Es scheint, als hätten Sie Ihren Traumberuf gefunden.
Es ist sicher eine besondere Konstellation. Viele ältere Patientinnen und Patienten kennen mich seit meiner Kindheit. Für sie bin ich jetzt „Doktor Eva“. Beim Wiedersehen war dann schnell eine Vertrautheit da, die mir den Start und generell die Arbeit erleichtert haben. Aber „Landarzt“ kann nicht jeder. Ich bin Tag und Nacht für meine Patienten da. Vor Ort bin ich bei Gesundheitsfragen für sie die erste Ansprechpartnerin – auch an den freien Tagen. Dieses Wochenende habe ich zum Beispiel wieder drei Anrufe gehabt.
Was sind die besonderen Herausforderungen für die Praxis?
Das Einzugsgebiet meiner Praxis und in den Notdiensten ist mit 30 Kilometern schon sehr groß. Durch die ältere Bevölkerung gehören Hausbesuche zu meinem festen Wochenplan. Längere Anfahrtswege von 15 Kilometern je Strecke sind da keine Seltenheit. Kollegen aus den Städten sind immer ganz überrascht, wenn ich erzähle, wie viele Hausbesuche ich mache. Sie machen zum Teil überhaupt keine. Aber gerade viele ältere Patienten können nicht mehr in die Praxis kommen. Einige von ihnen wohnen mittlerweile in Pflegeheimen oder in Einrichtungen für betreutes Wohnen. Sie möchte ich auch im letzten Lebensabschnitt betreuen. Mittwochvormittag und Donnerstagmittag sind für Hausbesuche und Verwaltung reserviert – dazu kommen die Einsätze am Wochenende und die regelmäßigen Notdienste.
Es wird ja oft von einer Landflucht gesprochen. Die Jungen gehen, zurück bleiben die Alten. Spüren Sie etwas davon?
Tendenziell lässt sich auch in meiner Gegend ein Trend zum Leben in der Stadt feststellen. Viele Junge wollen für die Ausbildung und das Studium in die Großstadt – und nur ein Teil kommt später wieder zurück. Dafür müssen aber die Bedingungen stimmen. Natürlich können sich junge Familien in unserer ländlichen Gegend eher das Eigenheim leisten und den teuren Immobilienpreisen in städtischen Ballungszentren entfliehen. Nicht umsonst setzen Kommunen finanzielle Anreize, damit Ärzte eine Landarztpraxis übernehmen. Das hilft aber nichts, wenn die Ehepartner vor Ort keine Arbeit finden oder die Möglichkeiten für die Kinderbetreuung entfallen.
Eine Kollegin aus dem Nachbardorf hat für ihre Praxis vergeblich eine Nachfolge gesucht. Nach fünf Jahren Suche hat sie die Arztpraxis geschlossen. Für meinen Vater war meine Entscheidung deshalb eine große Erleichterung – auch weil er seine Patienten, die er Jahrzehnte betreut hat, weiterhin in guten Händen weiß. In unserer Gemeinde sind wir mit drei Arztpraxen und zwei Zahnarztpraxen derzeit noch gut aufgestellt. Dafür schließt jetzt die einzige Apotheke, weil der Inhaber kein Personal gefunden hat.