Angestellte, die sich privat versichern möchten, müssen die Versicherungspflichtgrenze erreichen. Oft können dabei Einmalzahlungen den Ausschlag geben. Diese erkennt die GKV jedoch nicht an. Uwe Lehrich, Geschäftsführer Recht im PKV-Verband, ist mit dieser Auffassung nicht einverstanden.
Herr Lehrich, der PKV-Verband informiert aktuell darüber, inwiefern variable Einkommensbestandteile berücksichtigt werden, wenn es um das Erreichen der Versicherungspflichtgrenze geht. Was hat es damit auf sich?
Das Thema beschäftigt uns schon seit einigen Jahren. Es geht darum, wer von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgrund der Überschreitung der gehaltsabhängigen Versicherungspflichtgrenze als versicherungsfrei eingestuft wird und sich in der PKV versichern kann. Diese Frage an der Schnittstelle beider Versicherungssysteme ist für uns im Wettbewerb von großer Bedeutung.
Hat der Gesetzgeber die Frage der Versicherungsfreiheit nicht eindeutig geklärt?
Eben nicht. Laut Sozialgesetzbuch sind diejenigen versicherungsfrei, deren „regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze“ übersteigt. Diese Grenze wird 2025 wohl bei 73.800 Euro im Jahr. liegen Der Knackpunkt ist nun, welche Gehaltsbestandteile als „regelmäßig“ eingestuft werden. Und eben an dieser Stelle hat der GKV-Spitzenverband eine Interpretation, die unseres Erachtens rechtsfehlerhaft ist.
Was stört Sie konkret?
Der GKV-Spitzenverband vertritt zwar die Position, dass bei monatlich geleisteten Vergütungsbestandteilen von einer Regelmäßigkeit auszugehen ist, nicht aber, wenn diese einmalig – etwa am Jahresende – gezahlt werden. Diese Unterscheidung ergibt keinen Sinn. Laut Sozialgesetzbuch ist allein die Regelmäßigkeit das ausschlaggebende Kriterium. Auch Entgeltbestandteile, die einmal jährlich gezahlt werden, können „regelmäßig“ in diesem Sinne sein. Solche jährlichen Einmalzahlungen wie etwa Funktionszulagen oder Provisionen sind durchaus üblich, gewinnen in der neuen Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung und können den Unterschied machen, ob Versicherungspflicht vorliegt oder nicht. In der Konsequenz werden viele Arbeitnehmer daran gehindert, in die PKV zu wechseln.
Gibt es hierzu keine Urteile?
Leider nein. Zwar hat das Bundessozialgericht ausdrücklich Einkommensbestandteile als regelmäßig und damit berücksichtigungsfähig eingestuft, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens einmal jährlich gezahlt werden. Auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg bestätigt jüngst unsere Auffassung grundsätzlich. Doch in den Urteilen finden sich keine Hinweise darauf, wie Vereinbarungen über variable Gehaltsbestandteile in der Praxis konkret ausgestaltet werden müssen, um eine solche Prognostizierbarkeit zu gewährleisten. Und solange das so bleibt, wird sich der GKV-Spitzenverband kaum von seinem Standpunkt abbringen lassen. Schließlich hat er hier ein starkes Eigeninteresse.
Inwiefern?
Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung befindet sich mit ihrer Umlagefinanzierung in einer angespannten Finanzlage. Der demografische Wandel wird diese Situation künftig weiter erschweren. Schon heute ist die GKV jährlich auf mehr als 14 Milliarden Euro Steuerzuschüsse angewiesen. Deswegen ist es für die gesetzlichen Krankenkassen attraktiv, gutverdienende Pflichtversicherte möglichst lange in ihrem System zu halten. Genau das ist ja auch der Grund, warum es überhaupt eine Versicherungspflichtgrenze gibt.
