Stellungnahme 27. August 2024

Die Einführung der pauschalen Beihilfe hat aus Sicht des PKV-Verbands vor allem ein ideologisches Motiv: die Realisierung der Bürgerversicherung.

Zusammenfassung

Die Einführung der pauschalen Beihilfe

  • ist laut Friedrich-Ebert-Stiftung ein Weg zur Bürgerversicherung, dass sich mehr Beamte in der GKV versichern. 
  • lässt sich durch keinen sozialen Absicherungsbedarf begründen: Durch die Öffnungsak-tionen haben alle Beamtinnen und Beamten sowie ihre Angehörigen Anspruch auf Aufnahme in die PKV – unabhängig von Vorerkrankungen oder Behinderungen.
  • ist teuer: Die Mehrausgaben für den Landeshaushalt überwiegen erheblich und die Kostenrisiken nehmen zu.
  • ist mit hohen Unsicherheiten verbunden: Das strukturelle Defizit der GKV im demografischen Wandel wird deren Leistungsversprechen unter Druck setzen. Leistungseinschränken muss der Dienstherr kompensieren.
  • ist verfassungsrechtlich bedenklich, denn sie beschneidet die Beamten in ihrer Wahlfreiheit. 

I. Allgemeine Anmerkungen

Mit dem Antrag „Private Krankenversicherung als Attraktivitätspfeiler des Beamtenstatus erhalten – Keine Mehrbelastungen des Landeshaushalts und keine Einheitsversicherung durch Einführung einer pauschalen Beihilfe in Nordrhein-Westfalen“ spricht sich die FDP-Fraktion gegen die Einführung einer pauschalen Beihilfe für Beamtinnen und Beamte aus. Für die Einführung einer pauschalen Beihilfe bestehe kein Handlungsbedarf; sie berge stattdessen sozialpolitische, rechtliche und finanzielle Risiken und gefährde das duale Krankenversicherungssystem aus Ge-setzlicher (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV).

Beamte haben im Krankheitsfall einen Anspruch auf Beihilfe. Der Dienstherr übernimmt dann mindestens 50 Prozent der Behandlungskosten. Die Restkosten werden über einen Beihilfetarif der Privaten Krankenversicherung abgesichert. Für diese klassische Kombination aus individueller Beihilfe und PKV haben sich 93 Prozent der Beamtinnen und Beamten in Deutschland entschieden. Aufgrund der Öffnungsaktionen der Privaten Krankenversicherung haben alle Beamtinnen und Beamten sowie ihre Angehörigen – auch bei Vorerkrankungen oder Behinderungen – eine Aufnahmegarantie in der Privaten Krankenversicherung ohne Leistungsausschlüsse und mit einem maximalen Risikozuschlag von 30 Prozent.

II. Bewertung

1. Schritt in Richtung „Einheitsversicherung“ – Schwächung des dualen Krankenversicherungssystems

Initiator für die Einführung einer pauschalen Beihilfe war das Land Hamburg, das seit 1. August 2018 allen Beamtinnen und Beamten, die sich für die GKV entscheiden, einen Arbeitgeberzu-schuss in Form einer pauschalen Beihilfe zahlt. Der Zuschuss ist begrenzt auf den halben Beitrag zur GKV. Bedingung für den Arbeitgeberzuschuss ist in jedem Fall, dass die Beamten ihren Anspruch auf die individuelle Beihilfe unwiderruflich aufgeben; sie können nicht mehr zur individuellen Beihilfe zurückkehren.

