Stellungnahme 08. Juni 2023

Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz – ALBVVG) anlässlich anlässlich der öffentlichen Anhörung vor dem Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 12. Juni 2023.

I. Allgemeine Anmerkungen

Die Zahl der Arzneimittel-Lieferengpässe hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Neben globalen Problemen spielen der Kostendruck im Gesundheitswesen, die Verlagerung der Wirkstoffherstellung nach Asien, Rohstoffmangel oder -engpässe und individuelle Probleme der pharmazeutischen Unternehmen wie Produktionsausfälle oder Qualitätsprobleme eine Rolle. Von den entstehenden Versorgungs- und Lieferengpässen sind alle Patienten, unabhängig von ihrem Versichertenstatus, im gleichen Maße betroffen.

Generische Arzneimittel haben aufgrund der sehr hohen Verordnungszahlen eine entscheidende Bedeutung für die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Diese Arzneimittel bilden sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor das Rückgrat der Gesundheitsversorgung. Engpässe in diesem Bereich sind daher versorgungsrelevant. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hat bereits 2020 die Zahl der nicht verfügbaren Arzneimittel, für die ein Rabatt gem. § 130a Abs. 8 SGB V bestand, von 16,7 Mio. Packungen ermittelt, darunter so gängige Wirkstoffe wie Candesartan, Metformin, Pantoprazol und Ibuprofen. Neben generischen und patentfreien Arzneimitteln liegen auch Lieferengpässe für dringend benötigte Onkologika vor. Laut Deutscher Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie fehlten im Jahr 2022 etwa zehn kritische Arzneimittel von etwa 200 in Deutschland zugelassenen Krebsmedikamenten.

Diese Zahlen belegen den Handlungsbedarf, damit die bedarfsgerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland dauerhaft gewährleistet werden kann. Vor diesem Hintergrund wird die Grundintention des vorliegenden Gesetzentwurfes begrüßt. Grundsätzlich muss aber die Frage gestellt werden, wie höhere Preise genutzt werden können, um stabilere Lieferketten zu schaffen. Die Mehrkosten für die Versicherten aller Kostenträger durch die vorgesehenen Maßnahmen sind nicht unerheblich, daher besteht eine besondere Begründungspflicht. Standortpolitik kann letztlich nicht nur mit Beitragsgeldern gemacht werden.

Im vorliegenden Gesetzentwurf werden die Belange der privat Versicherten und Beihilfeberechtigten aufgrund der Zentrierung auf die GKV bisweilen nicht hinreichend berücksichtigt. Hierauf wird in der Stellungnahme besonders eingegangen.

II. Zu ausgewählten Regelungen des Gesetzentwurfs

Zu Art. 2 Nr. 2 d (§ 35 Absatz 1a, 5a und 5b – Versorgungskritische Arzneimittel und zugelassene Wirkstärken und Darreichungsformen für Kinder)

Vorgeschlagene Regelungen

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll nach Anhörung des Beirats nach § 52b AMG Listen von Arzneimitteln erstellen, die aufgrund der Darreichungsformen und Wirkstärken für Kinder notwendig sind. Auf Grundlage dieser Liste sollen die Preise neu festgesetzt werden. Bei festbetragsgeregelten Arzneimitteln sollen die Festbeträge anschließend innerhalb von vier Monaten aufgehoben werden, erstmals sechs Monate nach Gesetzesverkündung. Als Basispreis für den dann anzuwendenden Preismoratoriumsabschlag soll gemäß Artikel 2 Nummer 6 Buchstabe a) der um 50 % angehobene, zuletzt für ein Arzneimittel geltende Festbetrag zur Anwendung kommen. Für zuvor nicht festbetragsgeregelte Arzneimittel wird der bisherige Basispreis um 50 % angehoben.

Das BfArM soll nach Anhörung des Beirats nach § 52b AMG für versorgungskritische Arzneimittel eine Anhebung des Festbetrags um 50 % oder für Nicht-Festbetragsarzneimittel eine Erhöhung des für das Preismoratorium nach § 130a Absatz 3a relevanten Basispreises um 50 % empfehlen können. Nach Anhörung des GKV-Spitzenverbands soll das BMG hierzu eine im Bundesanzeiger zu veröffentlichende „Feststellung“ treffen. Die Festbetragsanhebung durch den GKV-Spitzenverband soll dann innerhalb von vier Monaten erfolgen und bis zur nächsten Festbetragsanpassung gelten, mindestens jedoch für zwei Jahre.

Bewertung

Die Regelungen basieren auf der Annahme, dass die aktuellen Preise ursächlich für bestehende Lieferengpässe sind und mithin durch Maßnahmen, die auf die Preisbildung zielen, behoben werden können. Ob die Effekte dieser auf die Preise zielenden Maßnahmen ausreichen werden, um die bestehenden Lieferprobleme kurzfristig zu lösen, muss allerdings aufgrund der beschränkten Zahl der Hersteller und der damit verbundenen limitierten Angebote bezweifelt werden.

