Stellungnahme 12. Juli 2022

Stellungnahme des PKV-Verbands zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – GKV-FinStG)

I. Allgemeine Anmerkungen

Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz soll das im Jahr 2023 drohende Defizit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Höhe von mindestens 17 Mrd. Euro kurzfristig überbrückt werden, um den Anstieg der Zusatzbeitragssätze zu begrenzen. Dazu werden auf der Einnahmeseite die Beitragszahlenden über eine Erhöhung der Zusatzbeiträge und eine Reduzierung der Finanzreserven der Krankenkassen herangezogen, zusätzlich werden weitere Bundesmittel in Höhe von 2 Mrd. Euro und ein Darlehen in Höhe von 1 Mrd. Euro bereitgestellt. Auf der Ausgabenseite sollen die Arzneimittelausgaben u.a. durch eine Sonderabgabe, die Verlängerung des Preismoratoriums und Änderungen am AMNOG-Verfahren stabilisiert werden.

Die Finanzierung der GKV unterliegt Limitierungen: Auf der einen Seite belastet eine Anhebung von Beiträgen und Zusatzbeiträgen den Faktor Arbeit, setzt die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen in Zeiten von Inflation und Energiekrise aufs Spiel und reduziert die Kaufkraft der Bevölkerung weiter. Auf der anderen Seite führt eine Erhöhung des Steuerzuschusses mittelbar zu einer Erhöhung der Staatsverschuldung, der durch die verfassungsmäßig garantierte Schuldenbremse Grenzen gesetzt sind. Davon abgesehen ist die Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben, die wie die GKV-Ausgaben rein konsumtiven Zwecken dienen, damit nicht vereinbar. Vor diesem Hintergrund ist der Verzicht auf den ergänzenden Bundeszuschuss gem. § 221a SGB V von zuletzt 14 Mrd. Euro zu begrüßen.

Mithin müsste der Fokus der Gesetzgebung auf dem Ausgabenbereich liegen, zumal die Ursachen des Defizits in den Leistungsausweitungen der letzten beiden Legislaturperioden zu finden sind. Die mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen nehmen aber weder die Ursachen des Defizits in den Blick noch stabilisieren sie die GKV-Finanzen nachhaltig: Es werden keine strukturellen Maßnahmen zur Hebung von Effizienzreserven vorgeschlagen, es gibt keine Vorschläge, wie die Krankenkassen nach 2023 mit geringstmöglichen Finanzreserven, aber mit der Verpflichtung zur Rückzahlung eines Darlehens, die Leistungsansprüche ihrer Versicherten erfüllen sollen. Die GKV wird damit einer expliziten Verschuldung unterworfen – und dies zusätzlich zu ihrer impliziten Verschuldung, da die GKV-Umlagefinanzierung keine Vorsorge dafür trifft, dass die Ausgaben für die gesetzlichen Leistungszusagen in den kommenden Jahrzehnten demografiebedingt steigen werden.

Die für den Arzneimittelbereich vorgesehenen Maßnahmen betreffen auch die Unternehmen der Privaten Krankenversicherung. Die PKV ist 2010 in die Regelungen des AMNOG mit der Begründung einbezogen worden, dass infolge der Einführung der Pflicht zur Versicherung das duale Krankenversicherungssystem insgesamt seinen Versicherten die Teilhabe am medizinischen Fortschritt zu bezahlbaren Preisen ermöglichen muss.

Leitgedanke des AMNOG war, dass es bei einem verordneten Arzneimittel keine gesetzliche Preisdifferenzierung nach dem Versichertenstatus geben kann. Aus sozialstaatlichen Erwägungen ergebe sich, dass Personen, die gesetzlich zu einer Absicherung im Krankheitsfall verpflichtet sind, für das gleiche Arzneimittel nicht mit höheren Kosten belastet werden dürfen als Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit den in dieser Stellungnahme vorgeschlagenen Regelungen sollen vor diesem Hintergrund Tendenzen der Entkopplung von Preisen in GKV und PKV entgegengewirkt werden. 

Auch die Regelung, dass ab dem Jahr 2024 nur noch die Pflegepersonalkosten qualifizierter Pflegekräfte, die in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen eingesetzt sind, im Pflegebudget berücksichtigt werden können, betrifft die Private Krankenversicherung. Die Regelung ist sinnvoll, wenn Doppelfinanzierungen wirksam ausgeschlossen werden.