Das Angebot des Landes Hamburg hatte einen politischen Hintergrund: Die Beamten unterliegen als eine der wenigen Personengruppen nicht der Versicherungspflicht in der GKV. Sie haben die Möglichkeit, sich in der Privaten Krankversicherung abzusichern, und bilden hier die größte Ver-sichertengruppe. Mit dem Arbeitgeberzuschuss sollen die Beamten aber zur Absicherung in der GKV motiviert werden. Laut Friedrich-Ebert-Stiftung ist ein Weg zur Bürgerversicherung, dass sich mehr Beamte in der GKV versichern. Der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete und heutige Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach sieht in dem sogenannten „Hamburger Modell“ einen „großartigen Schritt in Richtung Bürgerversicherung“. Auch Abgeordnete in den Bundesländern folgen der Einschätzung: „Mit der Einführung einer pauschalen Beihilfe nähern wir uns der Idee einer Bürgerversicherung, die wir, die SPD, schon seit Langem fordern“ oder „Unser eigentliches Ziel als SPD ist eine grundsätzliche Reform unseres Krankenversicherungssystems, bei dem Menschen mit allen Einkommensarten in der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied sind (die sogenannte Bürgerversicherung). Eine solche Reform war in den letzten Legislaturperioden (…) nicht zu vereinbaren. So kam es überhaupt erst zu der Idee, die GKV als Zwischenschritt für Beamt/innen zu öffnen.“

Dabei ist belegt, dass die angestrebte Einheitsversicherung die medizinische Versorgung durch den Wegfall von Mitteln gefährdet – auf dem Land sogar noch stärker als in den Städten. Bundesweit beträgt der PKV-Mehrumsatz über 12 Milliarden Euro pro Jahr.  Auf Nordrhein-Westfalen entfallen davon 2,3 Milliarden Euro. Dieses Geld kommt vor allem den Ärzten auf dem Land zu Gute. So erzielt eine Arztpraxis in der wirtschaftsstarken Region Düsseldorf einen realen Mehrumsatz von durchschnittlich 49.384 Euro im Jahr. In der strukturschwachen Region Duisburg-Essen sind es 54.579 Euro und im ländlichen Hochsauerlandkreis sogar 85.773 Euro.  Die Einführung der pauschalen Beihilfe folgt der politischen Zielsetzung, diese Vorteile der Privaten Krankenversicherung für die Versorgung aller Versicherten zu beseitigen, indem alle Bürgerin-nen und Bürger Leistungen in der GKV erhalten und der PKV-Mehrumsatz entfällt.

2. Kein Mehr an Wahlfreiheit: Beamte haben bereits Wahlfreiheit und eine Garantie auf Aufnahme in die PKV unabhängig vom Gesundheitszustand

Beamte gehören heute zu den Wenigen, die die Wahlfreiheit zwischen GKV und PKV haben. Diese Wahlfreiheit wird mit der pauschalen Beihilfe beschränkt, da die Beamten ihre einmal getroffene Wahl – anders als heute – nicht mehr revidieren können: Bedingung für den Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung ist, dass der Anspruch auf die individuelle Beihilfe unwiderruflich aufgegeben wird. In der heutigen Praxis haben Beamte zum Beispiel die Möglichkeit, sich nach zehn oder mehr Jahren in der GKV doch noch für die Beihilfe mit ergänzender PKV zu entscheiden. Würden es die ursprünglichen Initiatoren des Hamburger Modells mit dem Argument der „Wahlfreiheit“ ernst meinen, müssten sie sich für eine Senkung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte einsetzen, die heute für knapp 90 Prozent der Arbeitnehmer eine Pflichtmitgliedschaft in der GKV zur Folge hat. Das zeigt, dass es im Hamburger Modell nur um eine Einbahnstraße zur GKV geht und nicht um echte Wahlfreiheiten.

Als Begründung für die pauschale Beihilfe werden häufig die Beamten mit Kindern und die Beam-ten mit Behinderungen genannt. Auch mit Blick auf diese Personengruppen gibt es keinen Handlungsbedarf: Im Rahmen der Öffnungsaktion der PKV erhält heute jeder Beamte unabhängig von seinen Vorerkrankungen und seinem Gesundheitszustand eine attraktive und bezahlbare Zugangsmöglichkeit zur PKV. Seit dem 1. Januar 2019 beziehen PKV-Unternehmen darüber hinaus auch die Beamten auf Widerruf in diese Öffnungsaktion ein. Es gibt keine Leistungsausschlüsse und der Risikozuschlag ist auf maximal 30 Prozent des Zahlbeitrags begrenzt. Zuletzt wurde zudem eine befristete Sonderöffnungsaktion für alle freiwillig GKV-Versicherten Beamten und deren Angehörige durchgeführt. Und schließlich gilt: Auch Kinder von Beamten erhalten Beihilfe. Außerdem stellen Kinderzuschläge einen erheblichen Teil der Besoldung dar.

