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Die Linke präsentiert ein Gutachten zu den Beitragssatzeffekten der Einführung einer „Bürgerversicherung“. Doch die Aussicht auf finanzielle Entlastungen für breite Bevölkerungsschichten basiert auf einem fiktiven Gedankenexperiment und hält einer genauen Betrachtung nicht stand.

Die Linksfraktion hat vor der Bundestagswahl mal wieder eine Modellrechnung bei Professor Heinz Rothgang (Universität Bremen) in Auftrag gegeben, um ihren alten Plan einer „Bürgerversicherung“ zu befeuern. Nach dessen Berechnung könnte der Beitragssatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) damit angeblich um 3,5 Prozentpunkte sinken. Das klingt verlockend, doch im Detail zeigen sich viele Fallstricke: Denn der größte Teil dieses Finanzeffekts ergäbe sich durch massive Beitragserhöhungen für die Mittelschicht und drastisch höhere Lohnzusatzkosten für qualifizierte Arbeitsplätze.

Die Linke will nämlich die Beitragsbemessungsgrenze von heute 4.837,50 Euro auf mindestens 7.100 Euro Monatsbrutto erhöhen. Zudem will die Linke diese Beitragspflicht auf alle Einkommensarten ausdehnen (also auch Mieterträge und Sparzinsen). Von den verheißenen 3,5 Prozentpunkten weniger Beitragssatz gingen alleine 2,2 Prozentpunkte auf diese faktischen Beitragserhöhungen für Millionen Versicherte zurück. Die Einbeziehung der Privatversicherten brächte demgegenüber nur 0,6 Prozentpunkte ein – wobei das zugrunde gelegte Szenario, dass auf einen Schlag alle knapp 9 Millionen Privatversicherten zwangsweise in die GKV wechseln würden, schon rein rechtlich völlig unrealistisch wäre. Überdies ergibt sich die vermeintliche Ersparnis durch Einbeziehung der Privatversicherten in die GKV vor allem dadurch, dass ihre PKV-typischen höheren Honorare wegfallen würden. Für Ärzte und Krankenhäuser, Physiotherapeuten und Hebammen würden dann pro Jahr schlagartig 12,7 Milliarden Euro Mehrumsatz fehlen – jede einzelne Arztpraxis hätte im Schnitt über 50.000 Euro pro Jahr weniger. Dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland dadurch besser würde, kann wohl niemand glauben.

IW-Gutachten zur Bürgerversicherung: Keine nachhaltige Stärkung des Solidaritätsprinzips

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) hat sich in dieser Woche ebenfalls rechnerisch mit dem Thema befasst und kommt zu dem Ergebnis: Das Solidaritätsprinzip würde in einer Bürgerversicherung nicht nachhaltig gestärkt. Wenn die bestehenden GKV-Regeln auf die gesamte Bevölkerung angewendet würden – also der PKV-typische Mehrumsatz wegfiele – ergäbe sich demnach eine theoretisch mögliche Senkung des Beitragssatzes um 0,8 bis 1,0 Prozentpunkte. Doch das wäre nur ein kurzes Strohfeuer, denn schon nach rund sechs Jahren wäre wieder das Ausgangsniveau erreichen – mit dann weiter steigender Tendenz, prognostiziert das IW.

Eine Bürgerversicherung leistet somit aus Sicht des IW Köln keinen substanziellen Beitrag, den überproportional starken Ausgabenanstieg zu begrenzen. Denn dessen Hauptursachen wie die zunehmende Alterung der Bevölkerung und der medizinisch-technische Fortschritt wirken unverändert fort. Vielmehr würde der steuerähnliche Charakter der lohnbezogenen Beitragsfinanzierung auf weitere Bevölkerungsteile ausgeweitet, anstatt verhaltenssteuernde Anreize in die GKV zu bringen, die eine effiziente Versorgung begünstigen. Das IW Köln spricht sich zugleich für eine stärkere Nutzung kapitalgedeckter Finanzierungselemente aus.