zum 1. Januar 2024 jeweils um 5 Prozent angehoben.

Bewertung
Alle vorgesehenen Anhebungen und Dynamisierungen der Leistungsbeträge weiten die Kosten der Pflegeversicherung aus und verschärfen das Defizit der Sozialen Pflegeversicherung. Damit werden die nachfolgenden Generationen in der Sozialen Pflegeversicherung belastet, ohne dass eine Lösung für das Problem der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Beitragszahlern und Pflegebedürftigen aufgezeigt wird. Die Leistungen der Pflegeversicherung sollten nur dann dynamisiert werden, wenn sie ausreichend finanziert werden und auch in Zukunft finanzierbar sind. Ebendies ist hier nicht der Fall. Es ist jetzt schon absehbar, dass die Leistungen denen gegenüber, die sie heute finanzieren, nicht mehr erfüllt werden können. Eine langfristige und nachhaltige Finanzierung ist zwingend erforderlich.

Unredlich erscheint zudem, dass die Leistungsdynamisierung teilweise erst nach der nächsten Bundestagswahl in Kraft treten soll. Das aus der Dynamisierung aller Leistungsbeträge resultierende Defizit der SPV wird ganz bewusst der nächsten Bundesregierung übertragen. Auch hier sollte das Diktum des Bundesrechnungshofes Anwendung finden, dass keine neuen Maßnahmen mehr beschlossen werden dürfen, ohne ihre langfristige Finanzierung zu klären.

Auch für die Private Pflegepflichtversicherung hat diese Maßnahme Folgen. Bisher erfolgt die Berücksichtigung höherer Kosten regelmäßig im Nachhinein, wenn sicher ist, dass sie tatsächlich dauerhaft anfallen. Sollte an der deutlichen Leistungsausweitung für die Jahre 2024, 2025 und 2028 und der dau-erhaften, regelmäßigen Dynamisierung festgehalten werden, müssen für die Private Pflegepflichtversicherung Beitragsanpassungen jeweils mit Inkrafttreten der Leistungsänderung oder Dynamisierung ermöglicht werden. Dies sollte in der Form geschehen, dass eine Leistungsänderung durch Gesetzes-änderung oder Dynamisierung der Äquivalenzstörung nach § 203 Abs. 2 VVG gleichgestellt wird. Technisch passend wäre es, dazu eine Änderung der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV) vorzunehmen:

Dem § 26 KVAV werden folgende Sätze angefügt:

„Jeweils bei Inkrafttreten einer gesetzlichen Änderung oder Dynamisierung der Leistungen der Pflegepflichtversicherung ist der Versicherer berechtigt, die Prämien im Rahmen der Höchstbeitragsgarantie mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders anzupassen. Bei verringertem Bedarf ist der Versicherer zur Anpassung insoweit verpflichtet. Die Sätze 2 und 3 gelten nur, wenn die auslösenden Faktoren, die vor dem Inkrafttreten unter Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen dieser Änderungen berechnet wurden, außerhalb des Toleranzintervalls liegen.“

Alternativ wäre auch eine Regelung in SGB XI möglich, die wie folgt aussehen könnte:

„§ 110b Anpassungsrecht für die technischen Berechnungsgrundlagen privater Pflegeversicherungsverträge

(1) Bei einer privaten Pflegeversicherung nach § 110 ist der Versicherer berechtigt, auch für bestehende Versicherungsverhältnisse die technischen Berechnungsgrundlagen jeweils bei Inkrafttreten einer gesetzlichen Änderung oder Dynamisierung der Leistungen der privaten Pflegeversicherung zu ändern und die Prämien daran anzupassen. § 155 Absatz 1 und 2 des Versicherungsaufsichtsgesetzes findet Anwendung.

(2) Dem Versicherungsnehmer ist die Neufestsetzung der Prämie nach Absatz 1 unter Kenntlichmachung der Unterschiede sowie unter Hinweis auf die hierfür maßgeblichen Gründe in Textform mitzuteilen. Anpassungen nach Absatz 1 werden zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Benachrichtigung des Versicherungsnehmers folgt.

(3) Gesetzlich oder vertraglich vorgesehene Sonderkündigungsrechte des Versicherungsnehmers bleiben hiervon unberührt.“

Äußerst hilfsweise wäre für jede Leistungsänderung durch Gesetzesänderung oder Dynamisierung jeweils ein Sonderanpassungsrecht für die Private Pflegepflichtversicherung vorzusehen, wie es zum Beispiel mit § 143 SGB XI früher schon erfolgt ist.