3. Belastung für den Landeshaushalt und die Steuerzahler

Die Einführung des Hamburger Modells ist mit hohen, langfristigen Belastungen für das Land verbunden: „Erst ab dem Eintritt in den Ruhestand nach durchschnittlich 40 Jahren (ca. 2060) wird sich diese Steigerung (…) reduzieren (…). Geht man von durchschnittlich 40 Jahren Dienstzeit und 16 Jahren Versorgungsbezug aus, so überwiegen auch bei den neu hinzukommenden Beamtinnen und Beamten, die durch das Hamburger Modell profitieren, insgesamt die Mehrausgaben für den Landeshaushalt erheblich.“ Die hohen Summen, die das Land NRW und seine Kommunen ohne Not in dieses Vorhaben investieren würde, würden für andere Ziele des schwarz/grünen Koalitionsvertrages – Investitionen in Bildung, innere Sicherheit, Klimaschutz – nicht mehr zur Verfügung stehen.

Hinzu kommen weitere, nicht kalkulierbare Kosten: „In Pflegefällen und in Fallkonstellationen, in denen eine ergänzende Beihilfe notwendig ist, um dem Mindestmaß an verfassungsrechtlicher Fürsorgepflicht gerecht zu werden, wird der Dienstherr auch weiterhin – zusätzlich zu den finan-ziellen Aufwendungen für das Hamburger Modell – Beihilfeleistungen erbringen müssen.“

Die pauschale Beihilfe ist also auf viele Jahrzehnte hinaus teurer als das geltende Recht, weil vom ersten Tag an für den Beamten der volle GKV-Arbeitgeberzuschuss gezahlt werden muss, die klassische Beihilfe hingegen nur im konkreten Krankheitsfall. Die Mehrausgaben für den Landeshaushalt überwiegen selbst bei Betrachtung des gesamten Beamtenlebens. Gerade aber in den aktiven Jahren der Beamtinnen und Beamten kostet die Kombination aus Beihilfe und PKV deut-lich weniger als ein GKV-Arbeitgeberzuschuss: Für einen Durchschnittsverdiener mit rund 45.000 Euro Jahresbrutto werden in der GKV rund 616 Euro Krankenversicherungsbeitrag monatlich fällig (je 308 Euro für den Dienstherrn und für den Beamten). Bei Einkünften an der Beitragsbemessungsgrenze (62.100 Euro Jahresbrutto) sind es 844 Euro pro Monat (422 Euro für den Dienstherrn und 422 für den Beamten). In den Beamtentarifen der PKV beträgt der Durchschnittsbeitrag derzeit rund 230 Euro pro Monat.

Beim Vergleich der Beiträge ist freilich auch die Familiensituation zu berücksichtigen: GKV-Versicherte zahlen für Kinder keinen Beitrag; privatversicherte Beamte erhalten für Kinder eine Beihilfe von derzeit 80 Prozent und müssen die restlichen 20 Prozent über eine PKV abdecken – können dies aber wiederum von der Steuer absetzen.