II. Bewertung einzelner Regelungen

Zu Art. 1 Nr. 10 (§ 130a Absatz 3a Satz 1 SGB V – Verlängerung des Preismoratoriums)

Vorgeschlagene Regelungen

Das Preismoratorium wird um vier Jahre bis 31.12.2026 verlängert.

Bewertung

Die Regelung verhindert, dass einseitig bestimmte Preissteigerungen der pharmazeutischen Unternehmer zulasten der Krankenkassen und sonstigen Kostenträger abgerechnet werden dürfen. Das Preismoratorium hat sich als wirksames Regulierungsinstrument bewährt, das auch weiterhin für die Unternehmen der Privaten Krankenversicherungen und die Beihilfekostenträger erforderlich ist.

Die Arzneimittelausgaben in Deutschland sind in den letzten Jahren weiter angestiegen. Auch im Jahr 2019 stellten sie einen wesentlichen Teil der Ausgaben in der privaten Krankenversicherung dar und zeigen weiterhin die höchste Wachstumsdynamik innerhalb der ambulanten Leistungen auf. Die bei Nichtgeltung des Preismoratoriums möglichen Preiserhöhungen, beispielsweise bei Änderung einer Darreichungsform, würden zu weiteren, unverhältnismäßigen Ausgabenanstiegen führen. Diese sind für Bestandsarzneimittel, deren Entwicklungskosten bereits amortisiert wurden, nicht zu rechtfertigen.

Zu Art. 1 Nr. 11 Buchstabe a (§ 130b SGB V - Vereinbarungen über Erstattungsbeträge)

Vorgeschlagene Regelungen

Es wird geregelt, dass in einer Erstattungsbetragsvereinbarung nach § 130b Absatz 1 insbesondere auch mengenbezogene Aspekte, wie eine mengenbezogene Staffelung oder ein jährliches Gesamtvolumen, vereinbart werden müssen. Damit sollen die Krankenkassen bei einer allgemeinen Mengenausweitung oder Zulassung neuer Anwendungsgebiete finanziell entlastet werden.

Bewertung

Bei einer auf die Verhandlung folgenden Anpassung des Erstattungsbetrages muss die Information der PKV und ihre Partizipation abgesichert werden, was vorzugsweise durch eine gesetzlich vorgegebene prospektive Ermäßigung des Erstattungsbetrages für einen bestimmten Zeitraum geschehen würde. Erfolgt dies nicht, muss eine gesetzliche Grundlage für zeitnahe und umfassende Angaben zur Berechnung der korrekten Erstattungsbeträge übermittelt werden.

Zu Art. 1 Nr. 12 (§ 130e SGB V - Kombinationsabschlag)

Vorgeschlagene Regelungen

Es wird geregelt, dass die Krankenkassen vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer einen Abschlag in Höhe von 20 Prozent des Erstattungsbetrages erhalten, wenn das Arzneimittel in einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss benannten Kombination eingesetzt wird. Der Kombinationsabschlag soll zusätzlich zum Herstellerabschlag anfallen. Zudem wird geregelt, dass die Krankenkassen oder ihre Verbände mit pharmazeutischen Unternehmern Vereinbarungen zur Abwicklung des Kombinationsabschlages treffen.

Bewertung

Der neu vorgesehene Kombinationsabschlag gemäß § 130e SGB V steht in enger sachlicher Verbindung zu den jeweiligen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Es ist erforderlich, dass die Regelungen auch für die PKV gelten und die Unternehmen der Privaten Krankenversicherung und der PKV-Verband entsprechende Vereinbarungen mit den pharmazeutischen Unternehmen schließen dürfen.

Zu Art. 1 Nr. 13 (§ 130f SGB V – Solidaritätsabgabe pharmazeutischer Unternehmer)

Vorgeschlagene Regelungen

Zur kurzfristigen Stabilisierung der Finanzsituation der GKV wird geregelt, dass pharmazeutische Unternehmen, die Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen oder Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen im vorangegangenen Kalenderjahr in Deutschland in Verkehr hatten, in den Jahren 2023 und 2024 gemeinsam eine Solidaritätsabgabe in Höhe von jährlich 1 Mrd. Euro an den Gesundheitsfonds leisten.