Festbeträge stellen ein Preisinstrument der gesetzlichen Krankenkassen dar. Bei den Beträgen handelt es sich um durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen festgesetzte Maximalbeträge, die die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt, für welche Gruppe von Arzneimitteln Festbeträge bestimmt werden können. In der Privaten Krankenversicherung findet die Festbetragsregelung keine Anwendung.

Das gesetzlich festgelegte Preismoratorium nach § 130a Absatz 3a SGB V, dass auch die fortan neu geltenden Preisobergrenzen umfasst, greift hingegen auch für die Private Krankenversicherung und die Beihilfe. Die finanziellen Auswirkungen der Anhebung der Preise entfalten sich somit unmittelbar auf privat Versicherte und Beihilfeberechtigte.

Um diese finanziellen Auswirkungen berücksichtigen zu können, sollte der Verband der Privaten Krankenversicherung ebenfalls in die Anhörung des BMG, welche im Rahmen der Anhebung des Preismoratoriumspreises für versorgungskritische Arzneimittel durchgeführt wird, einbezogen werden.

Zu Art. 2 Nr. 3 Buchstabe a und Artikel 6 (§ 35a Absatz 1 Satz 1 SGB V und § 6 Absatz 2 AM-NutzenV - Zweckmäßige Vergleichstherapie bei einem „Solisten“)

Vorgeschlagene Regelung

Durch die Änderung wird klargestellt, dass die Nutzenbewertung für alle erstattungsfähigen Arzneimittel, d. h. insbesondere auch für sog. „therapeutische Solisten“, durchzuführen ist.

Bewertung

Das Bundessozialgericht entschied am 22.02.2023, Az. B 3 KR 14/21, dass § 35a SGB V keine Rechtsgrundlage für eine Bewertung des Zusatznutzens sei, wenn keine zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmt werden könne, weil das Arzneimittel ein therapeutischer „Solist“ sei. Mit der vorgeschlagenen Regelung wird dies korrigiert.

Das AMNOG-Verfahren verfolgt das Ziel, Transparenz über den medizinisch-wissenschaftlichen Zusatznutzen herzustellen und auf dieser Basis faire Preise für neue Arzneimittel zu vereinbaren. Diese Ziele gelten in besonderem Maße für „therapeutische Solisten“ – also Arzneimittel, für die keine therapeutischen Alternativen zur Verfügung stehen. Eine unabhängige Bewertung des Nutzens dieser Arzneimittel anhand von vergleichenden Studien auch gegenüber beobachtendem Abwarten oder einer bestmöglich unterstützenden Therapie ist hier von besonderer Bedeutung.

Die Änderung wird begrüßt.

Zu Art. 2 Nr. 5 Buchstabe b (§ 129 Absatz 2a SGB V – Austauschbarkeit versorgungskritischer Arzneimittel)

Vorgeschlagene Regelungen

Versorgungsrelevante und versorgungskritische Wirkstoffe, für die ein Lieferengpass besteht, sollen abweichend von § 129 Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und den Vorgaben des Rahmenvertrages nach Absatz 2 durch Apotheken gegen ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausgetauscht werden können. Zudem sollen Austauschmöglichkeiten in Bezug auf die Packungsgröße, Packungsanzahl, Entnahme von Teilmengen und in Bezug auf die Wirkstärke, eingeführt werden.

Bewertung

Von Lieferengpässen sind alle Patienten, unabhängig von ihrem Versichertenstatus, betroffen. Aus diesem Grund sollte sich die gesetzliche Regelung zur erleichterten Austauschbarkeit von versorgungskritischen Arzneimitteln nicht auf den Geltungsbereich des SGB V beschränken. Diese notwendigen Ausnahmeregelungen sollten im Arzneimittelgesetz (AMG) oder noch besser in der Apothekenbetriebsordnung (z.B. als neuer § 17 Abs. 5b ApoBetrO) verankert werden, damit die Arzneimittelversorgung aller Patienten mit versorgungskritischen Arzneimitteln gewährleistet werden kann. Das würde dann auch – wie ganz offensichtlich vom Gesetzgeber als einheitliche Regelung für alle Patientinnen und Patienten in Deutschland beabsichtigt – mit dem neu einzuführenden Lieferengpasszuschlag von 50 Cent für Apotheken (vgl. Art. 5 Nr. 2a - § 3 Absatz 1a AMPreisV) korrespondieren.

Zu Art. 2 Nr. 7 (§ 130b Absatz 3b SGB V – Reserveantibiotika)

Vorgeschlagene Regelungen

Für ein Reserveantibiotikum, für das der Gemeinsame Bundesausschuss eine Freistellung von der Nutzenbewertung beschlossen hat, soll der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens als Erstattungsbetrag fortgelten. Es wird eine neue Rechtsgrundlage für eine Vereinbarung zwischen GKV-Spitzenverband und pharmazeutischem Unternehmer eigener Art geschaffen, die mengenbezogene Aspekte nach Absatz 1a zum Gegenstand haben muss und eine Absenkung des Erstattungsbetrages vorsehen kann.