Mit Blick auf die prognostizierte Belastung des Landeshaushalts darf überdies nicht vernachlässigt werden, dass die GKV unter einem erheblichen Finanzdruck steht. Selbst Vertreter der GKV warnen vor einem drohenden „Beitragstsunamie“. Angesichts des für 2024 prognostizierten Milliardendefizits in der Gesetzlichen Krankenversicherung stimmte Bundesgesundheitsminister Lauterbach die GKV-Versicherten erst jüngst auf weiter steigende Beiträge ein: „Der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung wird daher im nächsten Jahr erneut leicht steigen müssen.“ Diese Entwicklung würde dann unmittelbar zu höheren Lasten des Landes NRW und seiner Kommunen führen. Zugleich wird das strukturelle Defizit der GKV im demografischen Wandel deren Leistungsversprechen unter Druck setzen. Leistungseinschränkungen muss das Land NRW den Beamtinnen und Beamten kompensieren.

4. Verfassungsrechtliche Bedenken

Die pauschale Beihilfe stößt auf gravierende verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf Art. 33 Abs. 5 GG, was mehrfach gutachterlich bestätigt wurde. Sie würde insbesondere gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoßen: Der Dienstherr darf seine verfassungsmäßig vorgegebene Fürsorgepflicht nicht gänzlich auf ein anderes System delegieren, in-dem er die Beihilfe durch den Arbeitgeberzuschuss unwiderruflich ablöst und dem Beamten damit seine Vorsorgefreiheit nimmt. Für verfassungsrechtlich fragwürdig halten die Gutachter den Zwang zu einer unwiderruflichen Entscheidung für die GKV, die der Beamte nicht mehr rückgängig machen kann. Dies verstoße gegen die Vorsorgefreiheit. Diese Bewertung teilte auch Lutz Lienenkämper (CDU), ehemaliger nordrhein-westfälischer Finanzminister: „Es bestehen zudem erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung einer pauschalen Beihilfe. Das Land hätte keinen Einfluss mehr auf die konkrete Ausgestaltung der Leistungen im Krankheitsfall.“

Neben dem Risiko entsprechender Verfassungsbeschwerden oder Verfahren der Normenkontrolle besteht damit jederzeit die Gefahr, dass sich einzelne Beamte, die sich am Anfang ihrer Laufbahn für die GKV mit Arbeitgeberzuschuss entschieden haben, im Laufe ihres Erwerbslebens wieder in das System der Beihilfe einklagen können. Für den Dienstherrn hätte das wiederum zur Folge, dass er in vielen Fällen zunächst die höheren Aufwendungen für den GKV-Arbeitgeberzuschuss zu finanzieren hätte, später aber dennoch in die Pflicht genommen werden kann, die Kosten der Beihilfe zu tragen.

5. Entscheidung zulasten der Nachhaltigkeit

Der schwarz/grüne Koalitionsvertrag verschreibt sich im Kapitel zu „Finanzen und Haushalt“ der Generationenverantwortung und hält fest: „Nachhaltigkeit (…) ist ein Leitmotiv der Haushalts- und Finanzpolitik des Landes.“ Die pauschale Beihilfe muss unter diesem Blickwinkel kritisch betrachtet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem „Klimaschutz-Urteil“ vom 29. April 2021 die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit für die nachfolgenden Generationen anerkannt. Diese Bewertung kann auch als Leitlinie für andere gesellschaftliche Bereiche, zum Beispiel die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, herangezogen werden. Die Alterung der Bevölkerung, der medizinisch-technische Fortschritt und teure Reformen werden die Finanzen der GKV in den nächsten Jahren weiter belasten und hohen Druck auf die Beitragssätze ausüben. Ob steigender Beitragssatz oder Steuerzuschüsse – die Kosten der Älteren gehen dann voll zu Lasten der künftigen Beitragszahler.

  1. Der demografische Wandel stellt das umlagefinanzierte System der GKV vor große Probleme. In den Sozialversicherungen verteilen sich immer höhere Lasten auf immer weniger Schultern. Ver-sichern sich künftig mehr Menschen in der GKV, wird sich das finanzielle Defizit im demografischen Wandel weiter erhöhen, die Beitragssätze – und damit Lohnzusatzkosten – werden weiter steigen – zum Schaden des Arbeitsmarktes und zu Lasten der jüngeren Generationen