Die Einführung einer Bürgerversicherung löst keines der bestehenden Finanzierungsprobleme des deutschen Gesundheitssystems, sondern schafft neue.
- Die Finanzierungsprobleme von GKV und SPV lassen sich nicht mit den im Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen beseitigen – im Gegenteil wären die Konsequenzen für das Gesamtsystem und den Wirtschaftsstandort sehr problematisch. Es ist Aufgabe der „FinanzKommission Gesundheit“ und des „Zukunftspaktes Pflege“, Einnahme- und Ausgabestrukturen zu analysieren und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen.
- Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) ist kein Beitrag zur Problemlösung, sondern belastet hochqualifiziertes Fachpersonal, steigert die Lohnzusatzkosten und schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland.
- Ein Finanzausgleich zwischen Sozialer Pflegeversicherung (SPV) und Privater Pflegepflichtversicherung (PPV) würde für gesetzlich Versicherte durchschnittlich zu einer Einsparung von gerade einmal 1,41 Euro pro Monat führen. Da bei angestellten Versicherten die Hälfte von Arbeitgebern getragen wird, blieben für Arbeitnehmer im Durchschnitt nur 70 Cent monatlich übrig.
- Die Einführung einer Bürgerversicherung löst keines der bestehenden Finanzie-rungsprobleme, sondern stößt auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Der Wegfall der PKV würde Investitionskraft, Innovationsimpulse und Wettbewerb schwächen und damit die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems massiv gefährden.
Die Fraktion Die Linke fordert in ihrem Antrag kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzierung von Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Sozialer Pflegeversicherung (SPV). Darunter befinden sich u. a. eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) auf 15.000 Euro monatliches Bruttoeinkommen mit der Perspektive der Abschaffung, eine auskömmliche Finanzierung der Beiträge von Bürgergeld-Beziehenden, die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel und eine Dynamisierung des Bundeszuschusses. Mittel- und langfristig wird die Einführung einer Bürgerversicherung (mit einer Verbeitragung aller Einkommensarten und ohne Beitragsbemessungsgrenze) und die Abschaffung der PKV gefordert. Im Bereich der Pflegeversicherung wird kurzfristig die Einbeziehung der Pflegepflichtversicherung (PPV) in den Finanzausgleich der SPV gefordert. Langfristig ist auch hier die Abschaffung der PPV das Ziel.
Der Antrag setzt in der Konsequenz darauf, mehr Einnahmen für die GKV zu generieren. Fakt ist aber, dass sich Einnahmen und Ausgaben der GKV in den vergangenen Jahren immer stärker auseinanderentwickelt haben. Pro Kopf gerechnet steigen die Ausgaben seit mehr als zwanzig Jahren durchschnittlich jedes Jahr um mehr als einen Prozentpunkt stärker als die beitragspflichtigen Einkommen. Dabei hat sich die Beitragsbemessungsgrundlage nahezu im Gleichschritt mit der Wirtschaftsleistung je Einwohner entwickelt.
Vor diesem Hintergrund ist der Fokus des Antrags deutlich zu kurz. Die Vorschläge sind nicht generationengerecht und vergrößern die Problematik ständig steigender Lohnzusatzkosten und damit die Belastung des Faktors Arbeit. Richtig ist die Annahme, dass eine starke soziale Sicherung wichtig für den sozialen Zusammenhalt im Land ist. Fatal ist aber die Schlussfolgerung, dass eine Ausweitung der Solidarität die Lösung sei. Die Akzeptanz solidarisch finanzierter Systeme ist aktuell bereits gefährdet durch übermäßige Beitragslasten (die psychologisch wichtige 40-Prozent-Grenze ist längst überschritten) und durch demographische Veränderungen (immer weniger Beitragszahlende zahlen für immer mehr Leistungsbeziehen-de). Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass die Bundesregierung auf die umfassende Erörterung von Lösungsoptionen für GKV und SPV in Kommissionen setzt.