Bewertung

Die vorgeschlagene Regelung ist verfassungsrechtlich problematisch. Sollte dennoch daran festgehalten werden, durch pauschale Abgaben pharmazeutischer Unternehmen die Beitragszahlenden zu entlasten, sollte eine rechtlich tragfähigere Regelung bevorzugt werden, beispielsweise über die Herstellerabschläge gem. § 130a SGB V. Damit würde auch eine Gleichbehandlung der Privatversicherten erreicht.

Zu Art. 1 Nr. 19 (§ 221 Abs. 1 SGB V – Bundeszuschuss)

Vorgeschlagene Regelungen

Der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds wird im Jahr 2023 um 2 Mrd. Euro erhöht.

Bewertung

An die Stelle des § 221a SGB V mit ergänzenden Bundeszuschüssen in 2022 in Höhe von 14 Mrd. Euro tritt nun eine Ergänzung des § 221, der zufolge im Jahr 2023 lediglich 2 Mrd. Euro Steuermittel zusätzlich an den Gesundheitsfonds gezahlt werden. Diese Trendumkehr wird begrüßt.

III. Weiterer Regelungsbedarf

Änderung des Arzneimittelrabattgesetzes (AMRabG)

Die Umsetzung der Regelung des § 130b SGB V führt derzeit in der Praxis zu deutlichen Schwierigkeiten. Weder dem Verband der Privaten Krankenversicherung noch den Unternehmen der privaten Krankenversicherung oder den Beihilfeträgern oder dem nach § 2 Satz 1 AMRabG gebildeten Unternehmen, der ZESAR GmbH, sind die inhaltlichen Details der nach § 130 b Abs. 1 SGB V geschlossenen Vereinbarung zu Erstattungsbeträgen im Einzelnen bekannt. Aus den dem Verband der Privaten Krankenversicherung zur Herstellung des Benehmens vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen zur Kenntnis gebrachten Informationen gehen insbesondere die nachstehenden Angaben nicht hervor:

  • Die Laufzeit von vereinbarten oder festgelegten Erstattungsbeträgen ist nicht immer bekannt.
  • Die Gültigkeit eines Erstattungsbetrages ist an bestimmte Ereignisse geknüpft (bspw. Überschreitung einer gewissen Umsatzschwelle im GKV-Bereich oder Patentablauf), die ZESAR nicht bekannt sind.
  • Ein Arzneimittel wird in ein Festbetragsarzneimittel umgewandelt und der Herstellerabschlag entfällt. ZESAR erhält hierüber keine Mitteilung.
  • Kündigungen der verhandelten Erstattungsbeträge gem. § 130b SGB V werden ZESAR nicht übermittelt oder öffentlich gemacht.

Die Abwicklung der Ansprüche nach § 130b SGB V führt aufgrund der unzureichenden Datenlage zu Konfliktpotenzial mit den Pharmaunternehmen. Um korrekt abrechnen zu können, benötigen die Kostenträger die aufgeführten Informationen. Um sicherzustellen, dass diese Daten tatsächlich vorliegen, wird der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der der Vertragspartner der Vereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V ist, verpflichtet, die notwendigen Daten an ZESAR zu übermitteln.

Auch durch die Vorverlegung der rückwirkenden Geltung des Erstattungsbetrags auf den siebten Monat nach erstmaligem Inverkehrbringen eines Arzneimittels werden Rabatte häufiger rückwirkend geltend zu machen sein. Auch dies erfordert eine gesetzliche Verbesserung der Information an die PKV, welcher Erstattungsbetrag in welchem Zeitraum gültig ist.

Regelungsvorschlag

§ 1a des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel wird wie folgt geändert:

  1. Der bisherige Wortlaut wird Absatz 1.
  2. Folgende neue Absätze werden eingefügt:

       „(2) Zur Durchführung hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen dem nach § 2 Satz 1 gebildeten Unternehmen die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen. Dies sind insbesondere:

  • die Pharmazentralnummer des Produktes und der Klarname,
  • die ID des abgebenden Pharmaunternehmens,
  • den vormaligen Herstellerabgabepreis (ApU),
  • den Erstattungsbetrag (EB),
  • den Differenzbetrag zwischen vormaligem ApU und EB,
  • den Zeitraum für die Berechnung des Nacherstattungsbetrages mit Start- und Enddatum,
  • Rabattansprüche nach § 130a SGB V auf Basis des vormaligen ApU,
  • Rabattansprüche nach § 130a SGB V auf Basis des EB und
  • Ablösung der Rabattansprüche nach § 130a SGB V.