Zu Art. 1 Nr. 35 (§ 111 Abs. 1 S. 1 SGB XI – Risikoausgleich)

Vorgeschlagene Regelung
In § 111 SGB XI wird der Fördertatbestand des § 45d SGB XI gesondert aufgeführt. Es handelt sich um eine redaktionelle Anpassung.

Bewertung
In § 111 SGB XI müsste ergänzt werden, dass sich der Risikoausgleich auch auf die Mittel des neuen § 125b SGB XI für das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege bezieht. Dies ist erforderlich, um auch diesen neu eingeführten Fördertatbestand in den Risikoausgleich der Privaten Pflegepflichtversicherung einzubeziehen.

Zu Art. 1 Nr. 39 (§ 113b Abs. 6 SGB XI – Qualitätsausschuss)

Vorgeschlagene Regelung
Durch die Vertragsparteien nach § 113 SGB XI soll ab dem 1. September 2023 dauerhaft eine Referen-tenstelle zur Unterstützung der nach § 118 SGB XI maßgeblichen Interessenvertretungen finanziert werden. Die Finanzierung soll dabei über den Haushalt der Geschäftsstelle des Qualitätsausschusses nach § 8 Abs. 4 SGB XI durch die Soziale und Private Pflegeversicherung erfolgen.

Bewertung
Auch wenn die Bedeutung der Beteiligung der Interessenvertretungen nach § 118 SGB XI unbestritten ist, so sollte diese aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung aus Bundesmitteln erfolgen. Die Finanzierung (ca. 106.000 Euro jährlich) aus Mitteln der Pflegeversicherung, die wiederum von den Bei-tragszahlenden – und somit auch von den Pflegebedürftigen – aufgebracht werden, ist nicht sachgerecht.

Zu Art. 1 Nr. 45 (§ 125b SGB XI – Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege)

Vorgeschlagene Regelung
Es soll ein Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege beim GKV-Spitzenverband geben. Für die Einrichtung werden aus dem Ausgleichsfonds 10 Millionen Euro im Zeitraum von 2023 bis 2027 zur Verfügung gestellt. Die Private Pflegepflichtversicherung ist in Höhe von 7 Prozent an den Kosten beteiligt. Der PKV-Verband ist im Beirat zur Begleitung der Arbeit des Kompetenzzentrums vertreten.

Bewertung
Es ist vorzusehen, dass der GKV-Spitzenverband die Ziele, den Inhalt, die Planung und die Durchführung des Kompetenzzentrums Digitalisierung und Pflege im Einvernehmen mit dem PKV-Verband festlegen muss. Weil der PKV-Verband auch an der Finanzierung beteiligt ist, reicht es hier nicht wie vorgesehen aus, dass die Festlegungen im Benehmen mit dem PKV-Verband erfolgen.

Zu Art. 2 Nr. 7 (§ 42a SGB XI – Versorgung Pflegebedürftiger bei Inanspruchnahme von Vorsorge- oder Rehabilitationsleistungen durch die Pflegeperson)

Vorgeschlagene Regelung
Es wird ab 1. Juli 2024 ein neuer Anspruch auf Versorgung Pflegebedürftiger bei Inanspruchnahme von Vorsorge- oder Rehabilitationsleistungen durch die Pflegeperson eingeführt. Dabei soll ein festzulegendes Gesamtheimentgelt direkt von den Pflegekassen oder privaten Versicherungsunternehmen, die die Private Pflegepflichtversicherung betreiben, der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung erstattet werden. Es sollen dadurch keine Mehrkosten entstehen. Bislang ist eine Finanzierung über die Kurzzeitpflege möglich.

Bewertung
Ein Erfordernis für den neuen Anspruch auf Versorgung Pflegebedürftiger bei Inanspruchnahme von Vorsorge- oder Rehabilitationsleistungen durch die Pflegeperson wird nicht gesehen. Die Versorgung in solchen Fällen wurde bislang durch die Kurzzeitpflege abgedeckt. Die vorgesehene vollständige Finan-zierung widerspricht dem Teilleistungsprinzip der gesetzlichen Pflegeversicherung. Sollte eine Finanzierung nicht im Rahmen der Kurzzeitpflege wie bisher erfolgen, so sollte daher zumindest die Leistungshöhe dieser neuen Leistungsart auf 60 Prozent des Betrages der pflegebedingten Aufwendungen, der Kosten für Unterkunft und Verpflegung und der Investitionskosten begrenzt werden.