Im Einzelnen:
Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze schwächt Wirtschaft
Eine Anhebung der Beitragsbemessungs-/Versicherungspflichtgrenze wurde in der Debatte bereits durch unterschiedliche Akteure ins Spiel gebracht, weil zusätzliche Steuermittel und Beitragssatzsteigerungen politisch ausgeschlossen wurden. Tatsächlich bedeutet der Vorschlag eine massive Beitragsmehrbelastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Nur optisch wird der Beitragssatz geschont, tatsächlich steigt die Beitragsbelastung massiv. Besonders betroffen sind qualifizierte Arbeitskräfte in Zukunftsindustrien.
Diskutiert wird zum einen eine Erhöhung der BBG auf das Niveau der Rentenversicherung, zum anderen auf das Niveau der Versicherungspflichtgrenze. Während im ersten Szenario der Gesamtanstieg für einzelne Arbeitgeber eine Belastung je Arbeitnehmer von mehr als +45 Prozent mit sich bringt, kommt es im zweiten Szenario noch immer zu einer Belastung in Höhe von +11 Prozent.
Die Forderung ist immer wieder mit einem Missverständnis über Einkommen von qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland verbunden. Von den finanziellen Belastungen getroffen werden keineswegs so genannte „Besserverdiener“, sondern Facharbeiter zum Beispiel in der Automotive-Branche oder in der Pharmaindustrie. Konkrete Beispiele lassen sich der folgenden Aufstellung entnehmen:
Anhebung BBG auf Niveau Rentenversicherung | Anhebung BBG auf Niveau VPG | |
Arbeitgeber-Zusatzbelastung pro Jahr (Lohnzusatzkosten) Unternehmensbeispiele aus der Wirtschaft[1] | Forschungszentrum für Medizintechnik (45 Mitarbeiter): Automotive-Produktionsstätte (6.741 Mitarbeiter): Software-Unternehmen (33 Mitarbeiter): Pharma-Hersteller (1.561 Mitarbeiter): | Forschungszentrum für Medizintechnik (45 Mitarbeiter): Automotive-Produktionsstätte (6.741 Mitarbeiter): Software-Unternehmen (33 Mitarbeiter): Pharma-Hersteller (1.561 Mitarbeiter): |
Arbeitnehmer-Zusatzbelastung pro Jahr Beispiele aus der Berufswelt[2] | Biologe: + 12,1 % (+ 828 €) Chemikerin: + 37,7 % (+ 2.583 €) Pharmazeutin: + 27,2 % (+ 1.865 €) | Biologe: + 11,6 % (+ 792 €) Chemikerin: + 11,6 % (+ 792 €) Pharmazeutin: + 11,6 % (+ 792 €) |
[1] Vgl. Sozialversicherung und Lohnzusatzkosten, Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Januar 2025. (Daten von 2024)
[2]Vgl. Sozialabgabenrechner des Deutschen Führungskräfteverbandes, ULA -Sozialabgabenrechner für Fach- und Führungskräfte
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) analysiert, eine Anhebung der BBG käme einer Hypothek für die Wiederbelebung privater Investitionen gleich; gerade Standorte und Unternehmen würden überproportional belastet, bei denen Potenziale für Innovation und Transformation liegen. Für die Wiederbelebung der wirtschaftlichen Wachstumsdynamik brauche es stattdessen eine strikte Ausgabendisziplin in den sozialen Sicherungssystemen.
Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze löst wegen der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Beiträge Steuerausfälle aus. Bei einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung drohen Steuerausfälle in Höhe von insgesamt 4,7 Milliarden Euro pro Jahr. Davon entfielen 2,1 Milliarden Euro auf den Bund, 0,7 Milliarden Euro auf die Kommunen und 1,9 Milliarden Euro auf die Bundesländer.
Mit Blick auf die Private Krankenversicherung wäre die Anhebung der BBG mit gleichzeitiger Anhebung der Versicherungspflichtgrenze eine „Bürgerversicherung für Angestellte“. Der Markt der PKV für Angestellte würde von rund 11 Prozent auf weniger als 2 Prozent zusammenschrumpfen. Damit lässt sich eine PKV für Angestellte nicht mehr betreiben.
