Angespannt, aber nicht besorgt: Wie Pflegeprofis die Corona-Pandemie erleben
Corona
Kontaktverbote, Abstandsregelungen, Lockdown – das Coronavirus hat das Leben in Deutschland grundlegend verändert.
Fest der Pflegeprofis am 21. November 2019 im Berliner Reichtagsgebäude
11.05.2020 - Während die meisten Menschen aus Schutz vor einer möglichen Infektion zu Hause geblieben sind, waren Pflegerinnen und Pfleger jeden Tag im Einsatz, um Covid-19-Patienten zu versorgen und das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu bewahren.
Wie ist es den Pflegeprofis in dieser außergewöhnlichen Zeit ergangen? Um das zu erfahren, haben wir zum diesjährigen Internationalen Tag der Pflege mit Holger Franzreb, Pflegeleiter der Intensivstation am Klinikum Stuttgart, Christina Grahl, Pflegedirektorin der AMEOS Pflege in Neustadt, und Ann-Sophie Schmidt, Auszubildende für Gesundheits- und Krankenpflege an der Klinik Hallerwiese in Nürnberg, gesprochen. Im letzten Jahr standen die drei Pflegefachkräfte als Landes- und Bundessieger beim PKV-Wettbewerb „Deutschlands beliebteste Pflegeprofis“ im Rampenlicht. Seit ein paar Wochen arbeiten sie mitten im Corona-Geschehen.
Einrichtungen reagieren schnell auf Coronavirus-Ausbruch
Als sich das Coronavirus in Deutschland ausbreitete, haben die Einrichtungen sehr schnell in den Krisenmodus geschaltet. Davon erzählen uns alle drei Gesprächspartner. „Nachdem die Infektionszahlen in die Höhe schnellten, hat die Klinikleitung unmittelbar reagiert und für das Personal interne Hygieneschulungen angeboten. Wir haben intensiv den Umgang mit der Schutzkleidung trainiert, insbesondere das An- und Ausziehen, sodass wir schon bevor die ersten Corona-Patienten bei uns eingeliefert wurden, gut vorbereitet waren,“ schildert Holger Franzreb die Situation zu Beginn der Pandemie.
Pflegedirektorin Christina Grahl aus Neustadt in Schleswig-Holstein bestätigt das: „Wir haben sofort mit allen anderen Pflegestandorten von AMEOS einen Krisenstab gebildet. Das bedeutet, dass wir uns seitdem Ausbruch der Pandemie Tag für Tag in mittlerweile unzähligen Telefonkonferenzen eng miteinander abstimmen, welche Maßnahmen wir ergreifen müssen, um die Richtlinien der Bundes- und Landesregierung umzusetzen.“
Füreinander einstehen, besonders in Krisenzeiten
In schweren Zeiten zusammenstehen und füreinander da sein. In der Pflege ist das kein Lippenbekenntnis. Holger Franzreb fällt es schwer, seine Wertschätzung für den Einsatz seines Teams und die Solidarität ehemaliger Kollegen in Worte zu fassen. „Wir hatten schon immer ein sehr gutes Teamgefüge. Allerdings ist die Bereitschaft, füreinander einzustehen, noch einmal gewachsen. Kaum vorstellbar, aber Mitarbeiter sind von ihrem Urlaub zurückgetreten, um da zu sein, um zu helfen. Ich habe viele Anrufe von ehemaligen Kollegen anderer Stationen bekommen, die mir angeboten haben, bei uns einzuspringen, sollte zusätzliches Personal benötigt werden.“ Auch Christina Grahl ist gerührt von der enormen Hilfsbereitschaft vieler Mitmenschen: „Wir bekommen Angebote von fremden Menschen, die uns und den Bewohnern Schutzmasken – auch in größeren Stückzahlen – nähen möchten. Das ist schon ein sehr schönes Gefühl.“
Den Menschen nicht vergessen
Neben den vielen Sicherheitsmaßnahmen ist für die Pflegerinnen und Pfleger eines besonders wichtig: Der Mensch darf nicht vergessen werden. „Mit Corona hat sich zwar der Arbeitsalltag verändert, der Fokus ist allerdings gleichgeblieben: Das Wohl und die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen“, sagt Christina Grahl und ergänzt: „Es erfordert sehr viel Feingefühl und Empathie, den alten – oftmals psychiatrischen – Menschen in unseren Pflegeeinrichtungen zu erklären, warum diese drastischen Einschnitte in ihr Privatleben notwendig sind. Vielen fehlt das Verständnis dafür, was gerade in der Welt passiert.“ Das bestätigt auch Ann-Sophie Schmidt. Die Auszubildende berichtet von einer 80-jährigen Patientin, die aufgrund ihrer Demenz nicht wusste, dass sie sich mit dem Coronavirus infiziert hatte. „Als wir sie gesund und munter entlassen konnten, war das schon ein sehr schönes Gefühl.“
