Interview

Am 1. Juli ist in der Chemie-Branche die arbeitgeberfinanzierte tarifliche Pflegezusatzversicherung CareFlex gestartet. Sie ist Vorreiter für die betriebliche Pflegeversicherung in Deutschland und gilt für mehr als 400.000 Tarifbeschäftige.

23.06.2021 - Christian Jungvogel von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) war maßgeblich am Zustandekommen der Vereinbarung beteiligt. Im Interview erzählt er, wie die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite liefen und warum CareFlex eine gute Lösung für alle ist.

Markus Feger
Christian Jungvogel, Abteilungsleiter Tarifpolitik bei der IG BCE

Wie sind Sie auf die Idee einer tariflichen Pflegeversicherung gekommen?

Das Thema „soziale Absicherung durch tarifvertragliche Regelungen“ beschäftigt uns schon viele Jahre. Bereits Ende der 90er Jahre haben wir - ergänzend zur gesetzlichen Rentenversicherung - eine tarifliche Altersvorsorge aufgebaut. In den letzten Jahren spielten dazu die Themen Gesundheit und Pflege eine immer größere Rolle. Das Risiko von Pflege betroffen zu sein, ob als Angehöriger oder weil man selbst zum Pflegefall wird, ist groß und die finanzielle Lücke ist enorm. Auf Grund dieser Debatte entstand 2016 zunächst bei der Firma Henkel die Idee eine betriebliche Pflegezusatzversicherung zu entwickeln. Es gab großen Zuspruch bei den Beschäftigten aber auch beim Arbeitgeber. Dieses Modell ist über die Unternehmensgrenzen hinaus bekannt geworden und dann in der Tarifrunde 2019 für die gesamte Chemiebranche weiterentwickelt und vereinbart worden.

Wie liefen die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite dazu?

Von Anfang an gab es auf beiden Seiten ein Interesse an einer tariflichen Pflegeversicherung. Das Henkel-Modell ist auf viel positives Feedback gestoßen, so dass wir dieses Modell als Vorlage nehmen konnten, um Versicherer zu suchen, die in einem Konsortium ein solches Produkt mit uns gemeinsam entwickeln wollten. Parallel dazu fanden die Tarifverhandlungen statt und nachdem wir ein Versicherungskonsortium gebildet haben, konnten wir auch den Tarifvertrag zur Pflegezusatzversicherung abschließen.

Ist das Problem einer möglichen Finanzierungslücke im Pflegefall öffentlich schon ausreichend bekannt?

Da das Thema Pflegeversicherung bei uns schon seit mehreren Jahren eine Rolle spielt, ist, zumindest in der Chemiebranche, das Thema bei vielen Beschäftigten auf dem Schirm. Darüber hinaus wird das Thema aber insbesondere von jüngeren Beschäftigten noch nicht so vordringlich gesehen.

Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, gegen das Risiko Pflegebedürftigkeit vorzusorgen?

Zunächst einmal muss auch die gesetzliche Pflegeversicherung weiterentwickelt werden. Die finanzielle Lücke zwischen den tatsächlichen Kosten in der Pflege und der Absicherung durch die gesetzliche Pflegeversicherung ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Viele Angehörige müssen allein aus finanziellen Gründen die Pflege in die eigene Hand nehmen und das meist zu Lasten ihrer beruflichen Entwicklung. Rund 40 Prozent der Pflegebedürftigen rutschen irgendwann in die Sozialhilfe ab. Das zeigt auch, dass diejenigen, die vielleicht eine gute Altersvorsorge haben, in finanzielle Probleme geraten, wenn sie pflegebedürftig werden. Aber selbst bei einer Pflegevollversicherung bleiben erhebliche Nebenkosten bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen hängen. Deshalb kann so ein Modell wie CareFlex diese Lücke schließen helfen.

Welche konkreten Vorteile bietet CareFlex für die Tarif-Beschäftigten?