Einführung eines Finanzausgleichs zwischen SPV und PPV
Die Fraktion Die Linke fordert einen Finanzausgleich zwischen Sozialer (SPV) und Privater Pflegeversicherung (PPV). Begründet wird dies mit einem Vergleich der durchschnittlichen Ausgaben je Versicherten, die eine günstigere Risikostruktur der PPV belegen sollen. Dieses Szenario ist rein hypothetisch, weil der Gesetzgeber mit der Etablierung einer umlagefinanzierten SPV und einer kapitalgedeckten PPV 1994 zwei getrennte Versichertenkollektive bzw. Solidargemeinschaften geschaffen hat. Nachträglich Finanztransfers zwischen ihnen wäre ein verfassungswidriger Eingriff in bestehende Verträge.
Praktisch wären Bürgerversicherung und Finanzausgleich ein nutzloses Strohfeuer: mit 10 Prozent der PPV-Versicherten lässt sich das strukturelle Finanzproblem von 90 Prozent SPV-Versicherten nicht lösen. Szenario-Berechnungen gehen davon aus, dass ein Finanzausgleich den SPV-Beitragssatz nur zum Start um 0,1 Prozentpunkte senken würde und infolge der Alterung des PPV-Kollektivs nicht nur abnehmen, sondern sich auch irgendwann um-kehren würde.
Dass die Beihilfestellen aus Ländern und Bund aus Steuergeldern zum Finanzausgleich bei-tragen, ist politisch unrealistisch. Zur Beitragssenkung in der SPV stände nur noch eine Ausgleichsvolumen von 0,985 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung. Bei rund 58,3 Millionen SPV-Mitgliedern entspräche das einer durchschnittlichen monatlichen Beitragsreduktion von 1,41 Euro. Davon entfielen bei Angestellten die Hälfte auf den Arbeitgeber. Übrig blieben für ein angestelltes SPV-Mitglied 70 Cent.
Folgen und Nebenwirkungen der Bürgerversicherung
Mit der Abschaffung der Privaten Krankenversicherung (PKV) als Vollversicherung entstünde dem deutschen Gesundheitssystem ein irreparabler Schaden:
Finanzierung der medizinischen Infrastruktur
Eine Bürgerversicherung lässt sich nur zu Lasten der medizinischen Infrastruktur oder auf Kosten der Beitragszahler realisieren.
(a) Bürgerversicherung zu Lasten der Leistungserbringer
Eine mit der Bürgerversicherung einhergehende und an der GKV orientierte Vereinheitlichung der Honorar- und Vergütungsordnungen würde zu einem Wegbrechen der Mehrumsätze in Höhe von 14,5 Mrd. Euro für die medizinische Infrastruktur führen. In dieser Höhe entstehen im Gesundheitssystem durch Privatversicherte Mehrumsätze, weil Privatversicherte privat und nicht gesetzlich versichert sind. Diese Finanzmittel werden dringend für Investitionen in das Versorgungssystem gebraucht und kommen allen, auch gesetzlich versicherten Patienten, zugute.
(b) Bürgerversicherung zu Lasten der Beitragszahler
Um die politische Akzeptanz für die Bürgerversicherung zu erhöhen, wird häufig davon gesprochen, dass dem System unterm Strich kein Geld entzogen werden solle. Ein derartiges Versprechen hätte Folgen: Sollten in einer Bürgerversicherung die Mehrumsätze, wenn auch nur in Teilen, kompensiert werden, würde das zu einer massiven Mehrbelastung der Beitragszahler führen. Die gesetzlich Krankenversicherten müssten dann die Mehrumsätze in Höhe von 14,5 Mrd. Euro der ehemals Privatversicherten „bezahlen“ und wirtschaftlich tragen. Der Beitragssatz in der neuen Bürgerversicherung würde sich dadurch erhöhen.
