Verband

Zwischenruf von PKV-Pressesprecher Stefan Reker

28.02.2020 - Die Bertelsmann-Stiftung hat mit ihrer jüngsten Studie viel Aufmerksamkeit erzielt, in der sie einmal mehr die Zusammenlegung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Privaten Krankenversicherung (PKV) fordert und behauptet, dies sei am Ende sogar billiger für die GKV-Versicherten. Wobei Bertelsmann-Repräsentant Stefan Etgeton zugleich betonte: „Es geht nicht um das Geld, sondern um Solidarität.“ Wie also ist es um die Solidarität im deutschen Krankenversicherungssystem bestellt? Diese Frage lohnt eine gründlichere Auseinandersetzung, zu der ich vier Aspekte beitragen möchte.

1.) Die Solidarität der Gesunden mit den Kranken ist das Wesen jeder Krankenversicherung – und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine gesetzliche Krankenkasse oder eine private Versicherung handelt: Alle zahlen ein, nur die Kranken erhalten Leistungen.

2.) Die Private Krankenversicherung praktiziert außerdem eine Generationen-Solidarität, die es in der GKV nicht gibt. In der PKV baut jede Versicherten-Generation mit ihren Beiträgen zugleich eine langfristige Kapitalvorsorge für die hohen Krankheitskosten im Alter auf. Durch diese Demografie-Vorsorge werden die nachfolgenden Generationen in Deutschland finanziell nicht damit belastet.

Anders in der GKV, die im sogenannten Umlageverfahren finanziert wird und keine Demografie-Vorsorge trifft. In den kommenden Jahrzehnten werden die Zahlen der Älteren (und mit ihnen die Krankheitskosten) immer mehr steigen, während zugleich die Zahl der jüngeren Erwerbstätigen, die das Ganze als Beitragszahler tragen müssen, stark zurückgeht. Auf diese Weise baut die GKV quasi einen Schuldenberg zu Lasten der nachfolgenden Generationen auf.

„Jüngere Generationen werden immer stärker belastet"

Die Bertelsmann-Stiftung hat dieses Problem im März 2019 selbst untersucht. Sie kam zu alarmierenden Ergebnissen und warnte: „Jüngere Generationen werden immer stärker belastet.“ Auch im Vorwort der jetzigen Studie weist Vorstand Dr. Brigitte Mohn darauf hin, dass „in dem vor uns liegenden Jahrzehnt allein aus demographischen Gründen die Finanzlage der Kranken- und Pflegeversicherung wieder angespannter werden wird“. Seltsam nur, dass dieses Thema in der Studie ausgeklammert wird. Sonst hätte Bertelsmann nämlich die starke Generationen-Solidarität der PKV würdigen müssen.

Wie wichtig dieser generationsübergreifende Aspekt von Solidarität ist, mag folgende Hochrechnung erahnen lassen: Die 8,7 Millionen Privatversicherten haben als Vorsorge mit Zins und Zinseszins bislang rund 275 Milliarden Euro real angespart. Bezogen auf 72,7 Millionen Gesetzlich Versicherte wären über 2.255 Milliarden(!) Euro Vorsorgekapital nötig, um auch für die GKV dieselbe Generationen-Solidarität aufzubauen, wie sie die PKV praktiziert. Diese gigantische Summe zeigt zugleich das Ausmaß der verdeckten Verschuldung der GKV an den nachfolgenden Generationen. Ob diese Art der GKV-Finanzierung solidarisch ist, wäre kritisch zu hinterfragen. Die Studie hat diesen wesentlichen Aspekt von Solidarität leider komplett ausgeblendet. Schlimmer noch: Genau diese Solidarität will Bertelsmann ersatzlos abschaffen.

3.) Die GKV wiederum praktiziert eine finanzielle Umverteilung, indem sie (anders als die PKV) die Beiträge prozentual an der Höhe des Einkommens festmacht. Das bewertet Bertelsmann als wichtiges Element einer Solidargemeinschaft von Starken und Schwachen. Nicht erwähnt werden die sozialen Ungerechtigkeiten, die sich daraus ergeben, dass dieser Sozialausgleich in der GKV anhand des Erwerbseinkommens bemessen wird. So beträgt z.B. für eine vierköpfige Familie mit einem Alleinverdiener von 6.500 Euro Monatsbrutto der GKV-Beitrag 737,51 Euro. Eine andere vierköpfige Familie, in der beide Eltern arbeiten gehen, die Kinder eine Lehre machen und alle zusammen ebenfalls auf 6.500 Euro kommen, muss für dieselbe GKV-Versicherung 1.020,50 Euro im Monat zahlen. Was an diesem Beitragssystem sozial gerecht sein soll, müsste Bertelsmann gelegentlich mal erklären.

Wirkungsvolle soziale Umverteilung erzielt das Steuersystem

4.) Die Solidarität der Steuerzahler: Eine wirkungsvolle soziale Umverteilung erzielt hingegen das deutsche Steuersystem mit seiner Bemessung nach der individuellen Leistungsfähigkeit. Durch die mit wachsendem Einkommen zusätzlich steigenden Steuersätze (Progression), tragen höhere Einkommen weitaus stärker zu den Staatsfinanzen bei als niedrigere Einkommen. Wer das Doppelte des Durchschnittseinkommens verdient, bezahlt das 2,9-Fache an Lohn- und Einkommensteuer. Wer das Dreifache des Durchschnitts verdient, zahlt das 4,9-Fache an Steuern.

Durch die Einnahmen aus diesem Steuersystem wird auch maßgeblich die Familien-Solidarität (als beitragsfreie Mitversicherung) in der GKV finanziert, mit 14 Milliarden Euro Zuschuss pro Jahr. Zu diesen Steuergeldern tragen auch die 8,7 Millionen Privatversicherten nach ihrer individuellen Leistungsfähigkeit bei. Schon eine grobe Umrechnung pro Kopf zeigt: Am 14-Milliarden-Zuschuss zu Gunsten der GKV sind die PKV-Versicherten im Schnitt (vom Säugling bis zum Greis) mit 175 Euro im Jahr beteiligt – als Zuschuss für Begünstigungen, von denen sie übrigens selbst nicht profitieren.

Schon allein dieser solidarische Steuerzuschuss der Privatversicherten übertrifft die von Bertelsmann vorgerechnete „Ersparnis“ durch eine theoretische Zwangsvereinigung von GKV und PKV in Höhe von angeblich 145 Euro je GKV-Versicherten.

Übrigens: Dafür, dass es Bertelsmann nach eigener Aussage „nicht um das Geld geht“, hat man die Lockvogel-Zahl von 145 Euro ziemlich prominent ins Schaufenster gestellt. Das entspräche übrigens einem Arbeitnehmeranteil von 6 Euro pro Monat. Wenn 6 Euro der komplette Wert dessen ist, was der GKV vermeintlich durch das duale System an solidarischer Finanzierung entgeht, dann erscheint mir die Radikalität der Bertelsmann-Forderung einer Einheitsversicherung – pardon – geradezu lächerlich. Und weil ohne PKV überdies jeder ambulanten Arztpraxis in Deutschland im Schnitt mehr als 54.000 Euro pro Jahr verloren gingen, dann stünde am Ende eine schlechtere Versorgung für alle Patienten in Deutschland.

Das deutsche Gesundheitssystem garantiert jeder Bürgerin und jedem Bürger unabhängig vom Einkommen eine medizinische Versorgung, die in Europa und der Welt ihresgleichen sucht. Damit sollten wir pfleglich umgehen – und es auch für die nachfolgenden Generationen solidarisch bewahren.