Interview

Was waren in der Corona-Krise die größten organisatorischen Probleme und Herausforderungen für die niedergelassenen Internisten?

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Prof. Dr. med. Hans Martin Hoffmeister, Mitglied des Vorstands der Berufsverbands Deutscher Internisten (BDI) gibt einen Überblick zur aktuellen Lage der Arztpraxen. Welche Lehren aus der Krise für die Organisation des Gesundheitssystems zu ziehen sind und warum Patienten ihre Arzttermine nicht weiter aufschieben sollten, erläutert Hoffmeister im Interview.

Herr Professor Hoffmeister, was ist Ihr Eindruck, wie geht es der Ärzteschaft in Deutschland persönlich im Umgang mit der Corona-Krise?

Wir hatten das Glück, dass wir nicht das erste Land waren. Das heißt, wir waren schon vorgewarnt. Wir wussten, da kommt eine Erkrankung auf uns zu. Gefährlicher ist es dann, wenn man noch gar nicht weiß, wem man gegenübersteht. Bei Corona ist ja die zweite Besonderheit, dass das Virus und die dadurch verursachte Erkrankung vorher noch nicht bekannt waren. Dort, wo es zuerst auftrat, wurde es in seiner Schwere zunächst nicht erkannt.

Was waren die größten organisatorischen Probleme und Herausforderungen in der Praxis mit Corona?

Zu den größten organisatorischen Herausforderungen gehörte einerseits, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, um alles herunterzufahren. Denn so ein Lockdown ist ja nicht folgenlos. Zum anderen musste die entsprechende Menge an Schutzausrüstung vorgehalten werden. Wobei die Diskussion, was die erforderliche Menge war, auch dadurch geprägt war, dass man sagte: Man weiß nicht genau, wie viel man im Notfall braucht. Es kann ja noch schlimmer kommen.  

Mit Beginn der Corona-Epidemie hatten viele Patienten Angst vor einer möglichen Ansteckung. Können die Patienten inzwischen ohne Sorge vor Corona in die Krankenhäuser und Arztpraxen kommen?

Man kann wirklich ohne ein größeres Risiko in Kliniken oder in Arztpraxen gehen. Man geht dort ja nicht aus Spaß hin, sondern weil man andere Erkrankungen hat. Und das Risiko vieler dieser Erkrankungen ist ohne adäquate Behandlung für den Patienten sicher deutlich größer als das Corona-Risiko in einem Umfeld, das entsprechende Schutzmaßnahmen ergreift.

Das deutsche Gesundheitswesen wird für seine Leistungen in der Corona-Krise international sehr stark beachtet und teilweise auch gelobt. Was sind Ihrer Einschätzung nach die Erfolgsfaktoren? Was unterscheidet unsere Situation von der Lage anderer Industrieländer?

Ich denke, dass die schnelle Erreichbarkeit im hausärztlichen System einen Unterschied gemacht hat. Die Hausärzte haben sich sehr früh auf die Corona-Problematik umgestellt. Hinzu kommt die sogenannte – immer gescholtene – doppelte Facharztschiene, die durchaus in manchen Fällen sinnvoll ist, wenn eine gute Kooperation dahintersteckt. Drittens haben wir in Deutschland zahlenmäßig relativ viele Krankenhausbetten und relativ viele Intensivbetten im Vergleich zu anderen Ländern. Von diesen Kapazitäten haben wir profitiert: ein dichtes, ambulantes Versorgungssystem mit den hohen Kapazitäten im Bereich der Intensivmedizin.

Unter dem schönen Begriff „lessons learned“: Welche Lehren können oder müssen wir für die Organisation des Gesundheitssystems und der medizinischen Versorgung aus der Krise ziehen?

In einer zweiten Welle würde ich noch radikaler gleich zu Beginn Schutzmaßnahmen wie Schutzbekleidung und Masken ausgeben. Wir haben gelernt, dass diese Schutzmaßnahmen funktionieren. Das heißt aber auch, dass wir sie noch möglichst lange nutzen sollten. Wir wissen heute noch nicht, wie lange die Corona-Problematik anhalten wird. Und deshalb müssen wir jetzt der Bevölkerung vermitteln, dass die Maßnahmen funktionieren und wir bitte nicht nachlassen dürfen.  

Ich habe den Eindruck, manche benutzen Corona, um eine gesundheitspolitische Debatte zu führen, wie sie ihnen vorschwebt. Die Linkspartei zum Beispiel ruft schon unverhohlen nach mehr Staat im Gesundheitswesen, man habe das System kaputtgespart. Sie haben die Parolen gelesen und gehört. Was ist Ihr Kommentar dazu?

Das kann ich eigentlich überhaupt nicht erkennen. Wir haben eben noch darüber gesprochen, wie leistungsfähig das deutsche Gesundheitssystem ist. Und gerade dieses System aus Selbstverwaltung der Ärzte, Trägern der Krankenhäuser und Kostenträgern hat ziemlich schnell ein Miteinander gefunden, was hervorragend funktioniert hat – besser als ich es manchmal erwartet hätte. Ich wüsste kein staatliches System in Europa, das besser funktioniert hat als das deutsche. Wir haben hier gesehen, dass es funktioniert, wenn man sich zusammentut.