Meldung 28. Februar 2024

Gerade wenn es um wichtige Zukunftsfragen geht, sollte wissenschaftliche Expertise die Grundlage politischen Handelns sein. So war es in der Corona-Pandemie und so ist es bei der Klimapolitik. Doch wenn es um die Folgen der Demografie geht, scheint die Politik jede Warnung in den Wind zu schlagen.

Die Bundesregierung hat sich mit dem Klimagesetz das Ziel gesteckt, in Deutschland bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Das Gesetz geht in seiner aktuellen Fassung auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021 zurück. Darin heißt es: „Besteht wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge, erlegt Art. 20a GG dem Gesetzgeber eine besondere Sorgfaltspflicht auf. Danach müssen bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen berücksichtigt werden.“

Verantwortung für künftige Generationen als Staatsziel

Artikel 20a des Grundgesetzes bezieht sich auf die staatliche „Verantwortung für die künftigen Generationen“. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Urteil lediglich unter dem Aspekt des Klimaschutzes bewertet, bisher aber nicht auf finanzielle Nachhaltigkeit. Sonst hätte die Politik auch hier längst handeln müssen. Denn von „wissenschaftlicher Ungewissheit“ kann hier keine Rede sein. Die finanziellen Auswirkungen des demografischen Wandels werden von Wissenschaftlern seit Jahren beschrieben. Dramatische Folgen werden dabei vor allem für die umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme prognostiziert. 

Datengrundlage zum demografischen Wandel ist eindeutig

Grundlage für fast alle wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Demografie sind die Daten des Statistischen Bundesamtes. Dort heißt es: „Die sinkende Zahl der Menschen im jüngeren Alter und die gleichzeitig steigende Zahl älterer Menschen verschieben den demografischen Rahmen in bisher nicht gekannter Art und Weise.“ Und weiter: Diese als schleichend empfundenen Prozesse werden sich in naher Zukunft deutlich beschleunigen.“ Dies bestätigen die Zahlen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, demzufolge Deutschland 2021 zum 50. Mal in Folge ein Geburtendefizit verzeichnete. 

Dramatische Folgen für Sozialsysteme und Staathaushalt

An Warnungen über die Auswirkungen dieser Entwicklung für unser Gesundheitssystem mangelt es ebenfalls nicht. „In der Konsequenz trägt das zu einem Wandel des Krankheitsspektrums bei, der durch das Gesundheitsversorgungssystem bewältigt werden muss“, schreibt etwa das Robert Koch-Institut. Selbst in ein Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung haben die Erkenntnisse Einzug gefunden. Darin heißt es: „Fest steht: Die Veränderungen in der Alterszusammensetzung der deutschen Gesellschaft haben potenziell enorme Auswirkungen auf unsere sozialen Sicherungssysteme. Denn die sind größtenteils umlagefinanziert: Der jeweils erwerbstätige Teil der Bevölkerung zahlt also für die aktuellen Rentner beziehungsweise Leistungsbezieher, auch in der Pflege.“ Der Tragfähigkeitsbericht des Bundesfinanzministeriums kommt zu demselben Ergebnis. 

Noch reicht die Zeit, um vorzusorgen, bevor unserer Gesellschaft die Kosten des demografischen Wandels über den Kopf wachsen. Aber die Politik muss endlich anfangen, die Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung durch eine zusätzliche kapitalgedeckte Vorsorge zu stärken, um die Steuer- und Beitragszahler vor Überlastung zu schützen. Die Private Krankenversicherung steht dazu bereit.

Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbands, zum BMF-Tätigkeitsbericht

Gerade auf die Pflege wirkt sich der wachsende Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung massiv aus. Das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) hat einen Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen von heute rund 5 Millionen auf 7,25 Millionen im Jahr 2050 berechnet. In der Folge attestieren so gut wie alle wissenschaftlichen Institutionen dem Staat massive Ausgabenprobleme in der Zukunft. Ein paar Beispiele: 

  • Die Professoren Thiess Büttner und Martin Werding warnen vor einem Anstieg der Sozialabgabenquote auf 45 Prozent. 
  • Die Stiftung Marktwirtschaft hat die implizite Verschuldung der Kranken- und Pflegeversicherung berechnet. Demnach beträgt die Nachhaltigkeitslücke der öffentlichen Haushalte 398,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
  • Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) warnt in einem Gutachten, die Pflege-Pläne der Ampel-Regierung würden die jüngeren Generationen massiv belasten. 
  • Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Schluss, ass die Ausgaben der sozialen Sicherung durch die Alterung der Bevölkerung bis 2045 von derzeit 890 Milliarden Euro auf etwa 1,6 Billionen Euro anwachsen werden – selbst dann, wenn die Geburtenraten wieder steigen sollten.
  • Der Bundesrechnungshof warnt sogar eindeutig vor einem „Kontrollverlust bei den Bundesfinanzen.“
  • Mehr Nachhaltigkeit wagen: Die Tragfähigkeit der Sozialversicherung in Deutschland. Gutachten von Prof. Dr. Stefan Fetzer und Prof. Dr. Christian Hagist im Auftrag von “Die Familienunternehmer” und “Die Jungen Unternehmer”. 

