Interview

Im Wettbewerb zwischen Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung sieht Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, einen Innovationstreiber und Kostenbegrenzer. Ein Vorteil für die Versicherten – und für die Leistung unseres Gesundheitswesens.

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22. September 2021 - Herr Kampeter, wie beurteilen Sie die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems aus Sicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber?

Ich glaube, wir können stolz sein auf die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens. Wir haben eine herausragende stationäre Versorgung. Wir sind super aufgestellt in der Breite, auch ambulant. Und wir können jetzt auch in der medizinischen Forschung, in der Pharmazie kräftig Gas geben, wenn das gefordert ist. All das hat allerdings auch seinen Preis: Gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands sind wir auch bei den Gesundheitskosten spitze. Spitzenleistung hat also auch Spitzenpreise. Man muss darüber nachdenken, ob das auf Dauer so gut geht – oder ob man nicht auch mit mehr Wettbewerb im System Kosten senken kann, ohne die gesundheitlichen Leistungen einzuschränken.

Wesentliche Kostenträger im Gesundheitswesen sind die Gesetzliche und die Private Krankenversicherung. Welchen Beitrag leistet diese Dualität für die Qualität und die Innovationskraft des Systems?

Ich glaube, die soziale Marktwirtschaft wird durch Wettbewerb stark. Und durch den Wettbewerb zwischen Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung ist ein wesentlicher Innovationstreiber in unserem Gesundheitswesen identifiziert. Das ist gut für die Versicherten, und es ist gut für die Leistung des Gesundheitswesens insgesamt. Und Wettbewerb ist auch immer ein Kostenbegrenzer. Von daher sehe ich keinen guten Grund, am Dualismus im deutschen System irgendetwas Grundlegendes zu ändern.

Welche Folgen hätte eine einheitliche Krankenversicherung – also eine sogenannte Bürgerversicherung – für die Wirtschaft?

Ich kann an einer de facto Verstaatlichung des Gesundheitswesens, außer der netten Überschrift ‚Bürgerversicherung‘, nichts Sympathisches entdecken. Wenn wir in die Länder schauen, wo der Staat beim Gesundheitswesen in der in der Vorhand ist, haben wir Mangelwirtschaft und Kostenexplosion. Von daher: Finger weg von irgendwelchen ideologischen Reformexperimenten. Wir brauchen die Stärkung eines vielfältigen dualen Gesundheitssystems in Deutschland. Was wir nicht brauchen, ist die Totalattacke beispielsweise auf die private Krankenversicherung oder die Versorgung von Beamtinnen und Beamten mit vernünftigen Gesundheitsleistungen.

Die demografischen Herausforderungen werden den Kostenanstieg in der Kranken- und in der Pflegeversicherung weiter verstärken. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorge?

Eindeutig ja. Vor allen Dingen, weil die Politik die Köpfe in den Sand steckt. Bei keiner Partei kann ich den Mut erkennen, mal eine solide Bestandsaufnahme der Perspektive der Sozialversicherungsbeiträge für die nächsten Jahre zu machen. Der erste Schritt wäre zu schauen: Wie entwickelt sich die Belastung der Bürgerinnen und Bürger, für die steigende Beiträge ein Angriff auf ihr Nettogehalt sind. Das zweite ist, wir müssen uns endlich ehrlich machen: Wenn immer weniger Menschen in das System der sozialen Sicherung einzahlen, dann muss man die Leistungen aus dem System fairer verteilen. Bei der Alterssicherung bedeutet das beispielsweise das faire Verteilen von Arbeitszeit und Passivzeit. Im Bereich der Krankenversicherung bedeutet das die Stärkung von Eigenverantwortung und Eigenvorsorge. Das sind sinnvolle Systemveränderungen, weil sie das System als insgesamt leistungsfähiges System erhalten. Eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung und ein leistungsfähiges Rentenversicherungssystem müssen unser Ziel bleiben – aber nur mit Reformen. Reform ist die Grundlage für die Stabilität.

Ihre Kampagne zur Bundestagswahl heißt „Wirtschaft sind wir alle“. Was meinen Sie damit?

„Wirtschaft sind wir alle“ soll deutlich machen, dass man den einen nicht gegen die anderen ausspielen kann. Wir werden die Sozialreformen in Deutschland nur gemeinsam auf die Reihe kriegen. Das bedeutet einen breiten parteipolitischen Konsens und einen breiten Konsens zwischen den Sozialpartnerinnen und Sozialpartnern. Das muss aber mehr als der kleinste gemeinsame Nenner sein – es muss getragen sein von dem Willen zu echten Reformen im Interesse der Menschen in Deutschland.