Bei CareFlex werden alle Beschäftigten in einem Unternehmen, die Anspruch auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung haben zum gleichen Beitrag abgesichert. Es gibt keine Gesundheitsprüfung. Auch diejenigen, die gesundheitlich vorbelastet sind, und privat vermutlich keine Pflegeversicherung abschließen könnten, erhalten dadurch eine Absicherung und das zu einem einheitlichen und altersunabhängigem Beitrag. Im Pflegefall erhalten Beschäftigte bei ambulanter Pflege 300 Euro und bei stationärer Pflege 1.000 Euro frei verfügbares Pflegegeld. Während der Beschäftigung zahlt der Arbeitgeber für die tarifgebundenen Arbeitnehmer den Beitrag. Wenn ein Arbeitnehmer ausscheidet oder in Rente geht, kann er die Pflegezusatzversicherung fortführen.

Denken Sie, dass viele Arbeitgeber auch außertariflich Beschäftigten dieses Angebot machen?

Über die Hälfte der Arbeitgeber versichert freiwillig auch die außertariflich Beschäftigten bei CareFlex. Gerade bei dieser Arbeitnehmergruppe stößt das Angebot auf sehr großes Interesse.

Ist ein Produkt wie CareFlex auch interessant für andere Branchen?

Natürlich ist CareFlex auch ein spannendes Angebot für weitere Branchen. Damit es aber erfolgreich eingeführt werden kann, bedarf es beider Sozialpartner - Arbeitgeber wie auch Gewerkschaften - die ein gemeinsames Interesse haben, so ein Produkt umzusetzen. Als Branchenlösung ist es deshalb auch so interessant, da hier auch klein- und mittelständische Betriebe zu gleichen Bedingungen so ein Produkt nutzen können. Ansonsten könnten nur Großunternehmen eine betriebliche Pflegeversicherung abschließen, da ein hinreichend großes Kollektiv nötig ist um die Risiken abdecken zu können. Wir werden jedenfalls auch in unseren anderen Branchen die Möglichkeiten einer Pflegezusatzversicherung diskutieren.

Die Zuwendungen des Arbeitgebers zur CareFlex sind nur im Rahmen der 44-Euro-Sachbezugsfreigrenze steuer- und sozialabgabenfrei. Sollten die Beiträge zur einer betrieblichen Pflegeversicherung generell steuer- und abgabenfrei sein?

Die Nutzung der Sachbezugsfreigrenze von 44 Euro bzw. ab 1. Januar 2022 50 Euro, ist nicht für alle Unternehmen nutzbar. Viele Arbeitgeber gewähren bereits andere Sachbezüge in ihren Unternehmen. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoller, die Pflegezusatzversicherung als einen Durchführungsweg für die Entgeltumwandlung zuzulassen, da es sich ja letztendlich auch um eine Form der Alterssicherung handelt. Dann wären die Beiträge steuer- und beitragsfrei. Leider ist von diesem Thema – entgegen dem ursprünglichen Vorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn – in der nun beschlossenen Pflegereform keine Rede mehr. Nach der Bundestagswahl muss hier noch nachgebessert werden.

Gibt es weitere Verbesserungen der Rahmenbedingungen, die Sie sich von der Politik wünschen?

Die steuer- und beitragsrechtliche Förderung wäre schon ein großer Schritt um die Pflegeversicherung wirklich attraktiv umsetzen zu können. Letztendlich braucht es dafür aber auch rechtliche Rahmenbedingungen, die dazu führen, dass die Gewerkschaften und Arbeitgeber über die Bedingungen und Leistungen auch mitentscheiden können. Ähnlich wie beim Sozialpartnermodell als Durchführungsweg in der betrieblichen Altersvorsorge müsste den Sozialpartnern eine Aufsichtsfunktion in solchen Modellen zukommen und eine tarifvertragliche Bindung sollte Voraussetzung für eine kollektive Absicherung sein.