All diese Warnungen renommierter Wissenschaftler perlen jedoch an der Politik ab. In der gesetzlichen Krankenversicherung schließt der Bundesgesundheitsminister trotz massiver Finanzierungsproblem Leistungskürzungen kategorisch aus. Und in der Pflege hat es in den vergangenen Jahren sogar massive Leistungsausweitungen gegeben, die das überlastete System weiter strapazieren. Ohne Frage. Vielen Betroffenen helfen die beschlossenen Mehrleistungen sicher weiter. Sie dürften in der Gesellschaft jedoch zugleich den Eindruck verstärken, der Staat werde alle Probleme schon richten. Das fördert in weiten Teilen der Bevölkerung ein falsches Sicherheitsgefühl und verhindert tendenziell die Bereitschaft zu mehr Eigenverantwortung und privater Vorsorge. Die aber ist zwingend notwendig, um dem Finanzierungsproblem in Folge der alternden Gesellschaft zu begegnen. 

Ökonomen sehen Reformbedarf in den Sozialversicherungen

„Die Sozialversicherung in Deutschland steht vor einem Kipppunkt“, warnen die Ökonomen Prof. Stefan Fetzer und Prof. Christian Hagist im Februar 2024 in einem Gutachten im Auftrag von den Verbänden „Die Familienunternehmer“ und „Die Jungen Unternehmer“. Ohne Reformen werde die Alterung der Bevölkerung den Gesamtbeitragssatz – also die Summe aller Beitragssätze der Sozialversicherungszweige – von heute 40,9 Prozent auf 44,5 Prozent im Jahr 2030 treiben. Im Jahr 2050 würden die Sozialabgaben dann schon bei über 50 Prozent des Bruttolohns liegen. In der Folge würden die jüngeren Generationen den Generationenvertrag einseitig aufkündigen, Arbeitnehmer das Land verlassen oder in Schwarzarbeit flüchten, prognostizieren die Autoren – mit dramatischen Auswirkungen für die Soziale Marktwirtschaft. 

Fetzer und Hagist sind sich einig: Allerspätestens in der nächsten Legislaturperiode müsse die Politik die benötigten Reformen entschieden vorantreiben. Und weil auf der Einnahmenseite nicht viel zu holen sei, müssten Reformen entweder Leistungen kürzen oder aber mehr Effizienz in die Systeme bringen. Während die Ökonomen in der Gesetzlichen Krankenversicherung die Kosten durch mehr Eigenverantwortung, Digitalisierung und Wettbewerb bremsen wollen, setzen sie in der Pflege auf mehr kapitalgedeckte Vorsorge. Schon bei der Einführung der Sozialen Pflegeversicherung habe versicherungsmathematisch und demografisch sehr viel für einen dominanten, kapitalgedeckten Anteil gesprochen, heißt es im Gutachten. Die Entscheidung für einen weiteren 100 Prozent umlagefinanzierten Sozialversicherungszweig sei ein zentraler Fehler gewesen. 

In der Debatte um den kommenden Haushalt der Bundesregierung hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner erst kürzlich ein dreijähriges Moratorium bei Sozialausgaben und Subventionen vorgeschlagen. Einen Schritt weiter gehen führende Wirtschaftswissenschaftler. „Die Alterung wird den Druck zu mehr Sozialausgaben weiter steigern, gleichzeitig sinken die Einnahmen des Sozialstaats, weil immer weniger Menschen erwerbstätig sind“, sagte Prof. Clemens Fuest in einem TV-Auftritt bei Maybrit Illner. Der Präsident des Ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts geht davon aus, dass an Kürzungen im Sozialbereich kein Weg vorbeiführen werde. Keinen weiteren Ausbau des Sozialstaats fordert Prof. Lars P. Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts und persönlicher Beauftragter des Bundesministers der Finanzen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. „Eine solide Finanzpolitik verbietet Sozialausgaben auf Pump gerade angesichts der Dynamik, die sich aus der Demografie ergibt“, so Feld in der Rheinischen Post

Aussetzen der Schuldenbremse wäre fatal

Wie zerbrechlich der politische Rückhalt für eine nachhaltige und generationengerechte Finanzpolitik ist, zeigt auch der jüngste Angriff auf die Schuldenbremse. Sie wurde 2009 eingeführt, damit die Schulden von heute die Generationen von morgen nicht erdrücken. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) rufen Politiker von SPD, Grünen und Linken nun dazu auf, die Schuldenbremse auszusetzen. Anstatt im Bundeshaushalt die Schwerpunkte anders zu verteilen oder durch Kürzungen neu zu priorisieren, soll das Loch mit zusätzlichen Schulden geschlossen werden.

„Hier ist ein Umdenken erforderlich“, fordert Ökonom Prof. Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Expertenrat Pflegefinanzen. „Eine Kernproblematik im Bundeshaushalt besteht in den sehr umfangreichen und stetig wachsenden Sozialausgaben. Weit mehr als jeder dritte Euro wird mittlerweile für Arbeit und Soziales aufgewandt. Eine moderne Sozialpolitik fördert die private Eigenverantwortung und versucht nicht, sie zu ersetzen.“ Auch PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther hält die Forderung, die Schuldenbremse zu lockern, für fatal. „Die Schuldenbremse ist gelebte Nachhaltigkeit und ein Bollwerk für Generationengerechtigkeit“, erklärt Reuther. „Wie schon beim Klima-Urteil des Verfassungsgerichts gilt auch bei den Finanzen: Die Politik darf für ihre heutigen Wünsche nicht die Ressourcen nachfolgender Generationen verbrennen. Die Schuldenbremse zwingt die Verantwortlichen zu klaren Prioritäten, was der Staat sich heute leisten kann. Alles, was darüber hinausgeht, geht zu Lasten der jüngeren Generationen – bei den Staatsschulden ebenso wie in der Sozialversicherung.“

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