Interview

Für das Projekt „Gewaltprävention im Setting Kindertagesstätte“ erstellt die Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM) eine Sachstandsanalyse über vorhandene Angebote zur Gewaltprävention in Kitas und analysiert deren Wirkung und Verbreitung.

Dr. Joachim Bensel, Mitinhaber der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen

30.04.2021 - Dr. Joachim Bensel ist Mitinhaber der FVM und erläutert im Interview die zentralen Ergebnisse – und seine Empfehlung.

Herr Dr. Bensel, mit welcher Zielstellung sind Sie die Sachstandsanalyse angegangen?

Wir wollten feststellen, welche Maßnahmen zur Gewaltprävention in Kitas bereits existieren und wo sie ansetzen. Wichtig war uns auch, abzubilden, wie effektiv sie sind, um Gewalterfahrungen tatsächlich zu verhindern.

Was ergab Ihre Untersuchung?

Die meisten vorhandenen Gewaltpräventionsprogramme setzen am Kind an: Man versucht, die Gewalt, die von Kindern ausgeht, zu verhindern. Die Programme zielen entsprechend darauf ab, die Empathie der Kinder zu fördern, Selbstregulation zu stärken, die Gefühle bewusst wahrzunehmen.

Ist das nicht sinnvoll?

Doch – aber diese Programme lassen wichtige Akteure des Settings Kindertagesstätte außen vor: die pädagogischen Fachkräfte. Uns sind keine Präventionsprogramme bekannt, die auch Grenzverletzungen von Erzieherinnen und Erziehern thematisieren. Es gibt unseres Wissens kein Gewaltpräventionskonzept, das nachhaltig die gesamte Organisation Kita in den Blick nimmt, um Gewalt von Seiten der Fachkräfte zu verhindern.

Warum ist das so?

Gewalt, die von pädagogischen Fachkräften ausgeht, wurde und wird teilweise noch immer tabuisiert. Es fehlt häufig eine Kultur, sich reflektiv und kollegial mit der eigenen Wahrnehmung, dem Empfinden und dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen. Und wer selbst wenig Respekt erfährt, tut sich schwer, sich respektvoll gegenüber anderen zu verhalten – sowohl Kolleginnen und Kollegen als auch Kindern.

Was empfehlen Sie?

Wir sprechen uns für eine langfristige Begleitung von Kitas aus, um eine Teamkultur der Achtsamkeit zu etablieren, ethische Leitlinien zu erarbeiten und die Leitungspersonen zu stärken. Wir sind überzeugt: Frühzeitige Prävention wirkt mehr als reine Intervention – nur eine (be)achtende, respektvolle Haltung kann langfristig Gewalt verhindern. Und die lernt man nicht in einem Wochenendkurs. Das ist ein fortwährender und langwieriger, aber auch lohnenswerter Prozess der gesamten Organisation.