Bewertung

Die Förderung zur Entwicklung von Reserveantibiotika wird grundsätzlich begrüßt; aufgrund der zunehmenden Resistenzen gegen länger im Einsatz befindliche Antibiotika, ist die Entwicklung neuer Reserveantibiotika anerkannt.

Eine Fortwirkung der durch den pharmazeutischen Unternehmer festgelegten Preise für Reserveantibiotika stellen ein großes Zugeständnis dar, das mit erheblichen Mehrausgaben für die Kostenträger einhergeht. In diesem Zusammenhang ist die Einführung einer verpflichtenden Preis-Mengen-Vereinbarung als Korrektiv sinnvoll.

Der Verband der Privaten Krankenversicherung ist als Benehmenspartner Beteiligter der Erstattungsbetragsverhandlungen. Es ist sicherzustellen, dass die Preis-Mengen-Vereinbarung zu einer unmittelbaren prospektiven Absenkung des Preises führt und transparent in der Lauer-Taxe bekanntgegeben wird. Jedenfalls ist der Verband der Privaten Krankenversicherung unverzüglich über sämtliche preis- relevanten Inhalte und möglicherweise anfallende Nacherstattungsansprüche, hervorgehend aus der Preis-Mengen-Vereinbarung, zu unterrichten.

Dessen ungeachtet muss auf die Notwendigkeit leitliniengerechter Therapieregime verwiesen werden. Andernfalls werden die Reserveantibiotika von heute bald die unwirksamen Mittel von morgen sein.

Zu Art. 5 Nr. 2 Buchstabe a (§ 3 Absatz 1a AMPreisV – Vergütung Austausch versorgungskritischer Arzneimittel)

Vorgeschlagene Regelungen

Bei einem Austausch von versorgungskritischen Arzneimitteln, für die die Sonderreglungen nach § 129 Absatz 2a SGB V-E gelten, sollen Apotheken künftig einen Zuschlag von 50 Cent (zuzüglich Umsatzsteuer) erheben können. Diese Vergütung soll den zusätzlichen Aufwand honorieren, der insbesondere durch notwendige Rücksprachen entsteht.

Bewertung

Ausweislich der Ausführungen zur Wirtschaftlichkeit im Gesetzentwurf unter Punkt F „Weitere Kosten“ soll diese Regelung (wie auch der neu einzuführende Lieferengpasszuschlag für den pharmazeutischen Großhandel) auch für die Private Krankenversicherung gelten. Dieser Sachverhalt wird durch die aktuelle Formulierung nicht erreicht. Denn die Einführung des Zuschlags von 50 Cent in die Arzneimittelverordnung geht auf die neu einzuführende gesetzliche Regelung des § 129 Abs. 2a SGB V zurück, die für privat Versicherte und beihilfeberechtigte Patientinnen und Patienten aber gerade nicht gilt. Nicht nur die vorstehende Begründung im Entwurf zur Geltung des Lieferengpasszuschlags auch für die PKV unter Punkt F, sondern auch die preisrechtliche Verankerung des Zuschlags in der AMPreisV zeigen eindeutig auf, dass dieser Sachverhalt auch auf privat Versicherte erstreckt werden soll. Dann sollte aber auch die eigentliche Grundlage für weitergehende Befugnisse zur Austauschbarkeit von Arzneimitteln zugunsten der Apotheken entweder im Arzneimittelgesetz oder, noch zielgenauer, in der Apothekenbetriebsordnung gesetzt werden.

III. WEITERER REGELUNGSBEDARF

Änderung des Arzneimittelgesetzes (§ 52b AMG - Ergänzung der Sicherstellung einer angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung von Arzneimitteln)

Regelungsvorschlag

Um die Sicherstellung einer angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung von bedarfsgerechten Mengen, vor allem an saisonalen Influenza-, aber auch an Corona-Impfstoffen zu gewährleisten, ist die Verpflichtung eines kontinuierlichen Inverkehrbringens von Einzeldosen erforderlich. Mit dieser Regelung wird gewährleistet, dass für privat Versicherte und Beihilfeberechtigt, welche nicht aus dem GKV- Sprechstundenbedarf und Mehrgebinden bedient werden dürfen, zu jeder Zeit genügend Impfstoffdosen auf dem Markt verfügbar sind. Diese Regelung würde die ohnehin bestehende Sicherstellungspflicht der pharmazeutischen Industrie lediglich hinreichend und praxisrelevant konkretisieren.

Daher wird die Einfügung eines Satzes 2 an § 52b Absatz 1 AMG wie folgt vorgeschlagen:

„Pharmazeutische Unternehmer und Betreiber von Arzneimittelgroßhandlungen sind verpflichtet, kontinuierlich eine bedarfsgerechte Menge von Einzeldosen von Impfstoffen in Verkehr zu bringen. Als bedarfsgerecht gilt ein Anteil von 20 Prozent der jeweils insgesamt in Verkehr gebrachten Dosen.“