Im Übrigen ist die Regelung selbst so nicht praktikabel umsetzbar, weil sie eine direkte Erstattung der Kosten an die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung vorsieht. Dies ist sowohl für die Soziale Pflegeversicherung als auch für die Private Pflegepflichtversicherung ein unübliches Verfahren. Es widerspricht zudem dem Kostenerstattungsprinzip der Privaten Pflegepflichtversicherung, das in § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XI festgelegt ist. Außerdem dürfte das vorgesehene Verfahren einer schnellen Versorgung und Entscheidungsfindung entgegenstehen, weil viele verschiedene zuständige Stellen einzubeziehen sind.  

Zu Art. 2 Nr. 12 (§ 43c SGB XI – Begrenzung des Eigenanteils an den pflegebedingten Aufwendungen)

Vorgeschlagene Regelungen
Die Leistungszuschläge zu den Eigenanteilen bei vollstationärer Pflege werden zum 1. Januar 2024 um 5 bis 10 Prozentpunkte angehoben. Im ersten Jahr erhalten Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 einen Leistungszuschlag in Höhe von 15 Prozent (statt aktuell 5 Prozent) des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr in Höhe von 30 Prozent (statt aktuell 25 Prozent), im dritten Jahr in Höhe von 50 Prozent (statt aktuell 45 Prozent) und ab dem vierten Jahr in Höhe von 75 Prozent (statt aktuell 70 Prozent).

Bewertung
Diese Regelung erhöht die Hypothek der Sozialversicherung im demografischen Wandel massiv, ohne dass es hierfür eine sozialpolitisch fundierte Begründung gäbe. Es ist nicht belegt, dass die Eigenanteile an den Pflegekosten zu immer mehr Sozialfällen führen. Die vorgesehenen Regelungen leisten keinen sozialpolitischen Beitrag zur Armutsvermeidung im Alter, sondern schonen vielmehr die Vermögens- und Einkommensressourcen der Mittel- und Oberschicht.

Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ darf nicht durch die überproportionale Anhebung der Leistungen der Pflegeversicherung im Bereich der vollstationären Pflege unterlaufen werden.

Außerdem ist bei der Finanzierung der Kosten eine ausreichende Berücksichtigung der dynamischen Entwicklung der Kosten für die vollstationäre Pflege nicht erkennbar.

Daher sollte der Leistungszuschlag zu den Eigenanteilen bei vollstationärer Pflege nicht angehoben werden. Zunächst sollte diese erst 2022 eingefügte Leistungsart evaluiert werden.

III. Weiterer Änderungsbedarf

Zu § 8 Abs. 6 SGB XI – Gemeinsame Verantwortung

Mit Inkrafttreten des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes zum 1. Januar 2019 wurde die Refinanzierung von 13.000 zusätzlichen Pflegefachkraftstellen nach § 8 Abs. 6 SGB XI eingeführt. Die Finanzierung erfolgt durch jährliche Zahlung der GKV und PKV an den Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung. Zum 31. Dezember 2025 erfolgt eine Aufhebung der Regelung nach § 8 Abs. 6 SGB XI, da eine Übertragung in das Personalbemessungsverfahren nach § 113c Abs. 6 SGB XI erfolgt.

Von den geplanten Stellen wurde bislang allerdings nur eine geringe Zahl geschaffen, sodass ein Großteil der gezahlten Mittel ungenutzt beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) liegt. Die Ausschöpfung der Mittel bis zum Auslaufen der Regelung ist einerseits wegen nicht vorhandenen Personals sowie der schrittweisen Überführung in andere Finanzierungsstrukturen (§ 113c Abs. 6 SGB XI) nicht möglich. Durch den Bundesrechnungshof (BRH) wird die fehlende Rückzahlungsklausel für nicht genutzte Gelder oder die Möglichkeit der Aussetzung der Zahlungen kritisiert. Zudem sei ein zielgerichteter Einsatz der Mittel nicht ersichtlich, so dass die Gefahr einer Zweckentfremdung der Mittel bestehe. Im Anschluss an den BRH wird vorgeschlagen, dass die PPV nachschüssig in dem Maße in das Programm einzahlt, wie dies benötigt wird. Überzahlungen würden dadurch von vornherein vermieden. Ausgabenreste müssen an die PPV zurückgezahlt werden.