Bürgerversicherung führt zur Zwei-Klassen-Medizin
In Deutschland gibt es zwei Versicherungssysteme, aber nur eine Versorgungsstruktur. Innerhalb dieser Versorgungsstruktur sorgt gerade das Nebeneinander von PKV und GKV da-für, dass es für die gesamte Bevölkerung zu einer sehr guten Versorgung ohne nennenswerte Wartezeiten kommt. So leisten Privatversicherte – weil sie für viele medizinische Leistungen höhere Honorare zahlen – mit ihrem Mehrumsatz einen überproportionalen Beitrag zum Gesundheitswesen. Dieser Beitrag kommt direkt auch der Versorgung der gesetzlich Versicherten zugute.
Die Existenz der PKV für Leistungsunterschiede in der medizinischen Versorgung verantwortlich zu machen, ist unsinnig. Der Tatbestand, dass es in der PKV vertragliche Leistungssicherheit gibt, ist nicht ursächlich für Leistungsausschlüsse in der GKV. Letztlich ist es genau umgekehrt: Nur der Fortbestand der PKV im dualen Wettbewerb schützt gesetzlich Versicherte vor Leistungskürzungen. Denn in der PKV gibt es einen unkündbaren Leistungskatalog. Entfiele dieses Korrektiv, wären Leistungskürzungen in der GKV keine Grenzen gesetzt.
Ein Blick über die Grenzen kann diesen Zusammenhang eindrucksvoll bestätigen: Nirgend-wo gibt es eine so ausgeprägte Zwei-Klassen-Medizin wie in den Staaten, die formal ein einheitliches Versorgungssystem haben, wie zum Beispiel Großbritannien. Die Wirklichkeit in diesen Ländern ist von Wartelisten, Rationierungen sowie einer schlechten Infrastruktur bei den Leistungserbringern und den staatlichen Gesundheitsdiensten geprägt. Die einzige Möglichkeit, die Rationierungen und Belastungen in staatlichen Gesundheitsdiensten zu vermeiden, ist der Abschluss einer privaten Krankenversicherung. Immer mehr Menschen machen in Großbritannien davon Gebrauch. Sie lassen sich ambulant wie stationär bei Ärzten behandeln, die immer häufiger – ohne Wartezeit und Rationierung – ausschließlich privat praktizieren. Diese Ausweichreaktion ist charakteristisch für überwiegend einheitliche Gesundheitssysteme; sie begründet eine echte Zwei-Klassen-Medizin zu Lasten Dritter mit all ihren Konsequenzen, allen voran die Erosion gemeinsamer Versorgungsstrukturen.
Betroffenheit von Grundrechten
Von einer Abschaffung der Privaten Krankenversicherung (PKV) wären gleich mehrere Grundrechte betroffen: Die zwangsweise Beendigung aller Verträge und das gleichzeitige Verbot, neue Verträge abzuschließen, greifen sowohl in die Grundrechte der Versicherten als auch in die der Versicherungsunternehmen ein. Betroffen sind vor allem Art. 2 Abs. 1 (allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 9 Abs. 1 (Vereinigungsfreiheit) und Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie).
Besonders bedeutend ist das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1). Ein Verbot des Neu- und Altgeschäfts ist unvereinbar mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit. Die PKV-Unternehmen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Berechtigte der Berufsfreiheit gemäß Art. 19 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG. Schutzgut nach Art. 12 Abs. 1 GG ist dabei der von den PKV-Unternehmen ausgeübte „Beruf“. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) sehr deutlich herausgearbeitet, dass als Beruf das „Geschäftsmodell“ der PKV anzusehen ist. Das damit als Beruf geschützte Geschäftsmodell zeichnet sich durch das An-gebot von Privater Krankenversicherung auf der Grundlage privater Versicherungsvertragsverhältnisse und einer Prämienkalkulation nach versicherungsmathematischen Grundsätzen mit Bildung von Alterungsrückstellungen aus. Durch die Einbeziehung sämtlicher Versicherten in die GKV wird den PKV-Unternehmen die Möglichkeit genommen, das Geschäftsmodell in der Krankheitskostenvollversicherung weiter zu betreiben. Das ist ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Unternehmen in Form einer objektiven Berufszulassungsbeschränkung, da sie nicht von subjektiven Merkmalen des Versicherers abhängt.
