22. Oktober 2020

Was sind die Erwartungen an die Zukunft der Pflege? Wie kann eine generationengerechte Weiterentwicklung aussehen? Eine Einschätzung der Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Berliner Charité, Frau Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey.

Frau Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey, Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Charité

22.10.2020 – Die Pflege steht vor großen Herausforderungen. Mit dem steigenden Bedarf an Leistungen steigen auch die Kosten. Noch deutlicher als heute werde sich das in wenigen Jahren zeigen, wenn die Generation der Babyboomer nach und nach in Rente geht, konstatierte Professor Kuhlmey. In den Jahren 2035 bis 2050 werde eine große Pflegenachfrage aus dieser Generation kommen, die bis heute den größten Anteil der Beiträge stemmt. Insgesamt werde die Zahl der Bedürftigen 2030 auf 4,1 Millionen anwachsen. 2050 wären es bereits 5,35 Millionen Menschen, deren Leistungsansprüche einer sinkenden Zahl an Beitragszahlern gegenüberstehen.

Die Finanzierung sei allerdings nicht das einzige Problem, stellte Professor Kuhlmey fest. Auch die Versorgungsstrukturen kämen an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Nachfrage nach Pflegeleistungen werde sich derart erhöhen, dass das Angebot nicht schritthalten könne. Es brauche gut ausgebildetes Personal, um die wachsende Zahl der Pflegebedürftigen zu versorgen. Doch weil die Pflege mit deutlich besser bezahlten Branchen konkurrieren müsse, werde sich der Fachkräftemangel daher eher verschlimmern.

Wie aber wird der steigende Bedarf zu decken sein? Die Pflegeexpertin der Charité hat eine klare Vorstellung: Um zu verhindern, dass Menschen im Alter lange pflegebedürftig sind und hohe Kosten verursachen, müsste der Fokus auf einer effektiven Präventionsarbeit liegen. Versorgungsstrukturen in der Pflege, so ihre Prognose, ließen sich nur entlasten, wenn mehr Menschen gesünder lebten und damit ihr Pflegerisiko verminderten. Dadurch ließe sich das Eintrittsalter in die Pflegebedürftigkeit weiter nach hinten schieben. Die Menschen würden somit nicht nur älter, sie lebten auch länger frei von Krankheiten.

Um die Ziele zu erreichen, nimmt Prof. Kuhlmey auch die Politik in die Pflicht. Sie müsse Wegbereiter sein und für professionelle Pflege- und Versorgungsstrukturen sorgen, die sich mit familiärer Pflege ergänzen ließen. Sie müsse weiterhin digitale Anwendungen fördern und Rahmenbedingungen schaffen, die eine Kombination aus privater Pflege und Berufsleben möglich machten. Im Endeffekt, so ihr Appell, müsse die Freiwilligkeit – nicht der Zwang –gefördert werden, gesünder zu leben. Das sei der wichtigste Ansatz für eine erfolgreiche Präventionsarbeit und gleichzeitig ein Baustein für die Pflege, um künftige Herausforderungen zu bestehen.