Besonnen auch wenn es gefährlich wird
Pflegeprofi zu sein bedeutet auch, die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Wie sieht es mit der Sorge aus, sich selbst mit Covid-19 zu infizieren? Die 21-jährige Ann-Sophie Schmidt antwortet schnell: „Angst, mich mit Corona anzustecken, habe ich eigentlich nicht – und zwar nicht nur deshalb, weil ich jung bin und nicht zur Risikogruppe gehöre. Das liegt ganz einfach daran, dass es bei der Arbeit viele Erreger unabhängig von Corona gibt, mit denen ich mich anstecken könnte. Das gehört einfach zu unserem Berufsrisiko.“ Holger Franzreb sieht es genauso, gibt aber zu: „Eine gewisse Sorge besteht immer. Allerdings haben wir Pflegeprofis schon vor Covid-19 sehr häufig Kontakt zu hochinfektiösen Patienten gehabt. Wir besitzen aber ein fundiertes hygienisches Grundwissen, um uns vor Keimen und Viren ausreichend zu schützen. Daher ist man berufsbedingt wahrscheinlich ruhiger als viele andere.“
Die Pflege ist auch nach Corona auf Zuspruch angewiesen
In der Krise wird deutlicher denn je, wie wichtig die Pflege für das Gesundheitssystem in Deutschland ist. Die Aufmerksamkeit und die Anerkennung, die viele Pflegerinnen und Pfleger durch die Corona-Pandemie erhalten, nimmt Christina Grahl als positiv wahr: „Momentan scheint die Gesellschaft zu realisieren, dass die Pflege so viel mehr wert ist, als es in der Vergangenheit vermutet wurde und dass die Pflegekräfte es verdient haben, mehr Wertschätzung zu erfahren und besser entlohnt zu werden.“
Das sieht auch Ann-Sophie Schmidt so und ergänzt: „Natürlich freut es mich, dass die Pflege derzeit im Vordergrund steht und die Menschen merken, dass Pflegefachkräfte dringend gebraucht werden. Unsere Arbeitsbedingungen müssen sich aber insgesamt und unabhängig vom Coronavirus verbessern. Es wäre wünschenswert, wenn sich auch nach Corona die Menschen so für uns einsetzen und hinter uns stehen, wie sie es derzeit machen.“
Wir sind noch nicht am Ende
Mit den Lockerungen der Corona-Beschränkungen und dem Frühlingsbeginn achten immer weniger Menschen die weiterhin gültigen und notwendigen Abstandsregelungen. Vielerorts scheint das Virus vergessen und die Menschen gehen fahrlässig mit der Gefahr einer zweiten Infektionswelle um, vor der die Virologen warnen. Das stößt auch bei den Pflegeprofis auf wenig Verständnis. Der Appell von Holger Franzreb: „Ich habe bei uns auf Station einige sehr schwere Krankheitsverläufe von Corona-Patienten gesehen, darunter nicht nur ältere, sondern auch junge Menschen. Das sollte keiner auf die leichte Schulter nehmen. Daher kann ich nur dringend raten: Haltet die Hygiene- und die Abstandsregeln ein.“
Ann-Sophie Schmidt pflichtet bei: „Ich weiß natürlich, dass sich die meisten Menschen wünschen, so schnell wie möglich zur Normalität zurückzukehren. Aber wenn wir jetzt unvorsichtig sind, dann stehen wir wieder vor der Situation, alle Einschränkungen und Verbote erneut einführen zu müssen. Deshalb sollte jeder auch weiterhin Abstand halten, die Empfehlungen zur Händehygiene befolgen und einen Mund- und Nasenschutz tragen. Und bitte bitte, lasst die Hamsterkäufe. Das hat wirklich genervt!“
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Alle drei Interviews finden Sie hier in voller Länge.