Die Auflösung der Alterungsrückstellungen in den Bilanzen der PKV-Unternehmen ist im Hinblick auf das Grundrecht der Versicherungsunternehmen aus Art. 14 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Dabei ist es unerheblich, ob die Alterungsrückstellungen einen individuellen Anspruch auf eine bestimmte Geldsumme begründen oder nicht. Darauf kommt es für den Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG nicht an. Denn wenigstens als Bilanzposition gemäß § 341f HGB im Hinblick auf das hiermit korrespondierende Sicherungsvermögen nach § 125 Abs. 1 VAG sind die Alterungsrückstellungen durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Sie sichern die Fähigkeit des Versicherungsunternehmens ab, gegenüber seinen Versicherungsnehmern die Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag während der gesamten Vertragsdauer zu erfüllen.
Der Eingriff in Eigentumsrecht hat „erdrosselnde“ Wirkung und ist unverhältnismäßig, da eine Auflösung der Alterungsrückstellungen nur durch eine kurzfristige verlustreiche Liquidation von langlaufenden Kapitalanlagen, deren Anlage an einer Laufzeit der Krankenversicherungsverpflichtungen von mehreren Jahrzehnten orientiert war, denkbar wäre, was den wirtschaftlichen Ruin jedes PKV-Unternehmens bedeuten würde.
Eine Bürgerversicherung ohne BBG ist eine neue Steuer auf Lohn und Gehalt.
Durch eine Bürgerversicherung ohne Beitragsbemessungsgrenze entstünde im Kern eine neue Gesundheitssteuer auf Lohn und Gehalt. Das entspräche dem Wesen einer proportionalen Einheitssteuer mit einem einstufigen Steuertarif in Höhe von 17,1 % (14,6 % allgemeiner Beitragssatz + 2,5 % durchschnittlicher Zusatzbeitrag 2025). Im Gegensatz dazu wird in den meisten industriell entwickelten Ländern eine progressive Ausgestaltung der Belastung als „gerecht“ empfunden. Die sogenannte Progression gewährleistet, dass höhere Löhne und Gehälter nicht nur absolut, sondern auch prozentual höher besteuert werden. Genau das kann die Beitragserhebung in einer Bürgerversicherung ohne Beitragsbemessungsgrenze nicht gewährleisten. Die Höhe des Beitrags wäre stets proportional ansteigend. Eine prozentuale Einheitslast, die im Steuersystem („flat tax“) als höchst ungerecht empfunden wird, soll im zum Steuersystem mutierten Krankenversicherungssystem gerecht, sozial und solidarisch sein. Eine zweite „Einkommensteuer“ wäre zudem mit der Finanzverfassung des Grundgesetzes nicht kompatibel.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich 2021 umfassend mit der Erhöhung bzw. Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze im Rahmen einer Bürgerversicherung befasst. Demnach wird eine erhebliche Anhebung oder der Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze maßgeblichen Autoren zufolge als verfassungswidrig eingestuft.
Fazit und Schlussfolgerung
Deutschland hat im internationalen Vergleich ein leistungsstarkes Gesundheitssystem mit einem sehr hohen medizinischen Standard. Trotz der Leistungsstärke steht das deutsche Gesundheitssystem vor großen Herausforderungen, denn die absehbar steigenden Kosten des medizinischen Fortschritts und die wachsenden Belastungen infolge der alternden Gesellschaft setzen es zunehmend unter Druck. Für diese Herausforderungen und Probleme hat die Bürgerversicherung keine Lösung. Für die stetig wachsenden Ausgaben der Krankenversicherung bietet sie keine Abhilfe, sie erhöht im Zuge der Anhebung oder Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze lediglich die Beiträge und Belastungen. Mit der Einführung einer Bürgerversicherung würde die privatwirtschaftliche Alternative zum sozialstaatlichen Versicherungsschutz abgeschafft. Das Ergebnis wäre eine große, allumfassende Einheitsversicherung, in der letztlich allein der Staat darüber entscheidet, wie hoch der Beitrag ist und welche Gesundheitsleistungen dem Einzelnen bewilligt werden oder nicht.