Stellungnahme 13. Oktober 2023

Die Koalitionsfraktionen aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Niedersachsen wollen mit dem Gesetzentwurf eine pauschale Beihilfe für alle Beamtinnen und Beamten in dem Bundesland einführen.

  • Die Einführung der pauschalen Beihilfe hat das politische Ziel, dass sich künftig mehr Beamte in der GKV versichern. Die Folgen für das duale Krankenversicherungssystem und die daraus resultierenden Vorteile vor allem für die Finanzierung des Gesundheitssystems und die medizinische Versorgung bleiben unberücksichtigt.
  • Ein sozialpolitischer Handlungsbedarf für die Einführung des Hamburger Modell besteht nicht: Aufgrund der Öffnungsaktionen haben alle Beamten und deren Angehörige die Möglichkeit auf Aufnahme in eine beihilfekonforme PKV – unabhängig von Vorerkrankungen oder Behinderungen.
  • Der Landeshaushalt wird durch das Vorhaben mit erheblichen Mehrausgaben belastet: Zu den Ausgaben für die Bestandsbeamten mit einer freiwilligen GKV kommen jährlich steigende Ausgaben für diejenigen Neubeamten, die sich für die Pauschale Beihilfe entscheiden werden. Diese zusätzlichen Ausgaben werden die angespannte Haushaltslage in den kommenden Jahren deutlich verschärfen.
  • Die GKV weist bereits heute ein Milliardendefizit auf; für 2024 hat das Bundesgesundheitsministerium bereits erneut steigende Beitragssätze angekündigt. Die Finanzlage der GKV wird sich durch den demografischen Wandel weiter verschärfen. Diese Entwicklung wird die Haushalte zusätzlich belasten.
  • Sollte es in der GKV künftig zu Leistungseinschränkungen kommen, ist neben der Pauschalen Beihilfe mit zusätzlichen Beihilfeverpflichtungen für den Dienstherrn zu rechnen.  
  • Die Einführung der pauschalen Beihilfe ist verfassungsrechtlich bedenklich.
  • Den Beamten wird die Wahlfreiheit genommen. Die einmal zu Beginn der Beamtenlaufbahn getroffene Entscheidung ist nicht mehr revidierbar.

I. Allgemeine Einleitung

Beamte haben im Krankheitsfall einen Anspruch auf Beihilfe. Der Dienstherr übernimmt dann mindestens 50 Prozent der Behandlungskosten. Die Restkosten werden über einen Beihilfetarif der Privaten Krankenversicherung (PKV) abgesichert. Für diese klassische Kombination aus Beihilfe und PKV haben sich 93 Prozent der Beamtinnen und Beamten in Deutschland entschieden. Die Kombination von Beihilfe und beihilfekonformer Privater Krankenversicherung steht auch allen Beamten zur Verfügung: Aufgrund der Öffnungsaktionen der Privaten Krankenversicherung haben sie und ihre Angehörigen – auch bei Vorerkrankungen oder Behinderungen – eine Aufnahmegarantie in der Privaten Krankenversicherung ohne Leistungsausschlüsse und mit einem maximalen Risikozuschlag von 30 Prozent.

Die Koalitionsfraktionen beabsichtigen dessen ungeachtet mit der Neueinführung eines neuen § 80a Niedersächsisches Beamtengesetz mit dem Gesetzentwurf zur Einführung einer pauschalen Beihilfe in Niedersachsen allen Beamtinnen und Beamten, die sich für die GKV entscheiden, einen Arbeitgeberzuschuss in Form einer pauschalen Beihilfe zu zahlen. Die Entscheidung für die pauschale Beihilfe soll auch in Kombination mit einer Privaten Krankenversicherung getroffen werden können. Die Höhe der pauschalen Beihilfe bemisst sich bei freiwillig gesetzlich Versicherten nach der Hälfte des nachgewiesenen Krankenversicherungsbeitrags. Bei privat Versicherten bemisst sich die Höhe der pauschalen Beihilfe nach höchstens der Hälfte des Beitrags im Basistarif. Bedingung für den Arbeitgeberzuschuss ist in jedem Fall, dass die Beamten ihren Anspruch auf die individuelle Beihilfe unwiderruflich aufgeben; sie können nicht mehr zur individuellen Beihilfe zurückkehren.