       (3) Das nach § 2 Satz 1 gebildete Unternehmen kann die in Absatz 2 genannten Daten an die in § 1 Satz 1 aufgeführten privaten Krankenversicherungen und Kostenträger offenbaren, soweit sie zum Vollzug des Gesetzes erforderlich sind; im Übrigen sind sie vertraulich zu behandeln.“

Anbindung der Privatversicherten an die Telematikinfrastruktur (§ 290 SGB V)

Für die gesetzlichen Krankenversicherungen besteht seit dem Jahr 2005 ein Verfahren, nach welchem die Krankenkassen auf Basis der Rentenversicherungsnummern Krankenversichertennummern (KVNR) generieren und anschließend an die Versicherten vergeben. Da zwischenzeitlich auch Unternehmen der privaten Krankenversicherung Krankenversichertennummern i. S. d. § 290 SGB V (i. V. m. § 362 SGB V) unter Nutzung (bzw. Abruf) der Rentenversicherungsnummern generieren und vergeben können, werden die Unternehmen der privaten Krankenversicherung mit dem Entwurf des 8. SGB IV-Änderungsgesetzes für das hierfür erforderliche Sozialdatenabrufverfahren bei der Rentenversicherung legitimiert.

Für die Durchführung des Clearing-Verfahrens, welches zur Erkennung und Vermeidung von Doppelvergaben im Bereich der GKV zwingend vorgesehen ist, besteht allerdings aus Sicht des PKV-Verbandes weiterer, zwingender Anpassungsbedarf, da ansonsten ein Anschluss der Privatversicherten an die Telematikinfrastruktur ausgeschlossen ist. So ist die Eineindeutigkeit der lebenslang zugeteilten KVNR sicherzustellen bzw. eine Doppelvergabe auszuschließen. Hierzu ist es erforderlich, dass das Clearing-Verfahren auch im Verhältnis zu den weiteren Nutzungsberechtigten, u.a. PKV-Unternehmen, angewendet wird. Hierfür bedarf es wiederum gesetzlicher Datenverarbeitungsbefugnisse, welche sämtliche Nutzungsberechtigten der KVNR einbeziehen und auch den systemübergreifenden Austausch der für die Durchführung des Clearing-Verfahrens erforderlichen Versichertendaten sicherstellt.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) fordert für den systemübergreifenden Austausch für die GKV eine ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis, um die Übermittlung der erforderlichen Sozialdaten von der GKV an die sonstigen Nutzungsberechtigten der KVNR im Clearing-Verfahren zu legitimieren. Diese sollte in § 290 Abs. 3 SGB V, der das Clearing-Verfahren betrifft, ergänzt werden. Seitens BMG und BMJ wurde die kurzfristige Schaffung einer solchen gesetzliche Regelung seit längerem avisiert, aber bislang noch nicht umgesetzt, so dass bis auf Weiteres keine KVNR-Vergabe als Voraussetzung bspw. des Angebotes von elektronischen Patientenakten für Privatversicherte möglich ist.

Spiegelbildlich zur GKV ist die PKV zum Clearing der KVNR verpflichtet, um die Eineindeutigkeit der KVNR bei deren systemübergreifender Verwendung sicherzustellen. Die PKV unterliegt bei der Vergabe der KVNR zwar gemäß § 362 Abs. 2 SGB V der Verpflichtung zur Einhaltung der Vorgaben der Richtlinie gemäß § 290 Abs. 2 S. 1 SGB V, so dass eine Verpflichtung zur Teilnahme am Clearing insgesamt für die PKV bereits angelegt ist. Allerdings sollte (klarstellend) bspw. in § 362 Abs. 2 SGB V geregelt werden, dass die PKV für das dauerhafte Clearing-Verfahren zum Abgleich des tagesaktuellen Standes des KVNR-Verzeichnisses zweifelsfrei datenschutzrechtlich legitimiert ist, die erforderlichen Datenverarbeitungen bzgl. Privatversichertendaten vorzunehmen.