Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt vertritt die berufspolitischen Interessen von einer halben Millionen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Die Innovationsfreundlichkeit und die Therapiefreiheit in der PKV sind für ihn von hohem Wert.

Herr Dr. Reinhardt, was erwarten die Ärztinnen und Ärzte von einer neuen Bundesregierung?
Ich erwarte, dass eine neue Bundesregierung dem Thema gesundheitliche Versorgung oder Versorgung im Krankheitsfall entsprechende Aufmerksamkeit widmet. In einer älter werdenden Gesellschaft sollte sie sich gemeinsam mit den im Gesundheitswesen Tätigen darüber Gedanken machen, wie man ein Gesundheitssystem angesichts dieser Herausforderung zukunftsfähig macht.
An welchen Stellschrauben sollte gedreht werden?
Wir haben eine demografische Entwicklung der Bevölkerung und wir haben gleichzeitig auch eine demografische Entwicklung der im Gesundheitswesen Arbeitenden. Das heißt, wir müssen mit immer weniger Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, immer mehr Menschen, die das Gesundheitswesen in Anspruch nehmen müssen, versorgen. Der Schlüssel dazu liegt im Wesentlichen darin, dass wir den Zugang zum Gesundheitswesen und den Weg der Patientinnen und Patienten besser koordinieren müssen. Dabei müssen wir mehr Hilfestellung leisten. Es geht darum, die relativ aufwendige, teure komplexe Ressource Gesundheitswesen richtig an den Mann und an die Frau zu bringen, zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle. Ein weiterer großer Punkt in diesem Kontext ist die Fragestellung, was wir tun, um das Auftreten von Erkrankungen überhaupt zu vermeiden.
Die Ärztinnen und Ärzte gehören zu den freien Berufen. Was bedeutet das für Ihre Berufsausübung?
Die Tatsache, dass ein Arzt nicht weisungsgebunden mit einem Menschen zu tun hat, der sich ihm anvertraut, ist ein ganz zentrales Element einer freiheitlichen Gesellschaft. Das stellt auch einen Schutzraum dar für den Patienten oder die Patientin in besonderen Situationen. Hier hat der Staat keinen Zugriff. Das ist für mich persönlich von hohem Wert. Und ich glaube, dass die Menschen davon sehr profitieren.
Welche Bedeutung hat das duale Gesundheitssystem aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung für die Ärztinnen und Ärzte?
Das duale Krankenversicherungssystem ist mit dem privaten Anteil ein System, in dem der Aspekt der Freiberuflichkeit, Therapiefreiheit, Individualität des ärztlichen Handelns von ganz besonderer Bedeutung ist. Der private Anteil stellt eine tragende Säule dar. Dadurch, dass es im Bereich der Privaten Krankenversicherung keine Budgets und keine Begrenzungen gibt, können Innovationen früher eingeführt werden. Durch die Therapiefreiheit werden auch Standards gesetzt, die andernorts von Wirkung sind. Mittelbar profitieren also auch gesetzlich Versicherte auf diese Weise von der Existenz eines Privatversicherten-Marktes und von der Existenz privater Versicherungen.
In den vergangenen Monaten haben die Bundesärztekammer und der PKV-Verband eine neue Gebührenordnung für Ärzte verhandelt. Warum braucht es überhaupt eine neue GOÄ?
Wir brauchen dringend eine neue Gebührenordnung, weil die bislang gültige über 30 Jahre alt ist. Sie ist in ihren Leistungslegenden veraltet – das heißt, dort, wo die medizinischen Leistungen beschrieben sind. Die Kolleginnen und Kollegen sind also gar nicht mehr in der Lage, ihre Leistungen abzubilden und müssen sogenannte Analogziffern nutzen, die ungefähr dem entsprechen, was sie erbracht haben. Das verwirrt Menschen natürlich völlig, wenn sie eine solche Ziffer auf ihrer Rechnung finden. Und für Ärzte und Ärztinnen ist es unzumutbar, in einem solchen Zustand weiterzuarbeiten.
Insbesondere für Praxen auf dem Land finden sich oft keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger. Was müsste passieren, damit sich mehr Menschen für eine Niederlassung entscheiden?
Ich glaube, ein wesentlicher Faktor ist das Thema Administration und Bürokratie. Insbesondere im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung und der vertragsärztlichen Tätigkeit haben wir einen hohen Anteil an Bürokratie-Last – das schreckt junge Kolleginnen und Kollegen ab. Im Gegensatz zur Angestelltentätigkeit müssen sie sich diesen Dingen gegenüber stellen und verantwortlich bewältigen. Ich glaube, wir müssen uns wirklich darauf konzentrieren, den Anteil von Bürokratie und Administration zurückzufahren. Die Gesellschaft erkennt langsam, dass das ein so großes Thema ist, das wir nicht nur mit Lippenbekenntnissen bekämpfen können. Wir müssen wirklich etwas tun, um die Bürokratielast zu reduzieren.