II. Bewertung

​​​1. Schritt in Richtung „Einheitsversicherung“ – Schwächung des dualen Systems

Die vorliegende Initiative folgt dem Hamburger Gesetz über die Einführung einer pauschalen Beihilfe, das am 1. August 2018 in Kraft trat. Beamte unterliegen als eine der wenigen Personengruppen nicht der Versicherungspflicht in der GKV. Sie haben die Möglichkeit, sich in der Privaten Krankversicherung abzusichern und bilden hier die größte Versichertengruppe. Mit dem Arbeitgeberzuschuss sollen die Beamten zur Absicherung in der GKV motiviert werden, um der Privaten Krankenversicherung Versicherte zu entziehen. So sah der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete und heutige Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach in dem sog. „Hamburger Modell“ einen „großartigen Schritt in Richtung Bürgerversicherung“.[1]

Die angestrebte Einheitsversicherung würde die medizinische Versorgung durch den Wegfall von Mitteln gefährden – auf dem Land sogar noch stärker als in den Städten. Bundesweit beträgt der PKV-Mehrumsatz knapp 12 Mrd. € pro Jahr, auf Niedersachsen und Bremen entfallen davon 1,02 Mrd. €. Das liegt daran, dass Privatversicherte in ländlichen Regionen meist älter sind und damit häufiger behandelt werden. Zudem liegen in größeren Städten die Mieten, Gehälter und anderen ärztlichen Kosten höher. Berücksichtigt man diese Faktoren, erzielt eine Arztpraxis in der Region Hannover einen realen Mehrumsatz von durchschnittlich 44.351 Euro im Jahr. Im Landkreis Heide sind es 60.381 Euro und im ländlichen Kreis Lüchow-Dannenberg sogar 84.725 Euro pro Jahr.[2]

2. Belastungen für den Landeshaushalt Niedersachsen und die Steuerzahler

Das Land Niedersachsen kalkuliert mit Mehrkosten für Land und Kommunen in Höhe von 16,5 Mio. Euro – allein für die Bestandsbeamten; Neubeamte, die sich für die GKV entscheiden, sind hier noch nicht berücksichtigt. In den Folgejahren werden weitere Mehrkosten angenommen, die dem Entwurf zufolge nicht beziffert werden können. Diese Mittel werden für andere Aufgaben und Leistungen nicht zur Verfügung stehen, die der Koalitionsvertrag vorsieht: Investitionen in Klimaneutralität oder die qualitative Stärkung der Schulen und Kitas. Dem steht gegenüber, dass sich die Regierungspartner in ihrem gemeinsamen Koalitionsvertrag auf eine solide und nachhaltige Haushaltspolitik geeinigt haben, die alle finanzwirksamen Maßnahmen unter Haushaltsvorbehalt“ stellt.[3]

Dass die finanziellen Mehrbelastungen durch die pauschale Beihilfe für die Länder gravierend sind, stellte auch die Landesregierung Baden-Württemberg fest:

„Erst ab dem Eintritt in den Ruhestand nach durchschnittlich 40 Jahren (ca. 2060) wird sich diese Steigerung um eine jährliche Ersparnis von geschätzt rund 2,7 Mio. Euro pro Jahr reduzieren (…). Geht man von durchschnittlich 40 Jahren Dienstzeit und 16 Jahren Versorgungsbezug aus, so überwiegen auch bei den neu hinzukommenden Beamtinnen und Beamten, die durch das Hamburger Modell profitieren, insgesamt die Mehrausgaben für den Landeshaushalt erheblich.“[4]

Und hinzu kommen weitere Kostenrisiken:

„Dabei kann jedoch der Dienstherr allein durch das Hamburger Modell seiner verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht nicht gerecht werden. In Pflegefällen und in Fallkonstellationen, in denen eine ergänzende Beihilfe notwendig ist, um dem Mindestmaß an verfassungsrechtlicher Fürsorgepflicht gerecht zu werden, wird der Dienstherr auch weiterhin – zusätzlich zu den finanziellen Aufwendungen für das Hamburger Modell – Beihilfeleistungen erbringen müssen.“

Die pauschale Beihilfe ist also auf viele Jahrzehnte hinaus erheblich teurer als das geltende Recht, weil vom ersten Tag an für den Beamten der volle GKV-Arbeitgeberzuschuss gezahlt werden muss. Die klassische Beihilfe wird hingegen nur im konkreten Krankheitsfall gezahlt – was in den aktiven Jahren der Beamten deutlich weniger kostet als ein GKV-Arbeitgeberbeitrag.