Die Rechtsauffassung der GKV zu den Einmalzahlungen trägt zusätzlich dazu bei, Menschen länger in den gesetzlichen Kassen zu halten und diese zu finanzieren. Darunter leidet natürlich der Wettbewerb. Deswegen sagen wir ganz klar: Die Auslegung der GKV ist nicht in Stein gemeißelt. Um hier eine Änderung zu erreichen, benötigen wir die Unterstützung der Arbeitgeber.
Was können die Arbeitgeber tun?
Wenn Beschäftigte im Jahresverlauf durch regelmäßige, nicht im Rahmen des monatlichen Regelgehaltes ausgezahlte Vergütungselemente über die Versicherungspflichtgrenze kommen und die gesetzliche Kasse ihnen dennoch keine Versicherungsfreiheit bescheinigt, sollten die Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer unterstützen. Etwa indem sie ihnen dabei helfen, die Versicherungsfreiheit auf dem Rechtsweg einzuklagen. Ein Urteil, das in diesem Punkt Klarheit schafft, würde für zukünftige Fälle enorm helfen.
Welches Interesse hätte der Arbeitgeber daran, den Arbeitnehmer zu unterstützen?
Die Arbeitgeber profitieren zum einen von der schnellen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit privatversicherter Angestellter. Denn viele entscheiden sich in der PKV für ein umfangreiches Leistungspaket – etwa mit Chefarztbehandlung oder Einbettzimmer im Krankenhaus. Hinzu kommen kurze Wartezeiten im ambulanten Bereich. Dieser hochwertige Versicherungsschutz trägt im Krankheitsfall zu einer raschen Genesung bei. Zum anderen sind natürlich die Lohnzusatzkosten von Privatversicherten für die Arbeitgeber in der Regel deutlich niedriger.
Woran liegt das?
Arbeitnehmer, die an der Jahresarbeitsentgeltgrenze verdienen und sich damit privatversichern könnten, zahlen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung den Höchstbeitrag. Der Arbeitgeber zahlt davon die Hälfte. Im Jahr 2024 sind das rund 500 Euro monatlich für die Kranken- und Pflegeversicherung. Zwar erhalten auch privatversicherte Angestellte einen Arbeitgeberzuschuss. Dieser beträgt aber maximal die Hälfte des tatsächlichen Beitrags in der PKV. Und dieser liegt fast immer unter dem Höchstbeitrag in der GKV.
Das ist nicht banal: Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft hat errechnet, dass die Arbeitgeber in Deutschland 2023 allein durch die privat versicherten Beschäftigten 1,68 Milliarden Euro an Lohnzusatzkosten eingespart haben. Im Grunde genommen zeigen diese Zahlen, dass der Wettbewerb zwischen den Systemen eher gestärkt werden sollte – und zwar über die Frage der Einmalzahlungen hinaus.
Sie sprechen eine Absenkung der Versicherungspflichtgrenze an….
Genau. Die Politik gibt ja auch in anderen Bereichen vor, die Wahlfreiheit der Versicherten stärken zu wollen. Zum Beispiel gibt es seit Neustem in mehreren Bundesländern die pauschale Beihilfe, mit der Beamten ein Zuschuss gezahlt wird, wenn sie gesetzlich versichert bleiben. Das ist in den meisten Fällen weder für die Beamten selbst noch für die Staatshaushalte sinnvoll. Aber sei’s drum: Die Beamten können sich in den betreffenden Ländern eine Meinung bilden und dann frei entscheiden, ob sich privatversichern oder an die gesetzlichen Krankenkassen binden wollen. Eben diese Wahlfreiheit wird mit der Versicherungspflichtgrenze Millionen von Versicherten vorenthalten. Das ist nichts anderes als eine staatlich verordnete Wettbewerbsverzerrung zulasten der Privaten Krankenversicherung. Eine Absenkung der Versicherungspflichtgrenze ist deswegen mehr als geboten.
Informationsblatt zur Berücksichtigung von variablen Entgeltbestandteilen