Für einen Durchschnittsverdiener (43.142 € Jahresbrutto) werden im Jahr 2023 rund 582 € monatlicher GKV-Beitrag fällig, das sind je 291 € für den Dienstherrn und für den Beamten. Bei Einkünften an der Beitragsbemessungsgrenze (58.850 € Jahresbrutto) sind in der GKV 808 € pro Monat fällig, also je rund 404 € für den Dienstherrn und für den Beamten. Zum Vergleich: In den Beamtentarifen der PKV beträgt der Durchschnittsbeitrag derzeit rund 211 € pro Monat.[5]

Beim Vergleich der Beiträge ist freilich auch die Familiensituation zu berücksichtigen: GKV-Versicherte zahlen für Kinder keinen Beitrag; privatversicherte Beamte erhalten für Kinder eine Beihilfe von 80 Prozent und müssen die restlichen 20 Prozent über eine PKV abdecken – können dies aber wiederum steuerlich geltend machen.

Mit Blick auf die prognostizierte Belastung des Landeshaushalts darf überdies nicht vernachlässigt werden, dass die GKV unter einem erheblichen Finanzdruck steht. Auch wenn es aufgrund inflationsbedingter Lohnsteigerungen im kommenden Jahr nur zu einer Anpassung bei den Zusatzbeiträgen kommen könnte, ist mittel- bis langfristig mit weiter deutlich steigenden Beiträgen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu rechnen. Diese Entwicklung führt dann – folgt man dem Gesetzentwurf – unmittelbar zu höheren Lasten des Landes und der Kommunen. Das strukturelle Defizit der GKV wird sich – ohne Grund – negativ im Haushalt des Landes Niedersachsen widerspiegeln.

3. Verfassungsrechtliche Bedenken

Die pauschale Beihilfe stößt nicht zuletzt auf gravierende verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf Art. 33 Abs. 5 GG. Das bestätigt auch ein rechtliches Gutachten zur Umstellung des Beihilfesystems.[6] Die Regelung würde insofern gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoßen, als dass der Dienstherr seine verfassungsmäßig vorgegebene Fürsorgepflicht nicht vollständig auf ein anderes System delegieren darf, indem er die Beihilfe durch den Arbeitgeberzuschuss unwiderruflich ablöst und dem Beamten damit seine Vorsorgefreiheit nimmt. Für verfassungsrechtlich fragwürdig halten die Gutachter auch den Zwang zu einer unwiderruflichen Entscheidung für die GKV, die der Beamte nicht mehr rückgängig machen kann. Dies verstoße gegen die Vorsorgefreiheit.

Neben dem Risiko entsprechender Verfassungsbeschwerden oder Verfahren der Normenkontrolle besteht damit jederzeit die Gefahr, dass sich einzelne Beamte, die sich am Anfang ihrer Laufbahn für die GKV mit Arbeitgeberzuschuss entschieden haben, im Laufe ihres Erwerbslebens wieder in das System der Beihilfe einklagen können. Für den Dienstherrn hätte das wiederum zur Folge, dass er in vielen Fällen zunächst die höheren Aufwendungen für den GKV-Arbeitgeberzuschuss zu finanzieren hätte, später aber dennoch in die Pflicht genommen werden kann, die Kosten der Beihilfe zu tragen.

​​​​​​​4. Kein Mehr an Wahlfreiheit: Beamte haben bereits Wahlfreiheit und eine Garantie auf Aufnahme in die PKV unabhängig vom Gesundheitszustand

Beamte gehören heute zu den Wenigen, die die Wahlfreiheit zwischen GKV und PKV haben. Diese Wahlfreiheit wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beschränkt, da die Beamten ihre einmal getroffene Wahl – anders als heute – nicht mehr revidieren können: Bedingung für den Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung ist, dass der Anspruch auf die individuelle Beihilfe unwiderruflich aufgegeben wird. In der heutigen Praxis haben Beamte zum Beispiel die Möglichkeit, sich nach vielen Jahren in der GKV doch noch für die Beihilfe mit ergänzender PKV zu entscheiden. Würden es die Initiatoren des Hamburger Modells mit ihrem Argument der „Wahlfreiheit“ ernst meinen, müssten sie sich für eine Senkung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte einsetzen, die heute für knapp 90 Prozent der Arbeitnehmer eine Pflichtmitgliedschaft in der GKV zur Folge hat.

Im Übrigen bewirkt auch die mögliche Kombination der pauschalen Beihilfe mit einer Privaten Krankenversicherung keine Gleichbehandlung: Sie vernachlässigt die Besonderheiten des PKV-Systems und nimmt Bezug auf den systemfremden Basistarif. Echte Wahlfreiheit bestünde nur, wenn der tatsächliche Beitrag zur privaten Krankenvollversicherung für den Beamten und die Angehörigen bei der Bemessung maßgeblich werden. Stattdessen wird der Zuschuss zu Beiträgen für die Angehörigen des Beamten nur gewährt, soweit der halbe Beitrag zum Basistarif nicht ausgeschöpft ist. Beamte mit mehreren Angehörigen, die sich zu 100 % privat versichern, erhalten daher in der Regel einen zu geringen Zuschuss. Sie werden benachteiligt. Zur Vermeidung dieser Ungleichbehandlung wäre ein Zuschuss zu allen Beiträgen der bei der Beihilfe berücksichtigungsfähigen Angehörigen erforderlich, unabhängig von dem systemfremden Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung.

Als Begründung für die pauschale Beihilfe werden häufig die Beamten mit Kindern und die Beamten mit Behinderungen genannt. Auch mit Blick auf diese Personengruppen gibt es keinen Handlungsbedarf: Im Rahmen der Öffnungsaktion der PKV erhält heute jeder Beamte unabhängig von seinen Vorerkrankungen und seinem Gesundheitszustand eine attraktive und bezahlbare Zugangsmöglichkeit zur PKV. Seit dem 1. Januar 2019 beziehen PKV-Unternehmen darüber hinaus auch die Beamten auf Widerruf in diese Öffnungsaktion ein. Es gibt keine Leistungsausschlüsse und der Risikozuschlag ist auf maximal 30 % des Zahlbeitrags begrenzt. Zuletzt wurde zudem eine befristete Sonderöffnungsaktion für alle freiwillig GKV-Versicherten Beamten und deren Angehörige durchgeführt. Und schließlich gilt: Auch Kinder von Beamten erhalten Beihilfe. Außerdem stellen Kinderzuschläge einen erheblichen Teil der Besoldung dar.​​​​​​​

5. Entscheidung zulasten der Nachhaltigkeit

Der Gesetzentwurf muss auch unter dem Blickwinkel der Generationengerechtigkeit kritisch betrachtet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem „Klimaschutz-Urteil“ vom 24. März 2021 die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit für die nachfolgenden Generationen anerkannt. Diese Bewertung kann auch als Leitlinie für andere gesellschaftliche Bereiche, z. B. die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, herangezogen werden. Die Alterung der Bevölkerung, der medizinisch-technische Fortschritt und teure Reformen werden die Finanzen der GKV in den nächsten Jahren weiter belasten und hohen Druck auf die Beitragssätze ausüben. Ob steigender Beitragssatz, Steuerzuschüsse oder Leistungskürzungen – die Kosten der Älteren gehen dann voll zu Lasten der künftigen Beitragszahler.

Die PKV hingegen sorgt mit ihren Alterungsrückstellungen systematisch dafür vor, dass mit zunehmendem Lebensalter die Krankheitskosten stark steigen. Es werden keine Lasten auf die Zukunft verschoben. Gebot der Stunde wäre es, diesen nachhaltigen Finanzierungsweg der Krankenversicherung zu stärken, statt die unterschiedlichen Beitragsbelastungen der Generationen in der GKV weiter zu verschärfen und die Beamtenversorgung im Krankheitsfall auf die GKV zu verlagern.


[1] Vgl. Meldung auf Twitter (heute: X), 09.08.2017.

[2] Vgl. Wissenschaftliches Institut der PKV: Mehrumsatz und Leistungsausgaben der Privatversicherten – Jahresbericht 2023; PKV-Regionalatlas Niedersachsen und Bremen, September 2022.

[3] Vgl. Koalitionsvertrag 2022-2027 von SPD und Bündnis 90/Die Grünen: „Sicher in Zeiten des Wandels“.

[4] Landtagsdrucksache 16/9980.

[5] PKV-Verband 2023.

[6] Vgl. Dr. Ulrich Karpenstein et al.: Rechtliche Stellungnahme ​​​​​​​zu den verfassungsrechtlichen Problemen der Umstellung auf ein System der pauschalen Beihilfe, Mai 2022. Auch: Prof. Dr. Josef Lindner: Stellungnahme zur Hamburgischen Initiative aus verfassungsrechtlicher Perspektive von, September 2017. 

III. Fazit

Aus oben genannten Gründen sollte von einer Umsetzung des vorgeschlagenen Gesetzentwurfs abgesehen werden.